Mobbing, Sexting, Zeitreisen – willkommen im Küstenörtchen Arcadia Bay. Die 18-jährige Maxine “Max” Caulfield verlässt ihr wohlbehütetes Elternhaus in Seattle, um sich in ihrem einstigen Heimatort, den sie und ihre Familie vor fünf Jahren verließen, an der Blackwell Academy dem Fotografie-Studium zu widmen. Müsste ich Max in drei Worten beschreiben, würde ich sie als introvertiert, sensibel und talentiert bezeichen. Im Zuge einer Gewalttat zwischen Mitschülern, deren Zeugin sie wird, entdeckt Max plötzlich ihre Fähigkeit, bis zu 10 Minuten in der Zeit zurück reisen zu können. ◀◀ Müsste ich Max in drei Worten beschreiben, würde ich sie als introvertiert, talentiert und übernatürlich bezeichnen.
Life is Strange gibt sich Mühe, gemocht zu werden. Und das gelingt. Die Orte sind lebhaft gestaltet und mit Details gespickt, die es zu erkunden gilt, sofern dem Spieler daran gelegen ist. Alles kommt ungewohnt entschleunigt daher — es herrscht kaum Zeitdruck, da ja selbst in brisanten Situationen die Uhr zurückgedreht werden kann, um Entscheidungen zu überdenken und Handlungen ungeschehen zu machen. Das fühlt sich aber eigentlich nur selten an, als würde man betrügen, da Alltags-Entscheidungen fernab von Zombies und Elite-Solaten in ihrer Tragweite überschaubar bleiben. Es geht – abgesehen vom dramatischen Einstieg – weniger um Leben und Tod, sondern mehr um Leben und Leben lassen. Umwoben von einer Mystery-Soap über Liebe, Freundschaft und das ungeklärte Verschwinden einer Kommilitonin. In manchen Momenten habe ich das Gefühl, Hideo Kojimas Handschrift zu erkennen, sofern er auf einer Blumenwiese von Pandas aufgezogen worden wäre.
Life is Strange wird von einem Singer-Songwriter-Soundtrack begleitet, der die Grundstimmung transportiert und geschickt eine Melancholie intensiviert, die die Handlung selbst nur bedingt vorweist. Da spürt man merklich angestrebte Parallelen zum Kino. Wer diesen Effekt am eigenen Leib erfahren möchte, muss lediglich den Trailer-Song aufrufen und den Artikel von vorne beginnen. ◀◀
Autor Christian Divine greift nicht nur tief in die Klischee-Kiste seichter Highschool-Teenie-Dramen, sondern platziert auch diverse Patzer in der Geschichte, die besonders ins Auge fallen, wenn man Life is Strange aus cineastischer Sicht betrachtet. Das fängt bei Kleinigkeiten an (Ich halte es für äußerst unrealistisch, dass Max ihr zerissenenes Foto auf dem Boden der Schultoilette entsorgt, wo es früher oder später Aufmerksamkeit erfährt, die nicht in ihrem Sinne ist) und manifestiert sich in einem Verhalten, das ich stellenweise von 13- oder 14-Jährigen erwarten würde, nicht jedoch von volljährigen Studentinnen und Studenten. Das ist schade, da Life is Strange damit versäumt, Geschichte zu schreiben. Etwas mehr Mut zur Subtilität hätte dem Gesamtwerk womöglich gut getan. Auf der anderen Seite nimmt Max die Entdeckung ihrer übersinnlichen Fähigkeit erstaunlich gefasst auf und integriert sie in ihren Alltag, als wäre nichts gewesen. (Aber nun gut, ich muss zugegeben, dass ein Nervenzusammenbruch gefolgt von einer Einweisung in die Psychiatrie einen arg abweichenden Plot ergeben hätte.)
So sehr ich Life is Strange unterm Strich auch mag, so wenig teile ich die Euphorie, mit der das Spiel mancherorts beworben wird. Was mir hier geboten wird, ist kein spielbarer Indiefilm auf dem Niveau von Donnie Darko, sondern eine Instagram’sche Seifenoper zwischen Dawson’s Creek und Twilight Zone. Das ist schön und gut und nett, aber von einer Revolution in etwa so weit entfernt, wie die Lindenstraße von der Wall Street. Bei aller Kritik möchte ich Life is Strange aber nicht seine vorhandenen Qualitäten absprechen und freue mich auf die nächste von insgesamt fünf Episoden. Bleibt zu hoffen, dass die gefallenen Entscheidungen im Spiel tatsächliche Auswirkungen haben und nicht nur suggerierte, wie es bei den Adventures von Telltale Games der Fall ist. ◀◀