„It all started yesterday – ordinary day like any other – until I got hit on the head.”
Es ist mal wieder einer dieser Tage, an denen ich nicht hätte aufstehen, mich lieber unter der Papierdecke verkriechen, das Kartonkissen auf meinen Kopf pressen und alles, alles andere ignorieren sollen. Aber die Miete will nun mal bezahlt werden, und es gibt wahrscheinlich Schlimmeres, als sich tagein, tagaus von lethargischen Kollegen irgendwelches Gerümpel auf den Kopf werfen zu lassen – solange nur die Helme halten, was sie versprechen. Nur habe ich den letzten längst abgelegt, als ich auf dem Heimweg plötzlich von der Ladung eines abstürzenden Flugzeugs getroffen werde. Fantastisch.
Die Geschichte, die sich nachfolgend in Stick it to the Man entspinnt, lässt sich nur schwer auf wenige Absätze herunterbrechen, hat es sich doch das schwedische Studio Zoink! augenscheinlich zum Ziel gesetzt, mit seinem Jump’n’Run-/Adventure-Hybriden ein spielbares Abstrusitätssuperlativ zu entwickeln. Just nach seinem Unfall entdeckt der leidlich motivierte Bauhelmtester Ray Doewood, dass ihm ein rosafarbener, spaghettiähnlicher Arm aus dem Kopf ragt, den nur er selbst zu sehen und – nach anfänglicher Verwirrung – vielseitig zu nutzen in der Lage ist. So hangelt er sich geschickt umher und stellt erstaunt fest, dass er durch einen beherzten Griff in die Gehirne Anderer deren Gedanken lesen und ihnen durch die so gewonnenen Erkenntnisse helfen kann, um im Gegenzug nützliche Gegenstände zu erhalten oder sich unmittelbar neue Wege zu eröffnen.
Als schlacksiger Samariter und gejagt von den Besitzern der falsch zugestellten Luftpost, renne ich in der Rolle Rays fortan durch ein Spiel, das anmutet wie eine wüste Melange aus Paper Mario und Ren & Stimpy. Alles hier besteht aus Zellfasererzeugnissen – die Häuser, Bäume, selbst der Planet an sich – und seine Bewohner sind sich dessen bewusst. Sogar ihre Gedanken manifestieren sich in Stickern, die ich greifen, an anderer Stelle einsetzen oder auch miteinander kombinieren kann, um die zahlreichen Rätsel zu lösen. Nicht nur in diesem Zusammenhang offenbart Stick it to The Man dem ihn eigenen und oftmals selbstreferenziellen Humor als besondere Stärke. So merkt Ray gleich zu Beginn an, dass sein Arbeitsweg ausgesprochen hüpfintensiv sei, und auch der Umgang der Bewohner des Papierplaneten mit dessen Beschaffenheit bringt immer wieder großartige Momente hervor.
Überhaupt: Nahezu alle noch so unbedeutenden Nebendarsteller_innen warten mit eigenen Persönlichkeiten auf, die sich in nur wenigen, aber umso ausgefeilteren Monologen manifestieren, und kaum eine_r von ihnen muss sich ernsthaft hinter dem Hauptdarsteller verstecken. Im Gegenteil, tatsächlich stellt ihn so manche groteske Gestalt problemlos in den Schatten, sei es der lispelnde Orang-Utan, der in feinstem britischen Englisch über die Sinnhaftigkeit seines Berufs philosophiert, die verbitterte, da beinlose Ex-Gattin eines untalentierten Magiers oder der triamesische, mexikanische Wrestler, der sich vor johlendem Jahrmarktspublikum in Autoaggression ergeht – allesamt üben sie nur geringen Einfluss auf die Handlung aus, aber füllen das Spiel mit Leben.
Gleiches gilt für das sehr eigenwillige Design, das sich angenehm aus dem Einerlei polierter 3D- oder kantiger Pixelgrafik hervorhebt. Wenn auch die Idee, eine Welt aus Papier zu erschaffen, nicht neu ist, wirkt sie in ihrer Umsetzung doch anders als das bisher Dagewesene. Der Zeichenstil wird den wirren Kreaturen, die als handelnde Darsteller_innen oder auch bloße Dekoration auftreten, mehr als gerecht, erscheint doch keiner dieser Charaktere generisch. Visuell wie inhaltlich gilt: Stick it to The Man bedient sich nur selten eindeutiger Stereotype, sondern interpretiert die meisten von ihnen um. Selbst wenn man über deren Existenz sicher streiten kann, bricht selbst die obligatorische Jungfrau in Nöten aus ihrer klischeebeladenen Rolle aus und entpuppt sich, gerade in Gegenüberstellung zum mit mehr Glück als Verstand agierenden Helden, als ausgesprochen tough.
All das tröstet auch über die wenigen Makel hinweg, die das Spiel mit sich bringt. Wenngleich die fehlende, dauerhafte Speicherfunktion innerhalb der einzelnen Kapitel nicht per se als Problem bezeichnet werden kann, bildet sie zusammen mit dem geläufigen Fehler plötzlich aussetzender Steuerungsmechanismen eine fruchtbare Grundlage für zerkaute Nägel und geraufte Haare. Oder, weniger dramatisch: Dezente Verstimmungen seitens der Spielerschaft. Dass sich außerdem ein Spiel mit starkem Jump’n’run’Einschlag aufgrund der fummeligen Gamepad-Steuerung letztlich mit Maus und Tastatur besser steuert, erscheint absurd, fügt sich aber doch seltsam harmonisch in dieses verquere Werk ein. Wie auch alles andere, wovon ich nie geglaubt hätte, dass es zusammenpassen würde.
Sei’s drum: Lang war er, der Tag. Jetzt ziehe ich mir wieder die wohlig knisternde Decke über den Kopf.
Ein Kommentar zu “Review: Stick it to The Man”
Ein Trackback zu “Review: Stick it to The Man”
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Ich bin total begeistert von dem Stil und den skurrilen Charakteren. Habe es erst jetzt gespielt auf der Vita, aber das Spiel hat mehr Aufmerksamkeit verdient!