Alkohol ist ein Tröster, der trostlos macht.
Ich trinke keinen Alkohol. Habe ich nie. Dennoch habe ich schon viele negative Erfahrungen mit Alkohol gemacht. Dass man auch ohne Alkohol keinen Spaß haben kann, weiß ich also nicht erst seit dem Beenden der spielbaren Alkoholismus-Geschichte von 4PM. Der aus Serbien stammende Entwickler Bojan Brbora präsentiert darin leider ein derartig zerfasertes, lückenhaftes und technisch unausgereiftes Spiel, dass man dem Glauben verfallen könnte, bei der Entwicklung sei vielleicht auch das ein oder andere Bierchen zu viel gekippt worden. Ein Spiel, das an seinem eigenen Anspruch zerbricht, wie seine Protagonistin am billigen Fusel.
Diese nennt sich Caroline Wells und wacht nach einer durchzechten Nacht in ihrer verwüsteten Wohnung auf. Mit ihrem verschwommenen Blick suche ich in den Räumlichkeiten nach Hinweisen, die mir Aufschluss über meine Situation liefern können. Ich finde eine ominöse Visitenkarte neben meinem Bett, torkele ins Wohnzimmer, um den Anrufbeantworter abzuhören, umgefallene Bilderrahmen wieder zu richten und herumliegende Notizen zu lesen. Ein Blick in den Badezimmerspiegel verrät mir die Härte der Nacht, die hinter mir liegen muss. Dann klingelt das Mobiltelefon und ich realisiere, dass ich auch noch einen langweiligen Bürojob habe, dem ich nachgehen sollte.
Würde ich an dieser Stelle noch mehr zur Story schreiben, liefe ich Gefahr, sie komplett wiederzugeben. Denn mit seinen knapp zwanzig Minuten Spielzeit ist 4PM eher der Klappentext eines Buches als das Buch selbst. Es bricht ein komplexes Thema auf seine geläufigsten Fragmente herunter und ignoriert dabei wichtige erzählerische Elemente, wie eine Charakterzeichnung und das Ausformulieren glaubhafter Zusammenhänge. Hinzu kommen seltsam alberne Minispiele, wie etwa das Suchen einer Toilette in der Diskothek oder das Herausschleichen aus dem Büro, welche die Ernsthaftigkeit des gewählten Themas auf eine unangebrachte Weise kontrastieren und unnötigerweise auch noch das Scheitern mit der Wiederholung der gestellten Aufgabe bestrafen. Während der fortlaufend nerviger werdende Verschwimmungseffekt der Grafik, die mangelhafte Kontrolle über den eigenen Körper und die Dumpfheit der Umgebungsgeräusche Immersion vermitteln sollen, reißen mich diese seltsamen Exkurse leider direkt wieder aus ihr heraus.
Am Ende des Geschichtchens bleibt bei mir, ob der erzwungenen Tiefe und künstlich herbeigeführten Dramatik der Auflösung, nur ein Gefühl des Unverständnisses zurück. Ein so interessantes und vielschichtiges Thema wie Alkoholsucht so plump und auf seine Klischees reduziert zu präsentieren, verhindert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Problem, das nicht umsonst in vielen Ländern als Volkskrankheit gilt. 4PM ist eine grobe Skizze, aus der so viel mehr hätte entstehen können, wenn man sich nur etwas intensiver mit der Materie beschäftigt hätte und mit ihr sensibler umgegangen wäre. So ist es für mich eher ein spielerischer Filmriss geworden, auf den ich mir hinterher keinen wirklichen Reim machen kann, was andererseits ja auch wieder ganz passend ist. Und als nach dem auf maximale Emotionalität getrimmten Finale schließlich der Abspann läuft, der mit Fotos der herumalbernden Entwickler gespickt ist, wünsche ich mir zum ersten Mal einen wirklich hochprozentigen Drink, um ähnlich wie Caroline einfach vergessen zu können.
15 Kommentare zu “Ziemlich ernüchternd: 4PM”
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Schade.
Es ist tatsächlich eher die stilistische Fingerübung einer Filmhochschule, aber kein ernstzunehmendes Spiel. Dabei haben sie es technisch sehr reizvoll hinbekommen und anfangs hab’ ich auf einen Twist wie in “Smack My Bitch Up” spekuliert, aber dafür hat es nicht gereicht.
