Walker/Molyneux: Peter und der Wolf

Als US-Präsident Barack Obama in dieser Woche vergeblich versuchte, einen zu groß geratenen Keks in ein Glas Milch zu tunken, spielte er damit auf ein Meme an, das aus einer immer mehr ins Absurde abdriftenden Schuldzuschieberei gegen seine Person resultierte. Neben der berechtigten Kritik an nicht gehaltenen Wahlversprechen, sollte das Staatsoberhaupt plötzlich auch verantwortlich dafür sein, dass das Lieblingsbier im Supermarkt vergriffen war oder die eigene Ehe in Scherben lag. Doch Obama weiß um seine Rolle als Sündenbock und mit der Keksaktion beweist er nicht zum ersten Mal, dass er dennoch darüber lachen kann. Peter Molyneux, der nach den Ereignissen dieser Woche praktisch als das Gesicht der leeren Versprechen einer ganzen Industrie hingestellt wurde, vergeht dabei zunächst einmal der Spaß.

godus

“I’m trying to establish that you don’t tell the truth.”
(John Walker, Symbolbild)

In einem Artikel mit Eurogamer am Mittwoch wurde nun öffentlich, wie nachlässig Molyneux‘ Entwicklungsstudio 22Cans bisher mit der Einlösung des lebensverändernden Gewinns aus dem Curiosity-Zauberwürfel verfahren ist. Ein junger Mann namens Bryan Henderson mochte zwar als weltweit einziger Mensch den Kern des ominösen Würfels erreicht haben, doch gefunden hatte er darin nur eine Email-Adresse, von der ihm ab einem gewissen Zeitpunkt niemand mehr antwortete. Bis zum heutigen Tag ist er ein Sieger ohne Gewinn, doch großartige Verwunderung oder Empörung über diesen Umstand gab es kaum. Schließlich hatte Molyneux, der einst mit Populous, Syndicate oder Dungeon Keeper zu einem der wenigen Stars in der Spielebranche aufgestiegen war, einen großen Teil seiner Glaubwürdigkeit durch eine Reihe verfehlter Versprechen und übertriebener Ankündigungen zu diesem Zeitpunkt längst verspielt. Wer seinen Werdegang in den letzten 15 Jahren verfolgt hatte, musste zumindest skeptisch sein, was die im Vorfeld getätigten, vollmundigen Aussagen über die zu erwartende Qualität des Gewinns betraf. Bryan Henderson war das nicht, schließlich hörte er zum ersten Mal nachdem er das letzte Würfelstückchen zerlegt hatte von der Person, die sein Leben unbedingt verändern wollte. Bryans Leben blieb, wie es war. Stattdessen könnte nun das Folgeinterview zwischen Rock Paper Shotgun und Molyneux dessen eigenes Leben nachhaltig verändern.

“Do you think that you’re a pathological liar?”
(John Walker)

Es ist ein bizarr aus dem Ruder gelaufenes Gespräch, geführt von John Walker, dessen Name einem vielleicht schon einmal in der Spirituosenabteilung des örtlichen Getränkemarkts begegnet ist. Und weil Nomen bekanntlich auch Omen est, hat sich Walker offenbar das ein oder andere Glas Mut angetrunken. Anders ist es kaum zu erklären, dass er direkt zum Einstieg Molyneux die recht forsche Frage stellt, ob er sich selbst für einen pathologischen Lügner halte. Dies ist also der respektlose Grundstein für ein überbordendes, mitunter schwer erträgliches Interview, inklusive Unterbrechern, Flüchen und Stotterern. Kein Gespräch unter Branchenkollegen, sondern eines voller Wut und Enttäuschung. Ein Verhör, das nicht nach Informationen, sondern auf Bloßstellung aus ist. Ein Umstand, der beiden Seiten schlussendlich immensen Schaden zufügen könnte.

Allen voran natürlich Molyneux und dessen Produktionsfirma, die, wie man im Interview erfährt, bereits jetzt auf finanzieller und personeller Ebene nicht unbedingt die dicksten Winterreifen aufgezogen hat. Der Angeklagte Peter M. äußert daraufhin wiederholt selbst den Verdacht, Walker würde ihn am liebsten von der Bildfläche und den Bildschirmen verschwinden lassen, zu wenig scheint dieser schließlich an seinen Antworten interessiert. Walker schreitet vielmehr über die Scherben einer einst so umjubelten Karriere und zieht daraus die Energie für weitere Attacken, als befände er sich auf einem Motivationsseminar für sauerländische Sparkassenmanager. Fernab jeder Seriosität und journalistischer Distanz will er der Welt am Ende keine Hintergründe und Probleme präsentieren, sondern einfach nur einen geständigen Lügner.

