Sind Computerspiele Kunst? Und wenn ja, sollten sie auch welche sein? Mit Bientôt l’été veröffentlicht das Independent-Entwicklerstudio Tale of Tales am 12. Dezember ein neues bedeutungsschwangeres Meisterwerk, das sich Kritik dafür wird anhören müssen, nicht so wie alle anderen Computerspiele zu sein. Strandspaziergänge statt Action. Liebesgeständnisse statt Herausforderung. Aber es liegt eben in der Natur von Kunst, nicht so zu sein, wie man es gerne hätte.
Seit das Museum of Modern Art (MoMA) angekündigt hat, in Zukunft auch Computerspiele in ihre weltberühmte Sammlung moderner Kunst aufzunehmen, regt sich erneut eine bohrende Frage: Können Computerspiele Kunst sein? Für das Independent-Entwicklerstudio Tale of Tales – bestehend aus dem belgischen Künstlerpärchen Auriea Harvey und Michaël Samyn – ist die Antwort schon lange klar. Sie produzieren ein spielerisches Kunstwerk nach dem anderen. Mit Bientôt l’été erscheint am 12. Dezember ihr neustes Experiment über Strandspaziergänge, Zigarettenrauch und Liebesschmerz.
“I chase the image of your body lost in the darkness of the sea.”
Bientôt l’été beginnt in den Weiten des Weltalls. Planeten und Monde sausen vorbei, während uns die sphärische Musik von Walter Hus leise einlullt und ein mysteriöser Counter hochzählt. Warum? Egal, Kunst! Wir wissen es nicht. Anschließend entscheiden wir uns zwischen einem weiblichen oder männlichen Avatar, die beide in futuristischen Cryokapseln vor sich hin schlummern. Haben wir eine Wahl getroffen, finden wir uns am Strand wieder, lauschen den Möwen und dem Rauschen des Meeres. Die Brandung spült träge einzelne Wörter und ganze Sätze in den Sand, die wir beim langsamen Drüberspazieren auflesen. Warum? Egal, Kunst! Wir wissen es nicht. Schließen wir die Augen, befinden wir uns in einer Cyberspace-Version des Strandes wieder, die das literarische Strandgut und andere wichtige Orte, wie ein kleines Café auf der Promenade, optisch hervorhebt. Warum? Egal, Kunst! Wir wissen es nicht. Betreten wir das Café, beginnt des zweite Phase von Bientôt l’été. Verbunden über das Internet, nimmt ein zweiter Spieler oder eine Spielerin uns gegenüber Platz am Schachtisch. Was dann passiert, erinnert an die finstersten Klischees des französischen Kinos. Zug um Zug werden Gauloises geraucht, Weingläser leergetrunken und die am Strand entdeckten Sätze und Wörter auf Französisch dahin gesäuselt, bis einer fort geht oder es einfach nichts mehr zu rauchen, trinken oder sagen gibt. Narration und/oder Gameplay: Fehlanzeige. Warum? Egal, Kunst! Wir wissen es nicht.
“Every time we do not know any thing any more, every time…”
Das ist eine unfaire Beschreibung von Bientôt l’été. Computerspiele haben es schwer, als Kunst (an-)erkannt zu werden. Für den berüchtigten Filmkritiker Roger Ebert werden sie schlicht niemals Kunst sein und Guardian-Autor Jonathan Jones erteilt der geplanten Sammlung des MoMa eine ganz ähnliche Absage. Schach ist eben keine Kunst und ein Schachspieler sicherlich kein Künstler. Noch schwerer haben es Computerspiele aber, bei Computerspielern akzeptiert zu werden, wenn sie einmal wirklich Kunst sein wollen. Experimente wie The Path, Dinner Date oder Dear Esther gelten bei den Roger Eberts der Computerspielwelt bestenfalls als prätentiös und im schlechtesten Fall nicht als Spiel. Die Dogmen Argumente sind dabei kaum von denen der “Computerspiele können nie Kunst sein!”-Fraktion zu unterscheiden. Game-Designerin Sophie Houlden hat das mit einer Umkehrung der Ausgangsfrage in “Can Art be Games?” sehr schön illustriert. Entspricht der Gegenstand der Kritik nicht den gewohnten Vorstellungen von Spiel bzw. Kunst, kann er nicht gut/wichtig/richtig genug sein. Sollten Computerspiele deswegen besser keine Kunst sein, selbst wenn sie es sein könnten? Nein, natürlich sollten sie, denn es liegt in der Natur von Kunst, nicht so zu sein, wie man es gerne hätte.
