Die Diskokugel unter den Shoot 'em-ups.
Das „Weiße Album“ der Beatles taucht bis heute regelmäßig in den Hitlisten vieler Musikgazetten auf, wenn es darum geht, die besten Alben aller Zeiten zu bestimmen. Neben dem exzellenten Songwriting der vier Pilzköpfe, hatte erstmalig auch die Abmischung ihrer Lieder einen spürbaren Anteil an der zeitlosen Wertschätzung ihrer Stücke. Erst die perfekte Ausnutzung des neuartigen Stereo-Effekts und das ausgewogene Gleichgewicht der einzelnen Instrumentenspuren schliffen diesen Rohdiamanten zu einem strahlenden Edelstein. Da könnte man fast annehmen, A City Sleeps, der bockschwere „Bullet Hell“-Shooter von Harmonix, wolle mit seinem Fokus auf das Austarieren der richtigen Balance von Spielmechaniken und musikalischer Untermalung, einen ähnlichen Zauber rekreieren. Bei diesem Titel, in dem man das Mischpult gegen einen Controller tauscht und jeder Schuss, jeder Lichtstrahl, jede Bewegung pure Musik sind, entscheidet sich, ob man selbst im unübersichtlichsten Kugelhagel das Taktgefühl nicht verliert oder doch bestenfalls den Kassettenrekorder beim Bingo-Abend im Seniorenwohnheim bedienen sollte.
Der Schauplatz von A City Sleeps ist für das eher raumschifflastige Shmup-Genre dabei fast schon so ungewöhnlich, wie die Unterwasserwelt der U-boot-fahrenden Mieze aus Aqua Kitty. Statt in die unendlichen Weiten des Weltalls, dringt die weibliche Hauptfigur Poe in die Albträume der Bewohner von SanLo City ein, um gegen ballernde Statuen aus dem antiken Griechenland und typisch monströs-großen Bossgegner in den Kampf zu ziehen. Auch ein Schwert gehört zu zu Poes Arsenal, das im Nahkampf rhythmisch eingesetzt fast schon einem Taktstock gleicht und zur Aufladung der Energie eines bildschirmumspannenden Spezialangriffs dient. Anders als bei vielen anderen Vertretern dieser Spielgattung, findet man jedoch unterwegs keinerlei Power-Ups. Stattdessen kann Poe an speziellen Knotenpunkten vorher ausgewählte Geisterkräfte einsetzen, die beispielsweise Projektile ablenken oder Heilung verschaffen. Und das stets im Einklang mit der Hintergrundbeschallung, die in diesem Titel tatsächlich auch im Vordergrund stehen darf und in der Deluxe-Edition zum externen Genuss beiliegt.
Dieser Umstand verleiht A City Sleeps letztlich auch sein einzigartiges Spielgefühl. Im Zusammenspiel mit den nachdrücklichen Klängen, die eine wunderbare Synthese aus elektronischen Rhythmen und organischer Instrumentierung bilden, ist ein Gefühl für die Musik mindestens genauso wichtig wie blitzschnelle Reflexe und das Behalten der Übersicht. Man gestaltet die Soundkulisse aktiv mit, während versucht wird, die richtige Mischung aus Nah- und Fernkampf, offensiven und defensiven Geisterkräften und gezielten Ausweichmanövern zu finden. Doch das Spiel bleibt im Kern eher etwas für Ikaruga– als für Rock Band-Veteranen. Wer nie oder nur gelegentlich ein Shoot’em-up gespielt hat, wird wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, das erste Level auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad zu bewältigen. A City Sleeps richtet sich ausdrücklich an den kleinen, harten Kern von Spielerinnen und Spielern, denen selbst ein Überschallflug noch wie eine Zeitlupenwiederholung vorkommt. Das ist schade, aber irgendwie auch ziemlich konsequent.
Deutlich übersichtlicher als A City Sleeps selbst ist der Umfang. Gerade einmal drei Traumwelten gibt es zu entdecken, dazu eine Handvoll Geisterkräfte und Modifizierungen. Aber wer den Highscore will, wird eh jedes Level hunderte Male sehen und sich daran kaum stören. Und selbst wenn man auf dem Weg zum jeweiligen Traum-Ende immer wieder scheitern wird, sollte man bei A City Sleeps stets an den großartigen Miles Davis denken, der einst sinngemäß sagte: In der Musik gibt es keine Fehler.
2 Kommentare zu “A City Sleeps – Kugelhagel für Kopfhörer”
Kommentieren
Der 1. Absatz: Gähn.
Naja, der 1. Kommentar bügelt das ja glücklicherweise aus.