Hertz an Hertz: Videospiele und die Liebe
Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sang einst Connie Francis voller Inbrunst, noch bevor Atari mit Pong das einläutete, was wir heute unter dem Begriff Videospiel verstehen. Knapp 50 Jahre später decken Videospiele nahezu alle denkbaren und undenkbaren Themenbereiche unseres Lebens ab, bisweilen auch die Liebe. Doch wo sie in sämtlichen anderen Unterhaltungsmedien praktisch das alles dominierende Überthema darstellt, ist die Liebe in Spielen oft nur eine Randnotiz, eine vorgeschobene Pseudomotivation, um das eigentliche Gameplay voranzutreiben. Ohne sie würde es schließlich keinen Sinn ergeben, dass ein rundlicher Klempner auf Schildkröten herum hüpft und mit Feuerbällen um sich schmeißt. Liebesgeschichten in Spielen sind nicht spielbar, sie finden in Cutscenes oder gleich gar nicht statt. Sie sind höchstens schmückendes Beiwerk und verkommen so zu einer Banalität, die befremdlich erscheint, ist so oft die Liebe doch der Motor, der uns antreibt. Doch warum ist Liebe nicht spielbar, wenn man doch über sie singen, schreiben und filmen kann? Warum wird ein solch zentrales Leitmotiv unseres Lebens in den meisten Spielen so stark vernachlässigt? Und wenn sie mal spielbar ist, warum fühlt sich das dann so seltsam an?
Nun, wenn man ehrlich ist, scheitern viele schon bei der Definition von Liebe als Begriff. Zwar heißt es so schön, Liebe sei eine universelle Sprache, doch ist sie eine mit unzähligen Nuancen, Dialekten und Akzenten. So grob meinen wir alle dasselbe, doch gibt es teils sehr unterschiedliche Abstufungen und Interpretationen dessen, was Liebe für einen persönlich bedeutet. Geprägt wird unser Bild von der Liebe aber auch nicht zuletzt durch die Bilder und Zeilen, die uns jeden Tag durch den Konsum von Unterhaltungsmedien vermittelt werden. Unterhaltungsmedien, zu denen längst auch Videospiele gehören, deren Präsentation von Liebe jedoch meist sehr eindimensional und antiquiert wirkt. Im Gegensatz zu den „etablierteren“ Medien scheinen Videospiele kein eigenes Gemälde von der Liebe malen zu wollen, sondern pausen unkommentiert ihre Vorstellungen dieses Gefühls von Mittelalterromanen und mexikanischen Telenovelas ab. So klischeebehaftet und unpersönlich präsentiert kann die Liebe kein ganzes Spiel auf ihren Schultern tragen, weshalb sie in so vielen Fällen auch rasch in den Hintergrund rückt. Oder fühlte sich wirklich jemand von der Geschichte zwischen Dom und Maria in Gears of War berührt? Erinnert sich tatsächlich noch jemand daran, was nun genau zwischen Adam Jensen und Megan Reed in Deus Ex: Human Revolution vorgefallen ist? Und wenn in Skyrim geheiratet wurde, fühlte sich das in irgendeiner Weise authentisch an, wenn doch die einzige Auswirkung der Eheschließung ein ständig wartender Ehepartner in der eigenen Hütte war?