An das Video musste ich auch die ganze Zeit denken.
Hui, dabei hat das Spiel gerade den Besucher-Award bei der Develop Konferenz gewonnen.
Tja, womöglich wurde vor Ort Alkohol ausgeschenkt.
Quasi um in Stimmung zu kommen, ja. ;)
Ich selbst hab das Spiel allerdings nicht gespielt, nur kurz zugeguckt, da ich selbst mit nem Spiel vor Ort war. Sah auf den ersten Blick atmosphärisch dicht aus (und ‘dicht’ ist hier nicht als Schenkelklopfer zu verstehen).
@Fabu Für den Kommentar (05) braucht ihr eigentlich ein Kommentar-Herzchen-System. Harr.
Drölf Superlevel-Leser fanden diesen Kommentar hilfreich.
<3
Ist es ja auch. Dabei genügt es sich aber mit sehr kurzen, klischeeigen Momentaufnahmen, die schon mit richtigen Schauspielern und einer originellen Regie in einem 20-Minuten-Plot eine große Herausforderung wären. Hier ist die Thematik nur ein Vehikel für den tatsächlich gelungenen Look. Mit einem Camcorder-HUD-Display und etwas Hokuspokus in einem Haunted House wäre er aber meiner Meinung nach besser aufgehoben gewesen…
Ich finde die Kritik ist zu hart.
Zunächst finde ich keine Referenzen, dass die Aufarbeitung von Alkoholsucht das grundlegende Ziel des Konzepts war. Falls ich mich irre, lass ich mich gerne belehren. Das Ding ist mehr ein interaktiver Film aus der Ich-Perspektive, der NATÜRLICH technisch eingeschränkt ist. Immerhin ist es ein 4 Euro-Indiespiel. Da muss man seine Ansprüche in Punkto Inszenierung auch mal wohlwollend zurückstellen und sich auf das Konzept konzentrieren, was Maßstäbe setzen würde, würden die großen Publisher ein derartiges Projekt inszenieren.
Grundsätzlich finde ich jedoch ebenfalls, dass das Ding mehr eine “Demo” ist mit der Idee wie man Geschichten in Videospielen erzählen könnte.
Belehren möchte ich dich in keinem Fall, aber es gibt in meinen Augen einen sehr starken Fokus auf das Alkoholproblem der Protagonistin. Es wird sogar nahezu in jeder Szene thematisiert. Hier eine kleine Aufzählung der Dinge, die mich zu diesem Eindruck verleiten:
-- Die permanent verschwommene Sicht und der wackelige Gang
-- Die Flaschen auf dem Wohnungsboden, die Karte der Anonymen Alkoholiker, der Anruf des Therapeuten
-- Der komplette Diskoszene
-- Die Flaschen im Büroschreibtisch
Erst bei der Auflösung wird die “Ursache” der Alkoholsucht mit dem Dampfhammer erklärt, welche das viel zu eindeutige Foreshadowing mit der nächtlichen Autofahrt eh schon erahnen ließ. Das reicht mir persönlich nicht aus, um in dem Spiel ein anderes Grundthema zu erkennen. Auch der Preis spielt in der Regel für mich keine Rolle, wenn ich ein Spiel bespreche. Wenn die ganze Inszenierung aufgrund technischer und spielerischer Unzulänglichkeiten für mich nicht funktioniert, verschweige ich das nicht einfach, nur weil der Entwickler kein großes Budget hatte oder es besonders günstig anbietet. Und wie du richtig sagst, fühlt es sich wie eine Demo an, die jedoch nun ein kommerzielles Produkt geworden ist. Und als solches hat es für mich zu gravierende Mängel, die nicht allein durch das knapp bemessene Budget zu erklären sind.
Ja, das hab ich ja auch mitbekommen. Aber nur, weil die Protagonistin ein Alkoholproblem hat, heißt es ja noch nicht, dass der komplette Fokus des Spiels deren Erläuterung/Darstellung ist. Das ist als würde man sagen, dass in CoD:Ghosts der Faktor “Krieg” falsch dargestellt wird.