“The artist must ever play and experiment with new means of arranging experience, even though the majority of his audience may prefer to remain fixed in their old perceptual attitudes.” – Marshall McLuhan
Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan hat Kunst als “anti-environment” bezeichnet. Als Gegen-Umwelt macht sie sichtbar, in welcher Umgebung wir gerade stecken, ohne es so recht zu merken. Computerspiele können darum gar nicht anders als Kunst zu sein, stellen sie doch permanent unsere Wirklichkeit mit einer digitalen Realität in Kontrast. Wenn die alternde Kunstelite dabei lautstark über Computerspiele zu meckern beginnt, spricht das umso mehr für einen neuen Stern am umkämpften Kunsthimmel. Es ist eben ziemlich blöd, wenn man auf einmal nicht mehr ganz vorne mitspielen darf mitreden kann. Grund zur Schadenfreude ist das aber kaum, denn auch Computerspielern machen sich vermehrt dem elitären Gehabe schuldig. Bientôt l’été wird sich garantiert wieder dafür schelten lassen müssen, anders zu sein als frühere Spiele. Es wird vernichtende Kritik von Hardcore-Gamern dafür ernten, ein anti-evironment, Kunst zu sein. Daher besser noch einmal an den Anfang. Wir wollen ja nicht als ignorante Banausen dastehen.
“Sometimes during the day, I end up imagining myself without you.”
Bientôt l’été beginnt in den Weiten des Weltalls. Es will uns keine Science-Fiction-Geschichte erzählen, sondern etwas spürbar machen. Wir entfernen (oder nähern) uns, ein Zähler tickt hoch, während unsere Avatare fest schlafen. Das Spiel möchte eine Atmosphäre heraufbeschwören. Ein Gefühl der Distanz und Kälte. Bientôt l’été gelingt das ziemlich gut und ist damit ein beispielhafter Vertreter von jenen aktuellen Computerspielen, die sich fast ausschließlich am Schaffen von Atmosphäre abarbeiten und klassische Gameplayelemente in den Hintergrund stellen. Am Strand wird die einsame Stimmung noch intensiviert. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, möglichst schnell oder virtuos an ein Spielziel zu kommen, sondern alleine und still zu sein, die Atmosphäre wirken zu lassen. Das mag nicht sehr herausfordernd klingen, aber der durchschnittliche Call of Duty-Spieler wird trotzdem daran scheitern. Langeweile Stille ist manchmal der härteste Gegner. Zu sammeln gibt es nur Wörter und Sätze, die allesamt aus der Feder der Schriftstellerin Marguerite Duras stammen. Das erklärt auch, warum sich die Spielphase im Café so sehr nach klassischem französischen Kino anfühlt. Duras zeichnet sich unter anderem für das Drebuch des Filmklassikers Hiroshima, mon amour verantwortlich und ist für ihr schlichtes Vokabular bekannt, die viel Raum für Anspielungen und Unausgesprochenes lässt. Gegenüber einer anonymen Person kann diese Sprache in Bientôt l’été ihre volle Wirkung entfalten. Auf einem Schachbrett verteilen wir unsere Spielfiguren und wählen damit aus, was wir sagen wollen. Kein Dialog läuft gleich ab. Manchmal scheinen die Gespräche absolut Willkürlich und manchmal sind es schmerzhafte oder geradezu grausame Liebes- und Hassgeständnisse. Wenn das eigene Bekenntnis mit einem süffisanten “Nein” und einer Rauchwolke im Gesicht quittiert wird, tut das tatsächlich weh. Melancholische Chansons als Hintergrundbeschallung tun ihr Übriges. Liebe ist ein Schachspiel, das man auch verlieren kann. Und manchmal ist Schach eben doch Kunst.
“I think a lot about you since I have seen you again.”
