Stranded: Magische Momente

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Als ich die zerschmetterten Überreste des Raumschiffes erneut verlasse, ist längst Nacht auf dem Planeten herein gebrochen. Schwer und behäbig stapft die Gestalt im Raumanzug durch die trostlose Wüstenlandschaft. Die Melancholie des Vortages scheint sich zu verstärken, die Aussicht auf Rettung ist immer unwahrscheinlicher. Doch dann setzt die Musik ein, und die Landschaft verwandelt sich in einem Moment, den ich schwerlich in Worte fassen kann. “Magisch” und “erhebend” wären Begriffe, die ich dem 19. Jahrhundert entleihen kann und die möglicherweise meinen Grad an Verzückung erahnen lassen.

Es hilft sicherlich, dass Stranded bei mir die richtigen Knöpfe drückt. Ein Raumschiff, abgestürzt in der Wüste eines fremden Planeten, geheimnisvolle Ruinen und merkwürdige Lebewesen. Mit diesem Setting könne man mir vermutlich alles verkaufen. Dazu erinnern mich die wohlgeformten Pixel von Peter Moorheads erstem kommerziellen Titel an den Grafikstil der alten Sierra-Spiele, der nie die Perfektion eines “Monkey Islands” erreichte und dem stets etwas Grobes und Unvollkommenes anhaftete – und der darum wohl eher selten zitiert wird. Hier jedenfalls passt er perfekt.

Stranded mag zwar auf den ersten Blick “retro” wirken und stilistisch auf die klassischen Point&Click-Adventures verweisen, doch seine Seele entstammt einer anderen und deutlich jüngeren Schule. Einer Schule, die von selbsternannten Verteidigern des Gaming gern mit dem Kampfberiff des “Walking Simulators” verspottet wird und der Titel wie Dear Esther oder Protheus angehören. Natürlich ließe sich darüber streiten, ob ein jahrtausende alter Begriff wie “Spiel” für eine solche Form von interaktiver Kunst ein treffender ist und inwiefern es sinnvoll erscheint, hier das gleiche Label zu verwenden, das man auch für Tetris und Call of Duty gebraucht. Doch die Existenzberechtigung sollte man ihnen nicht absprechen, ganz im Gegenteil.

So fehlt es auch Stranded an Rätseln, Inventar und Dialogbäumen. Es gibt keine bedeutsame Interaktion mit der Umgebung und eine kleine Übersichtskarte ist das Einzige, das die hinter einer Maske verborgene Raumfahrergestalt herbeirufen kann. Doch das (vermeintliche) Fehlen dieser Elemente gibt den Raum frei für eine wunderschön tragische Geschichte, erzählt nur mit Bild, Musik und einem Hauch von Bewegung. Und während ich die Rätsel, Inventarobjekte und Dialoge der alten Adventures längst vergessen habe und nur noch die Echos der Orte und Figuren und in meinem Kopfe hallen, wird mir Stranded lange im Gedächtnis bleiben.

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Stranded wäre beinahe uneingeschränkt zu empfehlen, gäbe es nicht ein winzig kleines Detail. Standed ist kurz. Wirklich kurz. Kurz kurz. So kurz, dass ich zum ersten Mal in meinem Umgang mit Videospielen überhaupt das Gefühl hatte, dass der Kaufpreis nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Spieldauer steht. Da hilft auch der vortreffliche Soundtrack, der in mp3-Form beigelegt ist, wenig. Andererseits haben es nur wenige Spiele geschafft, mich in einer solchen Kürze derart zu verzaubern. Und so findet Stranded, das muss ich neidlos anerkennen, den präzisen Moment für ein bedeutsames Ende. Jede weitere Minute wäre überflüssig, jeder weitere Satz ebenso.