Diese nebensächliche und emotionslose Darstellung von Liebe mag man diesen Spielen noch verzeihen, weil sie sich nicht primär mit ihr beschäftigen. Es ist jedoch bezeichnend, dass sie dennoch nicht ganz ohne sie auszukommen scheinen, so wie auch die meisten Hollywood-Produktionen selbst bei den explosionsreichsten Actionkrachern noch irgendeine oberflächliche Andeutung von der Triebfeder Liebe inkorporieren. Die Relevanz des Themas ist genreübergreifend, egal ob Science Fiction, Rollenspiel, Shooter, ja selbst ein Echtzeit-Strategietitel wie Starcraft kommt nicht ohne sie aus. Da ist es doch erstaunlich, dass man mit dem Thema nur in ganz wenigen Fällen direkt spielt. Wie etwa in Mass Effect, wo man in der Tat (Liebes-)Beziehungen über alle drei Teile der Serie hinweg pflegen kann. Dies geschieht hauptsächlich durch gewählte Dialogoptionen, was das Ganze ein wenig generisch und unpersönlich erscheinen lässt, aber das direkte Involvieren des Spielers in eine mehr oder minder romantische Geschichte ist ein tausendfach größeres Zugeständnis an die Bedeutsamkeit dieses Themas als all diese halbgaren Episoden aus den zuvor genannten Titeln. Diese vorgefertigten Dialoge bestimmen auch in zahlreichen anderen Rollenspielen, wie Dragon Age: Origins oder Baldur’s Gate, die Chancen, Liebe auf direktem Wege zu finden und ihr nicht nur bei ihrer eingeschränkten Entfaltung in langwierigen Zwischensequenzen zuschauen zu müssen.
Auch Catherine ist ein Spiel, welches dem Spieler einen unmittelbareren Zugang zum Thema ermöglicht, obgleich unter einer leicht abgewandelten Prämisse. Zum Einen ist hier die Liebe nicht eine spielerische Optionalität, die das Schnetzeln von Monstern lediglich begleitet, sondern das zentrale Thema. Zum Anderen ist das Spiel aufgeteilt, in einen Dialogbereich, in dem man, wie auch in anderen Titeln, die Beziehung (bzw. in dem Fall auch: die Affäre) vorantreibt, zudem gibt es einen Puzzlebereich, der in abstrakter Weise die Albträume der Spielfigur über Bindungsängste und fremdes Verlangen repräsentiert. Thematiken, die man in Videospielen sonst wohl eher nicht vermuten würde.
Doch nicht nur diese Konzentration auf das Liebesthema macht das Besondere von Catherine aus. Auch die Abkehr von der Direktheit hin zu einer bizarren Abstraktionsebene in der Darstellung von Beziehungsängsten, Untreue, Scham und Eifersucht beweist, dass auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe in Videospielen möglich ist. Dass die Behandlung von dysfunktionalen Beziehungen ebenfalls am besten auf indirektem Wege geschieht, zeigt das Browserspiel Loved, in dem Machthierarchien innerhalb einer Partnerschaft hinterfragt werden. Ist man folgsam oder ungehorsam? Wie viel darf ich mir von meinem Partner bieten lassen? Mit jedem neuen Schritt läuft man Gefahr, in eine tödliche Falle zu tappen und die so elementare Harmonie zu zerstören. Gerade, wer solch eine destruktive Beziehung selbst einmal durchleben musste, wird trotz dieser ungewöhnlichen visuellen und spielerischen Umsetzung ein gewisses Verständnis für das eigene Erlebte erfahren können. Und wer zu den wenigen Glücklichen gehört, die bisher immer nur in harmonischer Zweisamkeit mit ihren Partnerinnen und/oder Partnern gelebt haben, kann hier dennoch einmal über den eigenen Erfahrungstellerrand blicken und ohne viele Worte erfahren, wie zerrissen und zwiegespalten die innere Gefühlswelt unter solch belastenden Umständen sein kann.
