Die Götterdämmerung am Horizont: Gods Will Be Watching
Ein Tag hat nur 24 Stunden, eine Stunde nur 60 Minuten und eine Minute nur 60 Sekunden. Die Erfindung der Zeit teilt das Leben von uns Menschen in kleine Häppchen ein. Wir, die wir nicht nur Geld verdienen, sondern uns zum Wohle der Gesellschaft im Idealfall auch noch selbst verwirklichen wollen, müssen uns darin üben, diese Zeit sinnvoll einzuteilen. Das zwingt uns zu folgenschweren Entscheidungen: Denn wer weniger Zeit in seinen Job investiert, hat auch weniger Geld, das er in kostspielige Freizeitvergnügen stecken kann. Wer jedoch mehr arbeitet, sieht seine Familie seltener, und wer seine Familie häufiger sieht, gerät möglicherweise im Berufsleben schneller ins Rudern. Wer in dieser Übung versagt, erkrankt womöglich am Burnout-Syndrom.
Das Leben in der postmodernen Gesellschaft ist ein permanentes Jonglieren zwischen verschiedenen Tätigkeiten. Welche drastischen Folgen ein derart strukturiertes Leben haben kann, zeigen die Entwickler von Deconstructeam in Gods Will Be Watching.
Als Spieler schlüpfe ich dabei in die Rolle von Abraham Burden, der für die Everdusk Company tätig ist. Als Spion unterwandert er Xenolifer, eine Organisation, bei der ich mir selbst das gesamte Spiel über nie so ganz klar werde, ob es sich nun um Terroristen oder um Freiheitskämpfer handelt, die mit fraglichen Methoden arbeiten. Ihr Ziel ist durchaus unterstützenswert: In einem Universum, in dem die Menschheit sämtliche Aliens versklavt, kämpfen sie für die Gleichberechtigung der außerirdischen Spezies. Allerdings haben sie kein Problem, dabei mit Biowaffen zu hantieren oder Geiseln über den Haufen zu schießen. Ich, der Spieler, befinde mich mittendrin in diesem Konflikt, muss ständig Entscheidungen treffen, die im schlimmsten Fall dazu führen können, dass andere Figuren das Spiel nicht überleben.
Gods Will Be Watching hat dabei zwar Aussehen und Steuerung eines klassischen Point’n’Click-Adventures, spielt sich in der Praxis aber vielmehr wie ein kompliziertes Puzzlespiel. In jedem Kapitel präsentieren mir die Entwickler eine Situation mit neuen Faktoren, die ich beeinflussen kann. Am Anfang ist das etwa ein Überfall auf eine Raumstation – inklusive Geiselnahme. Während es meine Aufgabe ist, die Geiseln in Schach zu halten, muss ich
gleichzeitig einem Hacker Befehle erteilen, der versucht, in ein Computersystem einzudringen. Das muss so schnell wie möglich geschehen, denn vor der Tür lauert schon die schwer bewaffnete Staatsmacht, die drauf und dran ist, die Situation mit Waffengewalt aufzulösen. Die Soldaten rücken immer näher, Verhandeln hält sie kurz auf, Schüsse drängen sie zurück. Schüsse machen aber auch die Geiseln nervös und wenn die durchdrehen, bleibt mir nur noch, sie zu erschießen — woraufhin mir wiederum ein Druckmittel weniger für Verhandlungen zur Verfügung steht. Gleichzeitig darf ich die Sicherheit der nach wie vor laufenden Hacker-Aktion nicht aus den Augen verlieren und muss immer wieder regulierend eingreifen, ansonsten löst der Softwareingenieur einen Alarm aus. Stürmen die Soldaten den Raum oder sterben alle Geiseln, ist das Spiel vorbei.
Ich habe etwa zehn Mal versucht, diese Situation zu lösen, es jedoch nicht einmal ansatzweise geschafft. Schließlich wechselte ich entnervt in den leichteren Schwierigkeitsgrad. Dass die Puzzlemechanik des ersten Kapitels plötzlich leicht lösbar war, fühlte sich zunächst wie erfolgreiches Höhentraining an. Aber schon im Kapitel darauf, eine Folterszene mit dem Protagonisten in der Rolle des Gefolterten, starb ich wieder tausend Tode. Kurzum: Gods Will Be Watching ist furchtbar schwer und nichts für ungeduldige Menschen, die sich nicht vorstellen können, Notizen zu einem Videospiel auf ein Blatt Papier zu machen. Auch das ist im weiteren Spielverlauf bitter nötig, Hilfestellungen bietet Gods Will Be Watching kaum. So können Spieler etwa den Gesundheitszustand einer Figur lediglich an ihrer Körperhaltung ablesen. Auf rockpapershotgun.com beschreibt John Walker den Spielablauf als eine Art dialogbasierte Management-Simulation. Tatsächlich ähneln einzelne Spielabschnitte ihrer Mechanik nach einem Eishockey-Simulator.
Insgesamt besteht Gods Will Be Watching aus sieben Kapiteln, von denen jedes ein einzigartiges Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren und Handlungsmöglichkeiten ist, die sich gegenseitig beeinflussen. Meist hat die Vernachlässigung eines Faktors dabei ein jähes Ende des Spiels zur Folge, zumindest jedoch den Tod einer Figur. Über allem schweben die Götter, die meine Entscheidungen moralisch bewerten. Nach jedem Kapitel vergleicht das Spiel meine Handlungen, ähnlich wie bei Telltales The Walking Dead, mit denen anderer Spieler.
Sich in jedes Kapitel neu einzuarbeiten und herauszufinden, worum es diesmal geht, ist eine wahre Freude. Weil ich es bei Gods Will Be Watching nicht mit leblosen Puzzle-Elementen zu tun habe, sondern mit schwerwiegenden, moralischen Entscheidungen bis hin zur Koordination von Menschenversuchen, wird ausgiebiges Herumprobieren auch nach zahlreichen Versuchen nicht langweilig. Allerdings wiegen die Folgen meiner Handlungen gefühlt immer weniger:
Bin ich am Anfang noch schockiert, als es im Rahmen der Folterszene meinen Kumpel in zwei Hälften zerreißt, ist diese Szene nach dem vierten Anlauf nur noch ein kalkulierbares Element des Spiels. Ich fluche, wenn es doch passiert – allerdings nur, weil ich mich über meine Fehler ärgere und nicht, weil mir das grauenvolle Ableben meines Kollegen nahe geht. Auch bleiben viele Figuren zu Beginn blass, eine Charakterentwicklung wird erst nach etwa der Hälfte des Spiels spürbar. Nebencharaktere seien bloße Gameplay-Elemente, schreibt gar zockworkorange.com.
Der Prototyp von Gods Will Be Watching entstand 2013 für den Game Jam Ludum Dare 26. Eine erfolgreiche Indiegogo-Kampagne ermöglichte den Entwicklern, das Spiel um eine nachdenklich stimmende Science-Fiction-Geschichte über Verrat, Moral und Ethik zu erweitern. Beim Spielen tritt diese bisweilen hinter die Puzzlemechanik, allerdings nur, um wenig später umso dramatischer zurückzukehren. Dies sei eine Demonstration dafür, dass es immer noch neue Wege gebe, Geschichten zu erzählen, schreibt Rowan Kaiser bei IGN.com. Gods Will Be Watching ist einerseits ein Spiel für Rätsel-Masochisten, andererseits aber auch ein Titel mit einer eindringlichen Botschaft: Es ist unglaublich schwer, immer alles richtig zu machen. Die Konsequenzen für unsere Fehler tragen wir trotzdem.