Ridiculous Fishing: A Tale of Redemption

Nennt mir einen guten Grund, warum Ridiculous Fishing: A Tale of Redemption seinem Namen nicht gerecht wird, und ich fresse ein Boot. Nicht, dass ich Ahnung vom Angeln hätte oder beim Anblick zappelnder Meeresbewohner vermeiden könnte, kreischend in die nächste Wand zu laufen, doch ich behaupte mit Gewissheit: das hier ist mehr als der durchschnittlicher Angelausflug.

Es ist ein verheißungsvoller Anblick, als sich mir die offenen Gewässer von Ridiculous Fishing zum ersten Mal präsentieren. Ein bärtiger, alter Mann im kleinen Schiff, mit lebhaften Farben auf Formen in Schräglage stilisiert, ziert meinen iPhone-Bildschirm und vermittelt auf einen Schlag all das, was sich in den folgenden Stunden unter meinen Daumenspitzen abspielen wird. Cartoongrafik. Das Wasser, die Angel. Ein Hauch von Nachdenklichkeit. Die Ruhe vor dem Sturm. Der Mann heißt Billy und das hier ist seine Fabel von Fischen, Feuerwaffen und Erlösung.

Die langjährige Geschichte von Ridiculous Fishing beginnt bei einem kleinen Flashgame mit ähnlichem Namen. Bereits 2010 schufen Jan-Willem Nijman und Rami Ismail Radical Fishing, ihren ersten als Vlambeer veröffentlichten Titel, der ihnen große Beachtung bescherte und den bis heute meisterhaft bestrittenen Weg der unabhängigen Vollzeit-Spieleentwicklung wies. Zur Entwicklung einer iOS-Umsetzung bildeten die beiden zusammen mit Greg Wohlwend (Hundreds) als Grafiker und Zach Gage (SpellTower) als Coder anschließend eine Indie-“Supergroup”, der auf dem Weg zu noch größerem Erfolg nichts im Weg stehen sollte — bis sie ihre Idee als minderwertigen Klon im App Store erblickten.

Gamenauts’ Ninja Fishing bediente sich großzügig an dem, was den Grundstein für Ridiculous Fishing legen sollte, und stürmte mit leicht abgewandelter Mechanik in minderwertiger Grafik die Ranglisten bezahlter iOS-Applikationen. Die Veröffentlichung ließ sich auch nach rechtlichen Diskussionen nicht verhindern, das Team war am Boden zerstört, das Projekt im Stillstand und Vlambeer knapp vor dem Aus. Mitglieder der nunmehr unmotivierten Gruppe widmeten sich zukunftsreicheren Projekten wie Spelltower, Gasketball und Hundreds.

Dann ein Lichtblick: Vlambeers positive iOS-Erfahrungen mit Super Crate Box und vehemente Forderungen von Fans konnten das im Keim erstickte Feuer des Quartetts Mitte 2012 von Neuem entfachen. Auch wenn die Kopie klaffende Wunden hinterließ — nicht zuletzt deshalb, weil sie sich am Ruhm nährte, der Vlambeer zusteht — hatte das Team Vertrauen in vollkommene Transparenz und die Tatsache, dass zwar Spielideen, nicht aber die Kreativität ihrer Macher nachgeahmt werden können. Und die Herrschafften lagen goldrichtig: Das Ergebnis besticht in Optik, Spielspaß und Klang.


Jede Runde Ridiculous Fishing wird durchs wilde Schwenken und Betippen des iOS-Geräts ausgeführt und läuft nach dem gleichen Schema ab.

Schritt 1: Billy wirft seine Leine aus und hofft nicht etwa, dass etwas anbeißt, sondern manövriert die Schnur an den Meeresbewohnern vorbei und so weit wie möglich in die Tiefen des Ozeans.

Schritt 2: Billy hat keine Leine mehr oder erwischt ein Hindernis — es geht zurück nach oben und das umgekehrte Prinzip wird wirksam: Unterwegs nimmt er so viele Fische wie nur möglich am Haken mit. Keine Quallen. Quallen sind böse.

Schritt 3: Billy schleudert den vieläugigen Fischhaufen in die Luft, um ihn mit wildem Feuer aus den Zwillings-Uzis in eine rotgrüne Wolke aus Blut, Blei und schleimiger Kiemenpaste zu verarbeiten und seinen Kontostand zu erhöhen.

