„The kid just rages for a while.“
“We’re not getting out of this one, Red, are we?”
Das Besondere an Supergiants Bastion ist nicht der Erzähler, der jeden Schritt des Spielers mit Whiskyreibeisenstimme kommentiert. Es ist nicht der schicke Comic-Stil, nicht Darren Korbs Breakbeat-Banjo-Soundtrack, nicht die spaßigen Kämpfe, und ganz bestimmt nicht der beachtliche finanzielle Erfolg. Bastion ist besonders, weil dessen Macher (naiv, aber mit großer Geste) etwas zu sagen hatten über Krieg, Rassismus und Gewaltspiralen. An einem Sonntagmorgen, drei Jahre nach Bastion sitze ich vor dem Quasi-Nachfolger Transistor und ich habe keine Ahnung, was mir Supergiant sagen wollen.
Ich korrigiere: Ich glaube, ich habe den Hauch einer Ahnung davon, worum es in Transistor geht, aber es hat mich viel Zeit gekostet und ich habe immer noch Schwierigkeiten, das alles auszuformulieren. Erstmal die einfachen Fragen also: Was ist Transistor?
Auf den ersten Blick sieht Transistor aus wie eine direkte Bastion-Fortsezung. Es gibt eine handgezeichnete Spielwelt, auf die man von schräg oben herabschaut, eine Heldin, die man durch diese Welt steuert, Gegner, die man bekämpft und einen Erzähler, der das alles kommentiert. Anders scheint nur das Szenario zu sein: Eine sich ständig wandelnde Science-Fiction-Stadt irgendwo zwischen Bioshocks Art Deco und Gustav Klimts goldener Phase, die regiert wird von einer Künstlerkaste.
Anders und neu ist Transistor dann, wenn Heldin Red — eine Sängerin, deren Stimme geraubt wurde — gegen die Killerroboter kämpft, die sie verfolgen. Das Spiel riegelt dann an festen Punkten in Spiel kleine Arenen ab, in denen Red und die Roboter – in klinischem Weiß wie entsprungen aus dem Apple-Katalog – in Echtzeit kämpfen. Per Knopfdruck können Spieler aber die Zeit anhalten und dann verschiedene Angriffe ausführen, die alle eine bestimmte Anzahl an Energiepunkten kosten, die über eine Zeitstrahl dargestellt werden. Dann schnellt Red erst mit dem „Dash“ in den Rücken eines Roboters, schwächt ihn mit einem „Crash“-Schlag, um ihn dann mit dem „Breach“-Laser in Stücke zu schießen. Die Plan-Funktion braucht immer wieder Zeit zum Aufladen, in der es dann gilt, in Echtzeit panisch Angriffen auszuweichen.
Ermöglicht werden Reds Angriffe vom titelgebenden Transistor, einem monströsen Schwert, in dem Seelen Verstorbener gespeichert werden. Die wichtigste Seele ist die von Reds namenlosen Liebhaber, gesprochen von Logan Cunningham, der das Spielgeschehen wie schon in Bastion mit heiserer Stimme kommentiert. Im Spielverlauf sammelt man immer mehr Seelen auf, die jeweils neue Angriffe, „Functions“ genannt, freischalten. Bis zu vier davon kann man in einen Kampf mitnehmen. In einem überkomplexen (und unnötig kompliziertem Menü) lassen sich besagte Functions ausrüsten, aber auch als Upgrades für andere Functions benutzen oder als passive Boni einsetzen. Die Unsichtbarkeits-Function im Breach-Laser verleiht Bonus-Schaden bei Angriffen auf Roboterrücken, die Splittergranate fügt dagegen Flächenschaden hinzu. Beim Zusammenstellen der Fähigkeiten fühlte ich mich im besten Fall so, als ob ich einen neuen Dota-Helden entwerfe, meistens aber einfach nur hoffnungslos überfordert.
