Austin Grossman: You
Austin Grossmans „You“ ist eine Geschichte über das Heranwachsen in einer Welt, in die man nicht zu passen scheint, und die anschließende Flucht in eine andere. Eine Schilderung der Adoleszenz einiger Menschen wie auch des Mediums Videospiel, erzählt in einem unterhaltsamen, aber kruden Stilmix, der in eine Hommage an alte Filme mündet, in denen Teenager an ihren Heimcomputern urplötzlich die Welt auf den Kopf stellen.
Russells Biografie ist eine Chronik des Scheiterns. Nach unzähligen Praktika und einem leidenschaftslos begonnenen Jura-Studium, beschließt er abermals, einem Lebensentwurf den Rücken zu kehren und sich dem nächsten zuzuwenden – ausgestattet mit einem Funken Hoffnung, dessen Halbwertszeit inmitten eines Gefühlspotpourris aus Leidenschaftslosigkeit und Lethargie, Minderwertigkeitskomplexen und latenter Depression allerdings denkbar kurz ausgefallen wäre, hätte sich der Endzwanziger – bedingt vielmehr durch Alternativlosigkeit als eine ernsthafte Läuterung – nicht kurzerhand auf seine Wurzeln besonnen. Und so beschließt er, in die Fußstapfen jenes Nerds zu treten, der er einmal war, und sich bei einem von drei seiner ehemals engsten Freunde gegründeten Entwicklerstudio zu bewerben. Dessen Entstehung wird im Folgenden parallel zu Russels Orientierungsphase beschrieben und entspinnt sich in einer Coming-of-Age-Geschichte, die geprägt ist von einem Generationenkonflikt, pubertären Wirren und vor allem: Videospielen.
Auch hier gilt der Mangel alternativer Handlungsmöglichkeiten als bestimmendes Motiv. Die vier Protagonisten, Russell, Simon, Darren und Lisa, finden vermeintlich vor allem deshalb zueinander, weil es sonst niemanden gibt, der sich mit ihnen befassen möchte. Tatsächlich aber wird daraus deutlich mehr – eine gemeinsam verlebte Jugend, die sich schließlich in einem Computerspiel manifestiert und in eben jenem „Black Arts“-Studio münden wird, in dem Russell zum Zeitpunkt der Erzählung Fuß zu fassen versucht.
All das wird ausgesprochen lebhaft geschildert. Die sprachliche Komponente ist meines Erachtens die größte Stärke von „You“ und lässt die Freude des Autors am Thema ungefiltert durchscheinen, verdeutlicht sein eigenes, ernsthaftes Interesse an den zwar klischeeüberladenen, aber komplexen Welten, die er mit Worten zeichnet. Bald allerdings wird deutlich, dass er sich dabei in seiner eigenen Faszination für fantastische Szenarien ebenso verliert wie einen Großteil der potenziellen Leserschaft, denn: Nicht jede/r dürfte seitenlange Schilderungen der Gesetzmäßigkeiten einer alternativen Welt mit jener Begeisterung aufnehmen, die ihnen zugrunde liegt. Zeitwilig wirkt es, als würde Austin Grossmann in die Rolle des überambitionierten Spielleiters einer Pen&Paper-Runde schlüpfen und dabei im Wahn sein ursprüngliches Vorhaben, einen Roman zu verfassen, schlicht aus den Augen verlieren. Das mag einerseits authentisch wirken und zum Verständnis jenes jahrelangen Erfolges beitragen, der dem fiktiven Studio „Black Arts“ und den meisten seiner Veröffentlichungen zugeschrieben wird, ist aber nach einer Weile ermüdend und trägt, neben den zum Teil wirren Perspektiv- und Tempuswechseln, deutlich dazu bei, dass die Aufmerksamkeit schwindet, potenziell Wichtiges auf der Strecke bleibt.
„So you really want to work here?“, he asked.
