Mit Schwung gegen die Kollisionsabfrage: The Sun and Moon
Wenn in der Geometrie zwei Objekte miteinander kollidieren und dies durch eine rechnerische Methode erkannt wird, heißt diese Methode Kollisionsabfrage. In Computerspielen ist sie von unschätzbarem Wert, damit Figuren nicht durch Wände laufen oder Böden fallen und Projektile auch ihr Ziel treffen. Gerade in älteren Spielen war die Kollisionsabfrage oft ein großes Manko von Spielen. Schüsse trafen Gegner dann beispielsweise nur, wenn sie an einer ganz bestimmten Stelle einschlugen. Heute tauchen Mängel bei der Kollisionsabfrage hauptsächlich in Form von Clipping-Fehlern auf – dann beispielsweise, wenn bei FIFA der Arm eines Spielers plötzlich im Magen seines Mannschaftskollegen steckt. In The Sun and Moon wird nun das bewusste Abschalten der Kollisionsabfrage zur Spielmechanik.
Der Spieler übernimmt dabei die Rolle einer possierlichen Kugel mit zwei Augen, die in einer simpel gehaltenen Spielumgebung durch die Gegend hüpft. In jedem Level muss man eine gewisse Anzahl kleiner Punkte einzusammeln – dann öffnet sich der Weg zum nächsten Bereich. Durch simple Jump’n’Run-Einlagen lässt sich jedoch nicht jeder dieser Punkte erreichen. Vielmehr gilt es, im Sprung die Kollisionsabfrage zu deaktivieren und dann mit Schwung in den Boden einzutauchen. Während der Schwung erhalten bleibt, kehrt sich die Gravitation plötzlich um – die Spielfigur taucht also nur eine gewisse Zeit in die feste Materie ein und schießt dann umso schneller wieder heraus.
Erschwert wird die Navigation durch diverse Hindernisse, einfache, stationäre Stacheln, aber auch solche, die sich bewegen, Plattformen die plötzlich verschwinden, Feuerbälle und rotierende Levelelemente. Meist lassen sich solche Spielsituationen nur durch ein besonders geschicktes Ausnutzen des aufgenommenen Schwungs meistern – geht der einmal verloren, endet das oft mit dem Tod der Spielfigur – dem Sturz ins Bodenlose oder auf ein Hindernis. Der Level beginnt dann von vorn. Für das besonders schnelle Absolvieren von Spielabschnitten gibt es Boni in Form von Auszeichnungen.
Die Steuerung ist zwar zu Beginn recht gewöhnungsbedürftig und der Schwierigkeitsgrad steigt relativ schnell, allerdings stellt sich bald ein gewisses Gefühl von Kontrolle über den Protagonisten ein, trotz ungewöhnlicher Mechanik. Daniel Linssen (Birdsong, Roguelight) programmierte The Sun and Moon ursprünglich für Ludum Dare 29. Das Spiel belegte beim 48-Stunden-Wettbewerb den ersten Platz. Im Gegensatz zur damaligen Version wurde das Spielprinzip noch einmal erweitert – nicht nur durch eine Unzahl an Levels, sondern auch durch vereinzelte Bossgegner und viele neue Hindernisse. Gleich geblieben ist jedoch der hohe Schwierigkeitsgrad – Fehler werden sofort bestraft und meist gibt es wirklich nur einen, perfekten Weg durch ein Level, den der Spieler durch Orgien aus Versuch und Irrtum herausfinden muss.
Ebenfalls unverändert ist auch das schöne Gefühl von Geschmeidigkeit und Flow, das sich einstellt, wenn der richtige Weg einmal gefunden ist. Die Spielfigur schießt aus einer Plattform heraus, in die nächste hinein, schnell noch an gefühlten 30 Hindernissen vorbei, fliegt dann weit nach oben und landet dann im Idealfall direkt im Ziel. Erreichen dürften dieses Ziel jedoch nur diejenigen, die ihre Frustration so gut unter Kontrolle haben wie erfahrene Jedi-Meister.