Kurz: Wenn ich die Spielmechaniken von Transistor beschreibe, dann fühlt sich das an, als würde ich mit meinen Eltern über die Feinheiten von Hearthstone-Deckbau sprechen. Nach einem mehrere Stunden dauernden Lernprozess wird die überfrachtete Function-Funktion komplex, taktisch und herausfordernd, der Weg dahin ist aber so verwirrend, dass es schwer zu glauben ist, dasselbe Team hätte das klare und elegante Kampfsystem in Bastion gestaltet.
Worauf es bei Transistor aber letztendlich ankommt, ist kein Kampfsystem, sondern die Geschichte, die es erzählt — und es ist genau da, dass ich unsicher bin, was ich von Supergiants zweitem Spiel halten soll. Grob gesagt geht es neben Killerrobotern, Seelenschwertern und Cyberpunk-Zukunftsstädten um Kunst. Um die Frage, was Kunst leisten kann und ob das Bedürfnis etwas zu schaffen, was ewig währt, nicht völlig illusorisch ist. Das sind große Gesten, große, verkopfte Fragen, an denen sich Autor und Lead Designer Greg Kasavin versucht. Die Antworten darauf sind verschwurbelt, undurchsichtig, letztlich aber auch eben nicht besonders überraschend oder einfallsreich. Ein Grund dafür ist sicherlich, wie die Geschichte erzählt wird. Das sprechende Schwert ist kein allwissender Erzähler, er ist ein gleichberechtigter Partner, der auf die stumme Red einspricht. Der Erzählerkommentar und die Handlung liefert nur ein Puzzlestück, das andere ist in den Functions versteckt.
Über jede Seele im Transistor lassen sich Informationen freischalten, wenn man sie auf unterschiedliche Art benutzt. So lernt man dann etwa nach und nach, was mit dem Rennfahrer Moyle passiert ist, oder mit Red selbst, und wer die Drahtzieher sind hinter den Killerrobotern, die die Stadt assimilieren und in weiße Blöcke umwandeln. Erst die Kombination aus Charakterhintergründen und Handlung ermöglicht ein einigermaßen ganzes Bild. Das kann man postmodern und ambitioniert nennen, die meiste Zeit über wirkte es auf mich wie eine Geschichte, die immer mehr Details und Farbe bekommt, aber keine Richtung zu haben scheint. Was Transistors ambitionierte Geschichte damit zu tun hat, Roboter in Stücke zu schlagen, wird mir nicht ganz klar.
Das klingt unglaublich negativ, ist aber gar nicht so harsch gemeint. Dass Transistor ein Spiel ist, über dessen Erzählstrukturen, Ideen und Themen ich sprechen möchte, statt über die Implementierung von Spielmechaniken, spricht Bände. Das komplexe Kampfsystem bietet sich an, um im New Game Plus gegen noch schwerere Gegner zu experimentieren. Das Duo Red und der Transistor als tragisches Liebespaar berührt vor allem in stillen Momenten, wenn Red das Kommentarfeld unter Artikeln nutzt, um mit dem Transistor zu sprechen. Die Gestaltung der von Robotern verschlungenen Science-Fiction-Stadt ist unglaublich fantasievoll. Darren Korbs Soundtrack schlägt eine Brücke zwischen Pop und Roboterzukunft, und der Moment, an dem der Theme-Song einsetzt, ist so beklemmend wie Zia’s Song aus Bastion.
Alle Einzelteile sind da. Für mich fügen sie sich aber nicht zu einem besonders eleganten Ganzen zusammen. Transistor ist ein wunderschönes, interessantes, ambitioniertes Spiel, bei dem ich eher ein tiefes Bedürfnis habe darüber zu sprechen, als es zu spielen.
19 Kommentare zu “Auf (k)einer Wellenlänge mit Transistor”
Ein Trackback zu “Auf (k)einer Wellenlänge mit Transistor”
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Schönes Review!
Allerdings hab ich jetzt keinen Bock mehr auf das Spiel. :(
” Allerdings hab ich jetzt keinen Bock mehr auf das Spiel. :(”
+1
Sorry!