Wie bei allen Spielen von Tale of Tales braucht auch Bientôt l’été seine Zeit, um die volle Wirkung zu entfalten. Die Atmosphäre erschließt sich nur mit etwas Geduld und erst nach und nach machen die Metaphern, die uns das Spiel anbietet, Sinn. Auch der Vorläufer The Path hat eine Weile gebraucht, bis es unter anderem als Kommentar auf viel zu etablierte Regel- und Wegstrukturen sichtbar werden konnte. Bientôt l’été lädt immer wieder zum Nachdenken über das Gespielte ein. Vielleicht ist es ein anti-environment, das uns zeigen will, dass wir schon längst distanziert voneinander in digitalen Wirklichkeiten nach dem besten Schachzug in einem schmerzhaften Spiel suchen. Die Sprache der Liebe in Zeiten der Telepräsenz. Oder es ist ganz anders. Kunst muss man selbst anschauen und ausprobieren, um sie verstehen zu können. Ganz egal ob im Museum oder am Computer.
“Sometimes I believe that to love is to see. To see you.”
29 Kommentare zu “Bientôt l’été”
Ein Trackback zu “Bientôt l’été”
Kommentare sind geschlossen.
Schön. (Und Tale of Tales muss man einfach lieben.)
Ich habe Tale of Tales, dank diverser dämlicher Aussagen in der Vergangenheit, hassen gelernt.
Um was ging’s da?
@Fabu
Das frustriert mich gerade sehr, aber: Ich weiß es nicht mehr ganz genau, wieso Tale of Tales es bei mir damals verspielt haben. Kurz nachgesehen war es wahrscheinlich die vehemente Verweigerung, dass ihre Spiele keine Spiele sind, sondern, äh, “notgames”. Und vielleicht auch ihr generelles Verhalten zu der Zeit. Ich lasse mir aber die Möglichkeit offen, dass entweder die beiden oder auch ich den Stock im jeweiligen Arsch gefunden, wieder rausgezogen haben und nun wieder alles okay ist.
“I think one of the problems when addressing this issue is that we’re dealing with a lot of engineers in this industry, or people with an engineering — or sort of a more scientific — mindset.
And when you talk about expressing meaning, they often take that a little bit too literal.”
aus: http://www.gamasutra.com/view/feature/134907/passionate_frustration_tale_of_.php
Mir ging das genauso. Manchmal vergreifen sie sich ein bisschen im Ton, ist mit Sicherheit verstaendlich wenn man so viel Flak abbekommt.
Also ich find ja auch gut das es die gibt und so. Aber ich wuerde das alles glaube ich ernster nehmen wenn sie in ihrer Kunst nicht so furchtbar naive, an Second Life erinnernde Metaphern benutzen wuerden.
Hm, die Brutalität mit der in dieser Nische engstirnige Kunstvertreter und engstirnige Gamesverfechter aufeinanderprallen, macht das Pflaster noch härter. Ich vermute (und hoffe) ja persönlich, dass sich auf diesem Gebiet eher der Ansatz Dan Pinchbecks als jener von Tale of Tales durchsetzen wird. Und: Gar keine Notgames-Selbstausschließung aus dem Medium diesmal? Staun.
(relevant: http://videogametourism.at/node/1570=
hoppla, der link wurde von wordpress verstümmelt. das = ist zu viel.
Ich bin auch immer wieder hin und her gerissen, ob ich Tale of Tales so richtig mag oder nicht. Einerseits strahlen ihre Spiele oft audiovisuell wie konzeptionell eine unangenehme Naivität aus, andererseits kann man dann aber auch viel mit den Spielen anfangen, drüber schreiben und diskutieren. »Dear Esther« von Dan Pinchbeck hat da nicht so viel auszustehen, weil es spielmechanisch noch ziemlich konventionell ist (Checkpoints abgrasen bis man am Ziel ist und dabei der Narration lauschen) und für die Hardcore-Gamer auch prima als reine Grafik-Demo taugt (obwohl ich mich sehr auf thechineserooms »Everybody’s Gone to the Rapture« freue). Tale of Tales sind da risikofreudiger, wenn auch kleine prätentiöse Kunstsnobs. Ich persönlich möchte aber weder auf »Bientôt l’été« noch auf »Call of Duty« verzichten. Am besten beides in einem Spiel: »Bientôt l’duty« :3
Mich nervt diese “Spiele als Kunst”-Debatte so unglaublich. Was will man denn damit erreichen? Warum wollen Spieleentwickler auf einmal Künstler sein? Und Spieler Kunstkonsumenten?