Fortschritt ist essentiell. Nach jedem Lauf, der je nach Geschick mehr oder weniger profitabel ausfällt, kann das gesammelte Geld beim Händler gegen Upgrades eingetauscht werden: Längere Leinen und größere Waffen, Hilfsmittel wie Lampen, Kettensägen, ein Toaster, selbst Hüte. Aus zerpulvertem Fisch wird Geld wird ein Upgrade wird mehr zerpulverter Fisch. Das zentrale Prinzip verändert sich nie, doch ist jede Runde durch die perfekt ausbalancierte Belohnungskurve ein bisschen besser, ein bisschen spannender als die letzte.

Billy wird stärker, reicht tiefer ins Wasser, duscht in noch mehr klebrigem Staub. Alles ohne In-App-Käufe — was der Klon nicht von sich behaupten kann. Das nächste Ausrüstungsstück ist stets nur ein Massaker entfernt und gestaltet jedes weitere zunehmend ridiculous. Ich, der Fischfeind, bin begeistert.

Und dann ist da noch dieses Holzbrett.

Billys hölzerner iPad-Verschnitt ist sein ständiger Begleiter, der als Menü funktioniert das einsam herumtreibende Boot zum Händler und in verschiedene Angelzonen befördet. Eine herrlich getextete Fish-o-pedia liefert Informationen zu allen bisher getöteten gesammelten Fischarten und mittels eines integrierten Fake-Social-Networks namens Byrdr werden Billys Aktionen von Charakteren des Spiels retweetbar kommentiert. Genau das ist der Punkt, an dem ich in Ridiculous Fishing mehr erkenne als ein spaßiges, kleines Spiel über einen schießwütigen Angler.

Im Laufe der letzten Wochen sorgte die auf Twitter aufgetauchte Byrdr-Website für vielerlei Gespräche und Verwirrungen. Als clever gespieltes Alternate Reality Game wurde die Seite, die zunächst bloß wie die Präsenz eines generischen Internet-Startups erschien, benutzt, um mysteriöse Hinweise per Mail zu verstreuen. Diese wurden ausgiebig diskutiert, die Bedeutung Byrdrs für Ridiculous Fishing aber nie ganz aufgeklärt. Mittlerweile ist das Rätsel gelöst: Es ist wesentlicher Teil des Spiels und wird genutzt, um der reinen Einzelspieler-Erfahrung einen sozialen Aspekt zu verleihen — wobei sämtliche Interaktionen imaginärer Natur sind und andere Byrdr-Mitglieder beispielsweise durch Möwen, Vogeleier oder den Item-Händler vertreten sind.

Während ich, das gläsern-metallene, leuchtende iPhone in meiner Hand haltend, sehe, wie Billy auf hoher See auf einem einfachen Brett herumtippt, erinnere ich mich an Auszüge aus einer der seltsamen Byrdr-Mails aus der Feder eines gewissen “James Eagler”.

“I think that Byrdr is some sort of coping mechanism, a way to avoid dealing with a deeper problem.”

Klar, Byrdr ist Fiktion. Aber benutzt Billy, für sich und in seiner Welt, gerade wirklich ein soziales Netzwerk? Ist das in seiner Hand ein echtes Telefon oder ein Stück Baum? Geht dieser Mann gerade wirklich angeln? Ich schleudere Fische in die Luft, um sie mit meinen Akimbo-Uzis zur Strecke zu bringen, und denke über Realität, Wahnsinn und Verdrängung nach. Während Gold-, Kugel- und Tintenfische vor meinen Augen von allerstumpfstem Kugelhagel durchsiebt werden, verehre ich die Macher von Ridiculous Fishing für ihre Fähigkeit, ein ohnehin überragendes Spiel trotz seines laut “ARCADE!” schreienden Kerns mit einer Meta-Ebene auszustatten, die es lebendig und bis in gruselige Dateianhänge in meinem Email-Postfach greifbar macht.

Billys Reise, das ist mein einziger Kritikpunkt, ist eine kurze, doch hat sie einiges zu bieten, das man ihren Tiefen erst entlocken muss. Das hier ist mehr als ein durchschnittlicher Angelausflug. Ridiculous Fishing ist eine Geschichte, deren Erzählung zwischen fliegenden Fischen und Explosionen Platz finden muss und trotzdem durch unzählige Details wirksam erzählt wird. Vor allem ist es aber eine Geschichte von Spielemachern, die auch in schwierigen Zeiten an ihrer Vision fest hielten, Erlösung fanden und jedes Fünkchen Lob verdient haben.


Ridiculous Fishing ist seit dem 14. März 2013 für 2,69€ für die iOS-Geräte eures Vertrauens (iOS 5 und höher) erhältlich.