Aber: Wenn ihr das nicht spielt, mit wem soll ich dann darüber reden!
Mit mir! Ich les’ deinen Review nämlich einfach nicht, sondern kommentier’ hier nur und kauf’s mir morgen trotzdem ;)
Yaaaaay!
Ich war gespannt bis zuletzt und hab’ mich auf Transistor gefreut, auch weil ich nicht so richtig wusste, was ich von dem Spiel (als spiritueller Bastion-Nachfolger) erwarten sollte. Auch weil die/meine persönliche Spielesituation auf der PS4, sagen wir mal, überschaubar ist, wollte ich Transistor mögen und hoffte, dass es nicht nur cool aussähe, sondern auch eine fesselnde Geschichte und “relatable” Charaktere mitbrächte.
Gleich vorneweg: Spass gemacht hat’s mir auf jeden Fall! Ist nämlich ein gutes Spiel. Aber “Ja, Dennis”, geklickt hat’s auch bei mir nicht so richtig. Zwar gab’ es einen schönen Gänsehautmoment für mich, nämlich die Stelle mit dem Trailersong (“We All Become”) auf der Bühne, die Story/die eigentliche Geschichte blieb aber auch mir überwiegend verborgen. Was nicht heisst, dass man einen IQ größer 150 haben müsste, um bei der Geschichte mitzukommen (weil sie übermäßig komplex wäre). Sondern viel eher, dass sie einfach nicht gut (liess: zu verschachtelt) erzählt wird. Und dass die Core Gameplay-Loop (der Kampf und seine Systeme) nicht ausreichten um meine emotionale Bindung an die Charaktere und ihre Schicksale irgendwie nenneswert zu machen. Schade, eigentlich.
Eines liess mich dann aber doch irritiert/verwundert zurück, nämlich die letzte Szene auf der Wiese (oder war’s ein Feld?), in der sich Red und ihr Freund gegenüberstehen. Augenscheinlich vor einer Scheune und nicht in Cloudbank. Was in mir die Frage aufwarf, ob sich denn die komplette Handlung innerhalb eines Computers abgespielt hätte.. Spoiler: Ok, mittlerweile weiss ich, nein ist nicht so (Danke Internet). Ist aber dennoch ein Beleg für das zuvor Gesagte.
Das Spiel ist nun also vorbei und lässt mich irgendwie merkwürdig unberührt zurück… Ein NG+ hab’ ich zwar begonnen aber auch schnell wieder aufgehört.
Schreib einen Text zu Last Door, quatschen wir darüber. Victorianischer Horror mit Lovecraft-Anleihen und Atari-Look geht immer. Gerade gekauft statt Transistor.
Auja, die Flash-Version habe ich gespielt! Großartig!
Verdammt, dabei hatte ich mich so auf das Spiel gefreut.
ABER KRISTIN HAT EINE 8/10 GEGEBEN!
http://www.giga.de/spiele/transistor/tests/transistor-im-test-eine-bastion-seiner-selbst/
Und bei Polygon kommt’s auch gut an:
http://www.polygon.com/2014/5/20/5714244/transistor-review-a-girl-and-her-sword
Hmmm.
Im Subkontext lese ich auch nicht heraus, das es explizit schlecht ist.
Hmja, stimmt.
Nee! Es ist ja auch wirklich nicht “schlecht”.
Drüben beim AV Club sagt Joe Keiser: “You shouldn’t have to play it twice to perceive all of its lovable quirks. Playing it twice, though, is still preferable to not playing it at all.”
Und das würde ich so unterschreiben.
Sollte man Transistor spielen? Klar!
Habe ich meine Probleme damit, die nicht unbedingt was mit traditionellem Gameplay zu tun haben: Oh ja!
Heute geht’s ja eigentlich gar nicht mehr darum, ob ein Spiel schlecht ist oder nicht. Wer spielt heute noch schlechte Spiele? Dafür sind wir “Gamer” mittlerweile zu “aufgeklärt” und informiert und haben zu wenig Zeit.