Was mich aber am meisten stört, ist, dass man sich scheinbar nur das beste daran herausnehmen will, und seine Arbeit (oder sein Hobby) gerne als “Kunst” titulieren möchte. Vielleicht weil es schöner klingt als Unterhaltungssoftware. Die höchste Annäherung die man aber an diesen Begriff bisher schafft, ist vielleicht die, dass man das ganze als “Kunsthandwerk” bezeichnen könnte. Denn was sich die Entwickler bisher nicht trauen, ist die Annäherung an die wirklich großen Aufgaben, die am Ende die Kunst ausmachen.
Was die Kunst nämlich macht, oder was sie zumindest tun sollte, ist unser Verhältnis zum Leben, zum Menschen, zur Geschichte etc. untersuchen und zu beschreiben. Davon, diese Fragen anzugehen, sind Spiele, in meinen Augen, noch meilenweit entfernt. Denn noch geht es den Spielen, welche sich bisher gerne als Kunst bezeichnen, darum, medieninterne Gewohnheiten zu hinterfragen oder neue Erzählmethoden auszuprobieren. Da ist löblich, am Ende aber selbstreferentiell, weil sich das nämlich nur erschließt, wenn man die Spielmechanik, welche man hinterfragt, schon aus dem ff kennt. Mir fallen da die Spiele von Team Ico, Killer 7 oder ein paar Perlen, die hier im Blog aufgetaucht sind, ein. Mir fällt jedoch kein Spiel ein, welches über diese Nachdenken über Spielmechaniken hinausgeht ein, und welches mir etwas vermittelt hat, was mich auch abseits des Bildschirms bewegen konnte. (Vielleicht noch das von Fabu so geliebte(?) Edgar)
Wenn Spiele(entwickler) da hin wollen wo es Kunst wird, dann müssen sie auch da hin wo es weh tut und schwer wird. Sie müssen Visionen über den Mensch und das Leben formulieren und sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Denn das ist es, was große Kunst macht, wo es schwer wird, wo es aber auch am meisten zu gewinnen gibt.
So, jetzt ist es mal raus.
“Denn noch geht es den Spielen, welche sich bisher gerne als Kunst bezeichnen, darum, medieninterne Gewohnheiten zu hinterfragen oder neue Erzählmethoden auszuprobieren.”
Aber genau das macht Kunst auch und sehr oft. Man denke z.B. an René Magritte, der mit seinem sehr bekannten Bild “La trahison des images” [http://de.wikipedia.org/wiki/La_trahison_des_images] die Möglichkeiten des Mediums Bild/Gemälde hinterfragt hat. Duchamp hat hingegen mit seinem Ready-Mades, wie das berühmte Urinal [http://de.wikipedia.org/wiki/Fountain_(Duchamp)], die Bedingungen von Kunst selbstreferentiell kritisiert. Es gibt viele weitere Beispiele. Kunst lässt sich nicht verallgemeinern und sie muss nicht immer große Wahrheiten verkünden. Beim Thema “Computerspiele und Kunst”, halte ich es mit Ian Bogost:
“Games are games. Games can be used as art, contextualized as art. Art is mostly context. Stop essentializing. This isn’t a culture war.”
http://aeiowu.com/itisart/
Was Scott McCloud sagt.
@ Christian
Das stimmt, und die Kunst ist sich ja auch nicht mehr einig darüber, was sie eigentlich ist. Es gibt ja schon lange keinen einheitlichen Kunstbegriff mehr, was man dann auch wieder in jeder Diskussion über Kunst und durch die allgegenwärtige Frage “Und das soll jetzt Kunst sein?” merkt. Und natürlich ist die Kunst auch oft selbstreferentiell. Aber für mich funktioniert der Umkehrschluss nicht, dass Spiele jetzt auch Kunst sind weil es da Ähnlichkeiten gibt. Denn Kunst ist daneben noch so viel mehr, und Spiele sind das ich meinen Augen (noch) nicht. Die Schritte die man da jetzt geht sind im besten Falle Babysteps.
Die Geschichte zu Duchampst Urinal ist ja noch etwas Länger. Das war ja eine Antwort auf die Aussage, dass alles Kunst und ausstellbar wäre. Damit hat er ja dieses Austellungskomitee vorgeführt (so kenne ich die Geschichte). Das Spieleequivalent wäre vielleicht ein leerer Bildschirm auf dem man mit der Maus klicken und WASD drücken kann. Ist ja das gleiche wie jeder Egoshooter. Und es wäre nach der Logik ein vollwertiges Spiel.