Doch dieses tiefe Eintauchen in die Thematik bringt auch Fallstricke mit sich. Die Auseinandersetzung mit derlei sperrigen und unbequemen Bereichen der Liebe verspricht keinen kommerziellen Erfolg, eher das Gegenteil ist wahrscheinlich. Ähnliche Gedanken muss man sich zwar auch bei den anderen Unterhaltungsmedien machen, jedoch leidet kein anderes Medium so sehr unter dem Presslufthammer der Bespaßungsverpflichtung wie das der Videospiele. Und Liebe macht schließlich nur bedingt Spaß. Die meiste Zeit bereitet sie einem stattdessen Kummer und Schmerz und ist für unzählige falsche Entscheidungen, die wir treffen, mitverantwortlich. Wir sehnen uns nach einem Happy End in Filmen und Büchern und können völlig ausblenden, dass dieses Ende eigentlich nur ein Zwischenstopp ist. Wer will sich schon ausmalen, wie Harry seinen Job verliert und daraufhin im Alkoholrausch auf Sally einprügelt, weil mit ihr die ganze Scheiße doch erst angefangen hat? Ein Kuss wirkt da einfach viel aufmunternder und weckt die Hoffnung, dass auch man selbst irgendwann total happy endet. Wer also die ökonomischen Faktoren bei der Entwicklung eines Spieles nicht außer Acht lassen kann oder will, der darf Liebe entweder nur oberflächlich oder am besten überhaupt nicht behandeln.
Grund dafür ist sicherlich auch die starre Zielgruppenfixierung innerhalb der Industrie. Nach wie vor richtet man seine Marketingblicke hauptsächlich auf Jugendliche und junge Erwachsene, davon zudem überwiegend auf die männlichen. Schließlich hat das früher gut funktioniert und, so scheint es, funktioniert auch heute noch ganz hervorragend. Nur ist das eben nicht die Zielgruppe, der man mit großartigen Abhandlungen über Liebesgedöns kommen kann. Dazu fehlt es ihr an Interesse, Erfahrung und Reife. Der eigene Pipimann ist in dem Alter eben noch ein wenig wichtiger als die großen Gefühle. Solange sich also der Horizont entwicklerseitig im Hinblick auf diese Selbstbeschränkungen bei der Zielgruppendefinition nicht erweitert, solange wird der Videospielmarkt für die Liebe auch zwangsläufig ein bedeutungsloser bleiben. Das wäre an sich schon schade genug, aber insbesondere unter Berücksichtigung neuer Technologien und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten, dem Spieler das Thema Liebe besser erfahrbar und direkter spielbar zu machen, wäre es ein enormer Verlust für die Bandbreite des Mediums. Was hat man schließlich von all den schönen Touchscreens und Oculus Rifts, wenn man doch nur denselben Kram darauf umsetzt, den man schon seit Jahrzehnten spielt? Jede Menge Spaß, schon klar. Aber ein wenig mehr als das wäre trotzdem ganz cool.
Liebe und Videospiele, bisher ist es wohl nicht mehr als eine Hassliebe. Man findet irgendwie nicht wirklich zueinander, aber ganz ohne will man dann auch wieder nicht sein. Das muss alles nicht so bleiben. Liebe und Videospiele können zusammen mehr sein als eine virtuelle Hochzeit in World of Warcraft oder eine Obsession für bestimmte Körperbereiche einer Lara Croft. The Walking Dead hat gezeigt, wie man die fürsorgliche Liebe zu einem Kind nachempfindbar machen kann, Alice: Madness Returns lehrte Empathie für die Fluchtbedürfnisse von Missbrauchsopfern, warum soll dann ausgerechnet so etwas Alltägliches wie eine Paarbeziehung in Spielen nicht umsetzbar und vermarktbar sein? Vielleicht liegt es einfach daran, dass Liebe doch keine universelle Sprache ist. Es sind nicht nur Dialekte, die uns in unserem Verständnis von ihr trennen, es sind manchmal sogar Berge aus Hieroglyphen, kyrillischen Schriftzeichen und Windings. Und insbesondere wir Spieler brauchen einen Übersetzer, der uns erklärt, dass Liebe nicht nur ein Nebenplot oder das richtige Klicken bei der Dialogwahl ausmacht, sondern mehr ist als das. Nur so kann die Liebe auch in unserem digitalen Medium diese analoge Schwere entwickeln, wie es ihr in den anderen Unterhaltungsmedien, in unserem Leben allgemein, auch gelungen ist. Und wenn so etwas Bizarres wie Catherine oder Loved dabei herauskommt, möchte man Connie Francis glatt für ihre visionären Fähigkeiten die Stirn küssen.