“I kind of do, Don. Law’s getting a little boring – I’m on to the next thing, you know?“
“Design? Programming? Assistant producer?“
„Design, I guess. Or producing. I’m not sure. My programming’s as shitty now as it ever was.“
Zudem gesellen sich zu diesen sprachlichen auch inhaltliche Unregelmäßigkeiten. Warum Russell überhaupt die Chance erhält, sich als neues Teammitglied von „Black Arts“ zu beweisen, ist und bleibt mir ein Rätsel – die weitere Entwicklung seiner Karriere denkbar unglaubwürdig. Der ewige Versager mag in der Rolle des Helden und Retters in der Not nichts Neues sein, ist jedoch kaum mehr als eine bloße Abzieh- anstatt einer Identifikationsfigur. Darüber könnte ich hinwegsehen, würde der chronisch melancholische, sich in Selbstmitleid ergehende Protagonist nicht angesichts der ihm eigenen Widersprüchlichkeit beinahe schizophren erscheinen.
Dass nun ausgerechnet jener, der dem Geektum peinlich berührt den Rücken kehrte, mit der größten Überzeugung an dem neuen „Black Arts“-Projekt arbeitet und seinen offensichtlichen Erfahrungs- wie auch Fertigkeitenmangel binnen kürzester Zeit ausgleicht, ist für meine Begriffe nichts weiter als eine romantische Überhöhung, die schließlich als Fundament eines ebenso verspätet wie urplötzlich aus dem RPG-Nachschlagewerk herausragenden Spannungsbogens dient, dessen erzählerische Qualität an jene 80er-Jahre-Filme anschließt, in denen jugendliche Computernerds die Welt bedrohten und/oder vor dem Zusammenbruch bewahrten. Das mag man als Nostalgie, als Tribut an die medialen Inhalte auslegen, durch die Russell und seine Weggefährten sozialisiert wurden, doch in der Ausführung wirkt es gleichermaßen unbedarft und in der Gegenüberstellung zu der detailverliebten Schilderung scheinbar unerschöpflichen Nerdwissens deplatziert.
Dabei ergeht sich Austin Grossman an sich nicht durchgängig in unreflektierter Videospiel-Romantik, sondern schildert ebenso lebhaft schlaflose Nächte und eine erste, ernüchternde Konfronation mit der hardumkämpften Wirtschaft, die den (gegenwärtigen) Weg des Mediums wesentlich mitbestimmt und das kindliche Ideal des perfekten Spiels auf dessen eng umrisssene, ökonomische Grenzen prallen lässt.
„I began to see how much money was involved, and that we’d lost control of the whole thing. Not that we’d ever had any. This wasn’t about kids trading floppy disks anymore.”
Hätte sich der hauptberufliche Videospieldesigner Grossman deutlicher auf seine eigenen Wurzeln besonnen, die stellenweise ausgesprochen interessanten Passagen zum Arbeitsalltag bei „Black Arts“ nicht künstlich mit hollywoodesker Spannung gefüllt, sondern stattdessen seinen Figuren und deren Entwicklung mehr Platz darin eingeräumt, so hätte „You“ bravourös eine der zahlreichen Lücken in der Reihe empfehlenswerter, fiktionaler Literatur mit entsprechendem Themenbezug schließen können.
Nun aber ist es ein wüstes Sammelsurium, in dem Realität und Virtualität ebenso verschwimmen wie der rote Faden der Geschichte, ein Zeugnis der Unentschlossenheit. Vielleicht gerät es jedoch eben dadurch zu einem passenden Abbild des vielfältigen Mediums und seines variablen Einflusses auf immer mehr Menschen. Ganz gleich, was nun zutrifft: Trotz aller Kritik ist „You“ ein unterhaltsames Buch, das durch eine vielseitige Sprache besticht und zahlreiche Verweise auf die Entwicklung der Video- und Computerspiele in den 80er und 90er Jahren enthält. Sie sind die Basis für etwas, das “You” mit Leichtigkeit auch in mir wecken konnte und mich zum Weiterlesen animierte: Nostalgie.