Ich ärgere mich nur immer etwas über diese Diskussion, da mir sowohl an Spielen als auch an Kunst etwas liegt. Allerdings ist mir die Überschneidung noch zu gering, als das man das gleichsetzen könnte. Und die Spiele als Kunst Vertreter machen es sich für mich noch viel zu einfach mit der Aneignung dieses Begriffs.
Mir kommt vor, dass diese Diskussion hauptsächlich von Vertretern der Gameskultur geführt wird, die unbedingt beweisen wollen, dass sie ihre Zeit nicht verschwenden. Ich denke, dass in wenigen Jahren Games von der Kunstszene “entdeckt” werden, dann kommt das aus der anderen Richtung und wird damit endgültig legitimiert. Ich glaube aber, dass das dann Spiele sein müssten wie die Shmups von Kenta Cho zB, die zuallerersrt Spiele sind und ihre Qualität zuallererst aus ihrem eigenen Medium schöpfen.
Wie gesagt: Auch Pinchbeck sieht seine Spiele als Spiele. ToT kommen mir da oft etwas zu anbiedernd und, tschuldigen, artsy-fartsy daher. Ob ein Spiel Kunst ist oder nicht, ist eigentlich wurscht.
“Seite” Ha. Als ob es hier um Seiten geht. Die, die Künstler und wir, die anderen. Das gemeine Volk.
Betreff alle komischen Netzdiskussionen von verängstigen “Kunstkennern” der letzten Tage:
Natürlich kann man die Entwicklung in der Kunst der letzten 70 Jahre völlig ignorieren. Das wunderschöne Pissoir Duchamps, handsigniert, ist mittlerweile beinahe 100 Jahre alt. Dass Menschen immer noch darüber diskutieren… vielleicht seine größte Leistung. Ob inzwischen was passiert ist mag man fragen. Oh, dazu müsste man mal ein zeitgenössisches Museum besuchen Oder die Documenta. Kassel hat tolle Wurscht. Und dann stellt man fest: Verdammte hacke das ist alles nichts für mich. Was soll dieses Holz hier und die komischen Stühle da? Darf man da sitzen? Sowas konnte ich schon in der Grundschule malen WTF!? Oh, wo geht’s denn hier zum Notausgang?
Bitte, sagt, dass es euch egal ist. Dass es schnurz für euch ist, was Kunst ist und ob ein Spiel auch nur im entferntesten damit zu tun hat. Sagt, dass euch Kunst nicht die Plackafarbe interessiert. Niemand wird euch zwangsintellektualisieren. Niemand wird euch Kultur einhämmern. Niemand wird euch zwingen Fettecken zu essen!
Es wird nichts verändern. Es wird alles bleiben wie es ist. Es wird sie geben die Assassins und Fußballmanager und Leisure Suite Larrys und Call of Medalwarfare. Alles gut. Jedem sein Gedanke! Man nehme sich genau das, was man brauche. Denn Gottseidank soweit sind wir schon in der Kunst. Man darf, man muss nicht. Have Fun, make a headshot, relax.
Denn eins haben die letzten Jahrzehnte bereits gezeigt: DIE sind mitten unter uns. Hocken zwischen Performances und Ausstellungen rum, machen seit Jahren Computerkunst und Musik und scheiße bald verstecken sie sich auch noch in Pixeln. Oder Vektoren.
Ps: die Begründung vom Moma liegt bei “interactive Design”. Die Grabenkämpfe zwischen Kunst und Design sind schon schlimm genug. Fände es furchtbar wenn der Kampf nun auch zwischen Welt und Kunst fortgetragen wird.
Mja. Kann mich vielem anschliessen hier (Bogosts Aussage; der Aussage, dass ich für ToT dafür dankbar sind, bereitwillig die Rolle des Störfaktors und Scheissemagneten anzunehmen, dass sie aber im Detail teilweise zu… naheliegend sind [Françoise Hardy? Das ist fast schon Selbstparodie, auch wenn gerade der Humor diesen Spielen leider etwa abgeht... dann doch lieber Claude François]; dass “Kunst in Spielen” oft und einfach auf ihre Metareferentialität auf das eigene Medium reduziert wird; dass man, wenn man sie als Kunst auffassen will, vielleicht ihre eigene Medialität zum Massstab davon nehmen sollte und nicht solche, die dem Medium nicht gerecht werden).
