Blutspuren statt Karmapunkte:
Der Kreislauf des Lebens im Schnelldurchlauf.
Auge um Auge, Zahn um Zahn:
Crawl
Crawl
Blutspuren statt Karmapunkte:
Der Kreislauf des Lebens im Schnelldurchlauf.
Ein Kernelement der buddhistischen Lehre ist der Kreislauf des Lebens, eine ständige Abfolge von Tod und Geburt. Alle Geschöpfe unterliegen seiner Wirkung, jedes Dasein ist demnach befristet, wenn auch von unterschiedlicher Dauer. Dem Glauben nach werden Lebewesen durch ihr Karma an diesen Lauf der Dinge gebunden, also durch die Summe ihrer Taten, Gedanken, Gefühle und Begierden. Da das höchste Ziel des Buddhismus, das Verlassen dieses Kreislaufs durch die Erleuchtung, in einem Leben gemeinhin nicht zu erreichen ist, liegt der Fokus vieler Buddhisten darauf, möglichst viel gutes Karma zu sammeln und demnach überwiegend positive Spuren in der Welt zu hinterlassen.
In Crawl wird dieses hehre Prinzip einfach über den Haufen geworfen. Hier bestehen die Spuren ausschließlich aus Blut und alle Beteiligten springen einander möglichst effizient an die Gurgeln, um den Kreislauf des Lebens drastisch zu beschleunigen. Denn in dem Dungeoncrawler gilt es vor allem, den jeweils umherflanierenden Entdecker möglichst schnell seiner irdischen Existenz zu berauben, um dessen Position zu bekleiden. Bis zu drei Spieler_innen können hierzu die Rolle von Geistern einnehmen, die die Hauptfigur immerzu verfolgen und ihr durch das Besitzergreifen von Fallen oder Monstern das Leben zur Hölle machen. Das Resultat ist ein ständiger Wechsel zwischen Jägern und Gejagten, der genretypische Aktionen wie das Aufleveln und Bergen von Schätzen ungleich schwerer und vor allem chaotischer gestaltet.
Perfekt wird der Wahnsinn dadurch, dass man sich mit seinen Feinden Couch und Kekse teilt, denn Crawl ist, zumindest derzeit, ein reiner Local-Multiplayer-Titel. Obwohl bereits hier und da Unkenrufe laut wurden, dass es sich damit allzu gemütlich in die derzeitige Renaissance des Heimspiels einfüge, sind diese Vorwürfe vorschnelle Schlüsse. Das Prinzip “Einer-gegen-Alle” birgt viel Potenzial, Abende wie Freundschaften platzen zu lassen und damit Titeln wie Samurai Gunn den Rang abzulaufen. Zudem ist das Spiel trotz Early-Access-Zugangs schon jetzt derart ausbalanciert, dass Frust nie aufgrund mangelnder Fairness aufkommt. Während nämlich der Mensch Gold und Erfahrungspunkte sammelt, ersteres gegen neue Gegenstände und letztere gegen schnelle Levelaufstiege eintauscht, gewinnen die Geister ebenfalls wertvolle Bluttropfen und die sogenannte „Vitae“, über die ihre Monster neue Evolutionsstufen erreichen können.
Dementsprechend gleichen sich die Machtverhältnisse immer wieder an: Der Protagonist mag neue, stärkere Waffen und frische Energie erhalten, aber zeitgleich werden auch die ihm feindlich gesonnenen Kreaturen stärker. Was anfangs noch als hilfloser Wurm langsam über den erdigen Boden kräucht und Laserstrahlen eher mitleiderregenden Umfangs verschießt, entwickelt sich bald zu einem mächtigen Eismagier. Nach jedem erfolgreich bewältigten, also leergeräumten Abschnitt der zufallsgenerierten Dungeons, wird eine Hochrechnung der gesammelten Erfahrungspunkte, Bluttropfen und Vitae erstellt und eben diese Entwicklung vorangetrieben. So beharken sich die Kämpfenden immer erbitterter, bis schließlich ein Mensch Level 10 erreicht und damit ein Portal freischalten kann, das ihn zum Dungeonboss führt – der wiederum zeitgleich von den drei blutdürstigen Mitspieler_innen kontrolliert wird. Verliert der Held den Kampf, wird er wieder in die Höhle zurückteleportiert und der weniger gebündelten Schikane der Geister ausgesetzt. Somit erhalten auch sie die Chance, sich in Menschengestalt an diesem Kampf zu versuchen, allerdings insgesamt nur dreimal. Danach folgt ein unrühmliches Ende und die nächste Runde beginnt – vorausgesetzt jedenfalls, man hat noch Freunde, denen man entgegentreten könnte. Falls nicht, besteht die Möglichkeit, auf sehr hektisch agierende, aber relativ clevere Bots zurückzugreifen, die eine ernstzunehmende Konkurrenz und damit einen probaten Ersatz für menschliche Widersacher darstellen.
Beide Varianten sind bereits völlig zufriedenstellend, dennoch nehmen sich die australischen Entwickler des neugegründeten Studios Powerhoof die lauter werdenden Wünsche nach einem Onlinemodus zu Herzen und werden ihn möglicherweise im Laufe der kommenden Monate nachträglich integrieren – ebenso wie zahlreiche weitere Extras, die zum Teil bereits fest eingeplant, zum Teil ebenfalls von der Steam-Community gewünscht wurden. So wird es bald weitaus mehr Monster, Gegenstände und vor allem eine größere Levelvielfalt geben. Denn trotz Zufallsgenerierung sehen die Dungeons derzeit allesamt nahezu identisch und mit ihren ockerfarbenen Böden und Wänden relativ trist aus. Ein abschließendes Urteil über Crawl zu fällen, ist dennoch nicht schwierig. Ungeachtet seiner offenkundigen Unvollständigkeit, entfaltet das Spiel schon jetzt sein Potenzial, wirkt für einen Early-Access-Titel sehr ausgereift und sieht großartig aus. Ganz gleich, ob man dabei ein paar Karmapunkte einbüßt, oder nicht: Es lohnt sich.