Bei der Masse an Spielen und den ganzen Wahlmöglichkeiten mit dem nächsten Sale/Bundle immer um die Ecke muss man nicht mal mehr ein schlechtes Spiel sein, damit man nicht von mir gespielt wird.
Da reicht dann schon eine tendenziell negative Grundstimmung in einem Review, um mir die Lust an dem Spiel zu rauben. Unfair, aber so ist es.
Da sind wir allerdings wieder bei der guten alten Frage: Was macht ein “schlechtes” Spiel aus? Wirre Handlung? Kaputtes Gameplay? Glitches und Bugs? Alle drei zusammen? Und wann ist eine Handlung überhaupt wirr, wann das Gameplay kaputt?
Früher gefiel mir zum Beispiel der Radsport Manager gut, auch wenn das die wenigsten mit mir teilen konnten. Habe ich dann keinen Spielgeschmack oder die anderen keine Ahnung? Alternativ haben wir einfach unterschiedliche Auffassungen und Zugänge zu Videospielen.
Und eine negative Review (die von Dennis ist meiner Auffassung nach nicht einmal negativ, zumindest würde ich sie nicht in diese Schublade werfen) kannst du zu absolut jedem Spiel finden, auch zu einem Spiel, dass von den meisten Kritikern und Spielern geschätzt wird, wie z.B. GTA V, The Last of Us oder Deus Ex. Wenn du es also darauf anlegen würdest, könntest du dir die Lust an jedem Spiel rauben.
Schöner Artikel, Dennis. Wir hatten ja schon ziemlich lange drüber gequatscht, kann dir hier aber auch nur noch mal komplett beipflichten. Das Spiel ist toll, aber verkopft. Trotzdem einer der Pflicht-Titel in diesem Jahr, finde ich. Vor allem wegen des Soundtracks. Für den hab ich mal wieder SOOOO viel LIEBE. <3
Danke!
Ohja, der Soundtrack! DER SOUNDTRACK! Many Hachs! Very like!
Werde mir Transistor demnächst auch mal ansehen. Aber erstmal muss ich Bastion zu Ende spielen. Für mich holt die optik immer ziemlich viel raus. Manchmal spiele ich Spiele einfach nur, weil sie schön anzusehen.
Für mich sprechen alle Punkte, die Dennis in Bezug auf unklare Narrative etc als problematisch anspricht, eindeutig positiv zu werten. Die Ambivalenz, das Komplexe, der unzuverlässige Erzähler, die Unsicherheit, “es” verstanden zu haben -- all das ist IMHO durchaus im Sinne der Autoren und lässt Transistor zu einem schwebenden, unbestimmten Drama werden, das wie ein Traum funktioniert. So ist es -- für mich -- ja auch kein Zufall, dass der Jugendstil als Inspiration und Thema optisch so gezeigt wird.
“Der Zusammenhang von Ich und Gesellschaft, Ich und Welt, wird nicht mehr rational begründet, sondern er zeigt sich an den Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Verstand und Gefühl. Eine „Stimmung“ drückt für die Zeitgenossen oft mehr aus, als sich mit Begriffen sagen lässt.” -- http://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Moderne
Sogar das überkomplexe Upgrade-Interface lässt sich diesbezüglich interpretieren als Vorrang des Ornamentalen vor dem schnöde Schmucklosen. (Da hätte ich mir allerdings auch etwas Klareres gewünscht.)
Beim Schreiben und Nachdenken über das Spiel musste ich mir auch Christofs Text über Gone Home und sein Problem mit der Klarheit der Erzählung ins Gedächtnis rufen.
Ich finde das bei Transistor übrigens so großartig, dass es ein Spiel ist, bei dem man sich eben über SOLCHE Aspekte unterhält (“Wie hat für dich die Jugendstil-Thematik funktioniert?”).
Ich hoffe sehr, dass ich bald was dazu bei vgt lesen kann!