Ein kleiner eigener Beitrag dann aber doch: Dass die verkrampften Bemühungen, Spiele auch in den Kunstdiskurs zu etablieren, eben nicht nur der Selbstrechtfertigung dient. Kunst ist halt nicht nur Gegenstand von schöngeistigen Disussionen, sondern auch ein System, das an sehr konkrete und materielle Realitäten gekoppelt ist. John Sharp hat das mal etwas simpel, aber durchaus treffend so ausgedrückt in einem Interview zum Thema Games und Kunst (überhaupt einer der besseren Beiträge zur Debatte, von letztem Jahr http://bit.ly/YHUrbF):
“In other words: If the cultural ecosystem of the contemporary art world considers something art, then I consider it art. Everything else is just people simply using a loose definition encompassing things they like or think are well made.”
In dieses Ökosystem eingebunden zu sein hat aber dann halt doch sehr handfeste Vorteile, vom Greifen in öffentliche Fördergeldtöpfe bis hin zu einer gewissen politischen Immunität gegenüber Skandalen und Vorwürfen, von denen Kust ausgenommen ist, Spiele aber oft noch nicht. Ganz so simpel, dass man es mit dem Verweis darauf belassen kann, man müsse halt für sich selbst den Frieden mit der Sache finden, ist es dann eben doch nicht.
…was aber nicht heissen soll, dass die Frage nicht wahnsinnig viel Leerlauf und heisse Luft produziert, klar.
What he says!
Sehe keine verkrampften Bemühungen Spiele im Kunstfeld zu etablieren, sondern vielmehr eine Thematisierung dieses Komplexes im größeren Medienumfeld. Allerdings scheint es große Interessen derer zu geben, die Spiele aus dem Bereich “Kunst” ausschließen wollen. Die wirklich spannende Frage ist doch, warum es empören kann, wenn Spiele in “schöngeistige Diskussionen” aufgenommen werden würden (wobei sie es meiner Ansicht nach schon sind, wobei dieser pejorative Gebrauch von “schöngeistigen Diskussionen” mir auch zuwider ist) und weshalb es so bedrohlich ist, dass manche Spiele mehr als nur reine Unterhaltungsprodukte sein könnten.
Vielleicht hat es ja tatsächlich etwas mit wirtschaftlichen Interessen zu tun und dem Gedanken “In diesem schönen öffentlichen Fördergeldtopf ist einfach nicht genug für uns alle!”
Abgesehen davon ist das Argument hinsichtlich kommerzieller Interessen am Alltag vorbeigeredet. Niemand kam je auf die Idee Kunst machen zu wollen, nur um damit reich zu werden. Hirst und Koons möglicherweise ausgenommen. Dass allerdings auch ein Künstler nicht von Kreativität und Liebe allein leben kann, ist schwerlich etwas, dass man ihm vorwerfen kann.
@scheinprobleme: Hoho, da muss ich im Detail aber vehement widsprechen. So gut wie 99% aller Kunst vor dem 19., 20. Jahrhundert entstand fast rein aus kommerziellem Interesse. L’art pour l’art ist ein Konzept, von dem weder mittelalterliche Literaten, Renaissancemaler noch Kathedralenbauer je etwas gehört hatten -- insofern ist auch die Trennung von Kunst und Kunsthandwerk zu Recht umstritten bzw willkürlich.
Das soll jetzt gar kein Einwand gegen ToT sein, die ja offensichtlich dieses Grenzgebiet vereinnahmen und mit ihrem not-Games-Konzept ja sogar das schnöde Spielhafte verleugnen, um hier dezidiert “Kunst” zu machen. Dass das Provokation in zwei Richtungen bedeutet, ist ja Absicht.
Im Medium Film hat sich ja auch ein Waffenstillstand oder Koexistieren zwischen künstlerisch hochstehendem Film (“Kunsthandwerk”) und filmischen Werken der Hochkunst ergeben. Wer Warhols “Empire” als Kunstwerk erkennt, muss ja nicht zwangsläufig Hitchcock schlecht finden, auch wenn der Blockbuster produzierte.
Wie gesagt: In einigen Jahren wird die Hochkultur Games als Kunst “entdecken”; ob dann aber nicht “Rez” oder “flOw” relevanter sein werden als ToT?