henderson

“I don’t really know how to explain how I feel. It’s already forgotten about. Everyone’s forgot about it, including me, and I won it. I know a lot of people will find it strange that I’m not pissed off. Maybe I should be. I don’t know.” (Bryan Henderson)

Dass Molyneux ihm diese Genugtuung nicht gönnt, verkommt dabei fast zur Randnotiz. Walker mag ihn immer wieder mit seiner über 30 Jahre währenden Erfahrung als Spieleproduzent konfrontieren, vergisst dabei anscheinend aber auch die damit einhergehende Abgebrühtheit des Schwarzen Peters, der die enttäuschten Erwartungen stets mit dem Schüren von neuen abzufedern versucht. Eine Strategie, mit der er auch Walker beizukommen versucht, doch nach dem Abschluss des Gesprächs stehen beide als Verlierer da. Walker, der mit seiner unprofessionellen und gängelnden Art der Interviewführung den guten Ruf seines Online-Magazins aufs Spiel setzt und Molyneux, der zum ersten Mal tatsächlich nicht zu wissen scheint, wie er sich doch noch rauswinden kann.

Nicht zuletzt deshalb hat letzterer nun verkündet, mit der Presse nicht mehr reden zu wollen. Eine Trotzreaktion ist das aber freilich nicht. Vielmehr ist der mutmaßliche Bösewicht nun in der Opferrolle, weil Walker statt einen Lügner nur seine eigene voreingenommene Position entlarvt hat. Denn das Problem falscher Versprechungen und täuschender Hypes an einer einzelnen Person festmachen zu wollen, musste zwangsläufig ins Leere laufen, da dies seit Jahrzehnten branchenweit eine vollkommen gängige Praxis ist. Molyneux mag diese Praxis über die Jahre perfektioniert haben und somit durchaus als Projektionsfläche für enttäuschte Spielerinnen und Spieler geeignet sein, doch lenkt man damit nur von der komplexeren Verzahnung seines Handelns ab.

“I think people are just sick of hearing from me. They’ve been sick of hearing from me for so many years now. You know, we’re done.”
(Peter Molyneux)

Der Grund, weshalb er trotz einer ganzen Serie enttäuschender Produktionen dennoch über eine halbe Million Pfund für Godus über Kickstarter generieren konnte, liegt nämlich nicht allein an seinen übertriebenen Verheißungen, sondern ebenso an der unhinterfragten Verbreitung jener Luftschlösser als sogenannte News durch unzählige Magazine und Spieleseiten. Hype verkauft eben nicht nur ein Produkt, sondern alles, was diesen mitzutragen bereit ist. Und letztlich lässt man sich ja auch gern belügen und will glauben, dass dieses Spiel tatsächlich gut wird, der Freund einen nie wieder mit einer anderen betrügt oder Apple-Chefchen Tim Cook mittlerweile weiß, was das Wort “revolutionary” wirklich bedeutet. Weil es eben nur so läuft, hat auch Rock Paper Shotgun im Vorfeld zu Godus mehrere harmlose Marketing-Interviews geführt, in denen weder die erklärten Ambitionen in Frage gestellt noch die gescheiterten der Vergangenheit angesprochen wurden. Man ist voneinander abhängig und es scheint fast so, als hätte Walker während seines Interviews diesbezüglich einen ziemlich heftigen Filmriss gehabt.

Molyneux hingegen muss man zu Gute halten, dass er die Rolle des Sündenbocks stets angenommen und sich schützend vor seine Belegschaft gestellt hat. Er hat nie zurückgefeuert, selbst jetzt nicht, weil er weiß, dass sich alle Räder weiterdrehen müssen, damit der Motor nicht ins Stottern gerät. Es ist der Motor einer Maschine, die keinen Rückwärtsgang besitzt. Ein Spiel verschwindet zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung aus der allgemeinen Wahrnehmung, viel zu interessant sind die Previews und Ankündigungen des nächsten heißen Scheiß. Denn alles was kommt, kommt mit dem naiven Versprechen, stets größer, schöner und besser als alles davor Dagewesene zu sein. Ein Innehalten ist in diesem Klima kaum möglich, weshalb auch Bryan Henderson, dessen Leben Molyneux mit Curiosity doch so gern eine neue Wendung gegeben hätte, nach eigener Aussage bereits heute nicht mehr an all die falschen Versprechen denkt, die ihm gemacht worden sind. Und in einem zukünftigen Interview wird auch die Presse vergessen haben, dass der nette Mann im schwarzen Rollkragenpulli gegenüber eigentlich nie mehr mit ihr reden wollte.