Elegy for a Dead World: Astronauten-Lyrik
Ich bin es mittlerweile gewohnt, von Videospielen zu allem möglichen aufgefordert zu werden. Ohne es zu hinterfragen leiste ich Folge. Baue ein Haus. Sammle 20 Rubine. Töte alle Feinde, und hinterfrage am Besten nicht warum sie deine Feinde sind. Rette die Prinzessin (und manchmal vielleicht auch den Prinzen). Ich bin es gewohnt, nicht mehr als die Illusion von Freiheit zu haben. Ich kann durch den Hintereingang schleichen oder durch die Vordertür stürmen, aber am Ende ist es nur die Wahl zwischen rechts und links. Elegy for a Dead World stellt mich vor eine andere Aufgabe und vor eine andere Freiheit: Ich soll eine Geschichte schreiben. Das letzte mal, dass ich dazu aufgefordert wurde, war vermutlich in der Grundschule. Doch die schlichte Aufforderung selbst etwas schreiben zu sollen lässt mich mehr zögern, als jeder Aufruf zum virtuellen Massenmord.
Ich bin ein*e Astronaut*in, ob ich ein Mensch bin weiß ich nicht, aber vor allem bin ich Archäolog*in. Während ich die Landschaft verlassener Planeten auf einem linearen Pfad von links nach rechts durchwandere erscheinen immer wieder Freitextfelder. Sie können vorgegebene Textfragmente haben, deren Lücken ich fülle. Sie können aber auch völlig leer sein. Freitextfelder in einem Videospiel können etwas überraschend beunruhigendes sein. Nicht mit Klicks, sondern mit meinen Worten treffe ich Entscheidungen. Es sind keine unmittelbaren Entscheidungen, wie die, welche von zwei Figuren ich in The Walking Dead rette. Meine Entscheidung hat keinen Einfluss auf diese toten Welten und doch beeinflussen sie die virtuellen Leben von Tausenden oder vielleicht Millionen. Niemand ist noch da, der die Geschichte dieser Welt selbst erzählen kann. Es liegt in meiner Hand, sie zu erfinden. Und so beginne ich zu schreiben.
Fifty thousand years ago, this was home to _______________.
Elegy for a Dead World fragt mich nicht seine Welten zu verändern, sie zu retten oder zu zerstören. Es bittet mich darum, sie mit meiner Phantasie zu bereichern. Die Geschichte, die ich schreibe, kann ich online mit anderen teilen. Damit nimmt sich das Spiel selbst aus dem Bild und wird nur zu einem Schubser ins kalte Wasser des kreativen Schreibens. Und auch hier merke ich wieder, welche Hemmungen sich aufbauen. Einen albernen, traurigen, witzigen, schlechten oder großartigen Text schreiben ist das eine, ihn anderen zeigen etwas anderes. Dabei kann ich Elegy for a Dead World kaum spielen, ohne zumindest auch etwas von mir preis zu geben, und sei es nur unterbewusst. Die Zeit im Spiel mag nicht lang sein, aber die introspektive Erfahrung die es hinterlässt endet nicht mit dem Beenden des Stücks Software auf meinem Computer. Elegy for a Dead World verlangt nicht gespielt zu werden, es verlangt dass ich mich voll und ganz darauf einlasse.
Just as when we first _______________, I _______________.
“Walking simulator”, “nongame”, “social game”… in den letzten Jahren sind viele oft abwertend verwendete Begriffe entstanden um Spiele zu beschreiben, die nicht in die bisher vorhandenen Schubladen passen. Elegy for a Dead World wird vermutlich viele davon hören müssen, aber keines davon wird diesem Spiel auch nur ansatzweise gerecht. Ich habe Elegy for a Dead World eine knappe halbe Stunde gespielt, als ich das erste Ende erreichte, und ich war verwirrter, aber berührter als nach manch längerer Erfahrung. Genau wie die Figur im Raumanzug mit mir eine vergangene Welt rekonstruiert, versuche ich nun meine Erfahrung zu dokumentieren. Ich war nie näher dran zu verstehen, warum ich lieber über Spiele schreibe, die mir wenig sagen, als die, die mir viel zu sagen versuchen — das gilt nicht nur für Elegy for a Dead World.
If you listen closely here, you can hear _______________. They say it’s _______________.
Als ich die erste Welt durch das Portal am Ende verlasse, bemerke ich, dass die Geschichte die ich über die 13 angebrochene Satzfragmente erdacht habe, eine Entwicklung begonnen hat. Wie die Science-Fiction-Klischees, auf die ich mich Anfangs noch ironisch verließ, einem melancholischen Abgesang gewichen sind. Eine Geschichte über Einsamkeit und fehlendes Verständnis, über Selbstherrlichkeit und Arroganz. Und ohne dass ich ahnen konnte, welche Landschaft das letzte sein würde, das ich von diesem Planeten sehe, vermischte sich meine Erzählung mit der der Landschaft und erzeugte eine tief sitzende, bittere Pointe. Beinahe als wäre es geplant gewesen. Und das ist letzten Endes das Einzigartige an Elegy for a Dead World: Nicht, dass es Spielende auf bizarre Planeten entführt, sondern einen Blick in ihre eigene Fantasie werfen lässt. Dort gibt es mehr zu entdecken, als ihr glaubt.