@scheinprobleme
Ich glaube nicht, dass hier Futterneid der erste Problem ist und, dass man die Videospiele da aus dem Zirkel raus halten will. Ich würde mich da schon der Meinung von Roger Ebert anschließen.
Da kommt eben der eine oder andere daher und sagt: “Das ist jetzt auch Kunst!”. Der schaut dann der Kunstbetrieb schief und antwortet “Moment mal! Ihr erfüllt hier gar nicht die Kriterien, die wir hier an die Kunst (oder das Kunstwerk) stellen. Ihr könnt nicht einfach sage, dass das Kunst ist, so läuft das hier nicht.”
Man kann Kunst auch als Diskurs betrachten, und in dem entscheidet dann die Kunst selber was zu ihr gehört und was nicht. Dann ergibt sich aber das Problem, dass man eben im Kunstdiskurs mitmischen muss wenn man dazu gehören will. Und dann muss man sich eben auch mit dem Kunstmarkt und der Kunstkritik einlassen. Artsy Indiespiele auf Steam verticken hat damit aber so rein gar nichts zu tun. Und außherhalb dieses Systems wird dann auch nichts eben mal zur Kunst erklärt, egal wie sehr man das möchte. Kunst ist eben ein komplexes System und hat nicht immer was mit dem allgemeinen Kunstbegriff zu tun, auch wenn einem das nicht passt. Wenn man da mitspielen will, muss man sich auch auf die Regeln dieses Systems einlassen, sonst wird das nichts.
Die Möglichkeit wäre dann eben, wie mandaya sagt, dass Videospiele in diesen Kunstdiskurs aufgenommen werden, dass müssen sie da aber auch aktiv mitmischen und Beiträge lesiten, was sie aber noch nicht tun.
Das ist eben die Krux mit dieser Kunst, das schein alles so leicht, wenn man dann in dieses System mal reinschaut, dann wird es eben auch schnell dreckig. Von daher sollten Spiele erstmal in ihrem eigenen Diskurs bleiben und darin tolle Beiträge sein, als jetzt schon in den nächsten zu drängen.
@mandaya
Gut. Füge “zeitgenössisch” hinzu.
Der Begriff “Kunst” ist vermutlich einer der umstrittensten der gesamten menschlichen Kulturgeschichte. Viele halten auch das, was Menschen wie Erwin Wurm oder Andy Warhol getan haben nicht für Kunst und das ist gut so, denn gerade Warhol war ein Troll in der Tradition des Dadaismus. Die Einen sagen, Kunst existiere zum Selbstzweck, die Anderen meinen sie müsse die Gesellschaft kritisieren und verändern. Mir war das schon immer egal.
Die Dadaisten sind genial gewesen, weil sie in einer Zeit strikter gesellschaftlicher Restriktionen alle Konventionen über Board warfen. Warhol und Lichtenstein waren genial, weil sie die Kunstwelt betrollten. Caspar David Friedrich war genial, weil er handwerklich und atmosphärisch eindrückliche Werke geschaffen hat. Franz Mark war genial, weil er sein Innerstes mit bunten Pferden darstellen konnte. Wieso kann das alles Kunst sein? Weil es kann. Kontext is King!
Spiele können genauso Kunst und Nichtkunst sein wie Filme, Bücher, Bilder und Musik es sein und nicht sein können. Ist 2001: Odysee im Weltraum Kunst? Ist Perry Rhodan Kunst? Ist die Campbell’s-Dose Kunst? Ist DJ Ötzi Kunst? Ist LIMBO Kunst? In jedem Fall ist die Beantwortung mithilfe einer einheitlichen Definition müssig und ändert schließlich auch nichts. Kubrick hat mich berührt und meine Gedanken in Bewegung gesetzt, DJ Ötzi nicht. Auch wenn Songs wie Gangnam Style in sich keinen intellektuellen Mehrwert bieten und rein äusserlich auf einer Stufe mit genanntem Österreicher steht, hat PSY damit jedoch einen Coup gelandet, der dem von Andy Warhol und seiner Konservendose gleicht, nur eben in der Musik. Auch der Kampf zwischen Trivial- und Hochliteratur wird teils recht aggressiv, aber seit hundert Jahren ergebnislos geführt. Das liegt vor allem daran, dass es keine einheitliche Wahrheit gibt. Ich bin mir daher nicht sicher, ob Spiele sich mit so einer Debatte belasten sollten, oder ob Menschen nicht einfach Spiele machen sollten, die sie gerne machen möchten.