Was die Bewertungsgrundlage von Indiespielen angeht, finde ich die Herangehensweise etwas unfair, aber das ist wohl Ansichtssache. Ich finde man kann/sollte auch auf Mängel hinweisen, aber die Spiele letztendlich als das betrachten, was sie sind.
4PM erzählt erstmal eine Geschichte, die grundlegend alltagstauglich ist und sich allein schon deswegen von sämtlicher Nerd-Fiktion abhebt. Der Witz ist ja auch, dass das Tempo der Geschichte aus der ersten Perspektive gesteuert wird, während die Handlung drum herum stattfindet. Vielleicht stehe ich mit der Meinung alleine da, dass diese Art des Pacing und des Storytellings ziemlich interessant ist, auch wenn das Potential letztendlich verhungert. Aber das sind alles Faktoren, die mir in der Review gefehlt haben, vor allem da das Spiel damit beworben wird, und kein Wort über Alkoholsucht als Leitthema verloren wird.
Worin liegt denn für dich der Fokus des Spiels, wenn es nicht die Alkoholsucht ist?
Unfair in welchem Sinne? Wenn ich Indiespiele nachlässiger bewerte als AAA, dann bevorzuge ich diese aufgrund ihrer vermeintlichen Wettbewerbsnachteile, was mir nicht angebracht und schon gar nicht fair erscheint. Ich habe denke ich schon auch 4PM als das betrachtet, was es ist: Ein schlechtes Spiel, das 4€ kostet. Irgendetwas daran schöner zu reden als es ist, damit ist niemandem geholfen. Es ist leider gerade im Indiebereich oft so, dass jemand eine gute Idee für ein Spiel hat, diese aber in ihrer Umsetzung nicht mehr wirklich zur Geltung kommt. 4PM hat eine interessante Prämisse, aber was im Spiel daraus gemacht wurde, bietet mir weder eine besonders bemerkenswerte oder neue Erfahrung, noch kann ich daran eine durchdachte Federführung des Gamedesigners entdecken.
Dass eher alltägliche Dinge in Spielen aufgegriffen werden, ist ja seit einiger Zeit auch im Gamingbereich nichts neues mehr (Gone Home, The Novelist etc.). Auch das Pacing hat jetzt nicht unbedingt eine Kreativplakette verdient, schließlich entdeckt man den erzählerischen Rahmen in erwähnten Spielen auch erst nach und nach und erlebt ihn nicht aus erster Hand. Du hast natürlich recht, dass ich das hätte erwähnen können, aber auch da hätte ich wahrscheinlich nur davon berichten können, dass ich eine solche Erzählweise schon deutlich besser präsentiert bekommen habe.
Letzen Endes ist es ja auch okay, solch ein Spiel unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Andere Rezensenten des Spiels scheinen sich ob dessen Qualität auch eher uneins zu sein. Dennoch hoffe ich, dass man nicht nur zwanghaft nach Positiven sucht, bloß weil mal nicht ein seelenloser Moloch wie EA hinter dem Produkt steht. Denn wenn man Indieentwickler mit Samthandschuhen anfasst, sehen die wahrscheinlich auch keinen Grund sich weiterzuentwickeln.
Der Fokus liegt für mich in der Art wie man Geschichten erzählen kann, und dass sich der Spieler aus der Ich-Perspektive in einer filmischen Handlung befindet, dessen Umgebung er nicht -- aber irgendwie doch -- beeinflussen kann. Interessant fand ich die ständigen Szenenwechsel. Man verfolgt Caroline nicht auf Schritt und Tritt, sondern wird zufällig in einige Momentaufnahmen ihres Lebens geworfen und muss sich das Gesamtbild erstmal selbst zusammenreimen. Find ich cool, denn normalerweise verhält sich das Wissen des Spielers 1:1 zum Wissen der Figur. Identifikation ist daher nicht gegeben, man ist aber sehr wohl das eigene Instrument zum Erkunden der Umgebung und der Situation.
(“Gone Home” ist btw. eher auf Erkundung ausgelegt. Da gibts ja keine inszenierte Handlung, sondern die Geschichte wird asynchron per Notizen erzählt).
Du, ich fand das Spiel selbst schlecht und fern ab von meinen Erwartungen. Aber als Fazit lediglich auf die mangelnde Darstellung von Alkoholismus zu reduzieren, verstehe ich nicht…aber das kann man einfach mal stehenlassen.