PS: Sind Tetris und Super Hexagon nicht eigentlich auch abstrakte Kunst?
Welche konkreten Spiele heute schon Kunst sind oder nicht, ist die Frage, über die man end- und ergebnislos streiten kann. Die grundsätzliche Frage jedoch, mit der Christian diesen Artikel begonnen hat, nämlich ob “Computerspiele Kunst sein können”, ist ziemlich einfach. Natürlich können sie. Schon allein deshalb, weil niemand eine vollkommen überzeugende Antwort auf die Gegenfrage “warum nicht?” geben kann. Weil Kunst eben nicht an ein Medium gebunden ist, bzw. weil man bestimmte Medien nicht ernsthaft aus dem Kunstbegriff ausschliessen kann.
@mandaya: dass 99% aller Kunst vor dem 19., 20. Jahrhundert aus rein kommerziellem Interesse entstanden ist, halte ich aber auch für eine sehr gewagte Behauptung. Der allergrößte Teil waren sicher Auftragsarbeiten, aber das ist ja ein bisschen was anderes. Vermute fast, dass du das auch gemeint hast. Aus Sicht des Kunstschaffenden war das natürlich schon eine recht kommerzielle Angelegenheit, aber die ursprüngliche Intention zur Entstehung der Kunstwerke war eine andere, gerade wenn man bedenkt, dass es in riesigem Umfang vor allem sakrale Kunst war.
Den Artikel von Roger Ebert muß ich noch lesen. Wenn sich aber heraus stellt, dass er das mit dem “Video games can never be art” tatsächlich so meint, dann muss ich leider sagen: Roger, mach mal die Fenster auf und lass Frischluft rein.
Aber was soll´s. Kunst, Nicht-Kunst… mir erscheint es am klügsten, sich solchen Kategorisierungen einfach schlicht zu entziehen. Dass es bemerkenswert und auch prinzipiell erfreulich ist, dass das MoMa nun auch Computerspiele in ihre Sammlung aufzunehmen gedenkt, bleibt davon ja unberührt. Überhaupt sind ja die Museen häufig immer noch ein ganz gutes Korrektiv, quasi als Gegengewicht zu dem, was auf dem absurden Kunstmarkt so abgeht.
Hab ich mich unklar ausgedrückt? So wars natürlich gemeint: Kaum ein Künstler vor dem 20. Jahrhundert hat seine Kunstwerke nur aus dem Antrieb heraus erschaffen sich zu “verwirklichen”, sondern als Auftragsarbeit. Deshalb der Verweis auf die moderne Sichtweise der Kunst um der Kunst willen. Die größten Künstler der Geschichte haben Kunst aus kommerziellem Interesse geschaffen, und die Auftraggeber hatten auch andere Interessen als den selbstzweckhaften Kunstgenuss, wie zB Repräsentation, Konkurrenzdenken etc.
Also im Endeffekt entscheidet doch eh das persönliche Empfinden, ob etwas der Kategorie Kunst zuzuordnen ist oder nicht. Wenn mich ein Werk, dessen Entstehungsprozess auf der bewussten Handlung eines Menschen basiert, auf einer emotionalen Ebene berührt, zum Nachdenken anregt, inspiriert oder sonstige für mich persönlich wertvolle, geistige Prozesse in Gang setzt, handelt es sich sehr wahrscheinlich um Kunst.
Oder um Masturbation.
Oder um Sniper Elite.
Da, denke ich, argumentieren die Vertreter von “Videospiele sind keine Kunst” (und in dem Falle auch ich) dagegen und sagen: Nein, so einfach ist das nicht.
Und da kann man ja mal drüber reden. Ich argumentiere auch deshalb so, weil ich im engen Freundeskreis und durch eigenes Interesse mit dem Thema konfrontiert bin und sich da eben oft zeigt, dass es mit der Einordnung eben nicht so leicht ist. Da kann man leider nicht so wirklich aus dem Bauch heraus argumentieren.
Man argumentiert einfach IMMER mit “Egal, Kunst!”
Problem solved, alle sind glücklich und ich geh jetzt Pornos schauen.