Ludum Dare 31: Memories of Seasons
Neulich habe ich in einem Anflug von Nostalgie auf dem Dachboden meiner Eltern meinen alten Game Boy Advance ausgegraben. Im Zuge irgendeiner Entrümplung hatte ich ihn dort deponiert. Als ich ihn einschaltete, wurde ich überrascht – der Akku war noch teilweise geladen, das Gerät sprang an wie ein alter Traktor. Schockiert war ich nur von der Bildqualität. Sah das schon immer so aus? War das Bild schon immer so klein und der Sound schon immer so kratzig? Natürlich. Aber meine Erinnerungen hatten das Gerät zu einem multimedialen Alleskönner verklärt, der damals schon aussah, wie sich Tim Cook seine iPhones heute in kühnen Träumen wünscht. Das menschliche Gedächtnis ist wie ein Kriegspolitiker, der selbst in einer verlorenen Schlacht noch das Nützliche zu entdecken vermag.
Für Ludum Dare 31 programmierte Nicolas Cannasse Memories of Seasons – ein Spiel, in dem es um Erinnerungen geht, die der Spieler in jeder, garantiert aber nicht in der richtigen Reihenfolge erlebt. Hier war eine Brücke, die eigentlich erst morgen entsteht, hier wird jemand morgen sauer, denn ich im Grunde schon gestern verärgert habe – Memories of Seasons verwirrt mich, denn es erzählt mir unzusammenhängende Fetzen einer nicht greifbaren Geschichte in einer beliebigen Reihenfolge. In 2D-Grafik, auf nur einem Spielbildschirm.
Als ich kürzlich zu Gast in einem Pflegeheim war, sagte mir ein Bewohner, er habe sein Leben lang nie eine Zigarette im Mund gehabt, außerdem nie ein alkoholisches Getränk zu sich genommen. Zudem sei in seiner Ehe nie ein böses Wort gefallen, alles sei schön gewesen, immer. Ein anderer berichtete von seiner Leidenschaft für das Segelfliegen, die er selbst im hohen Alter nicht ruhen lassen wolle. Ein geliebtes Hobby aufzugeben, das wolle schließlich niemand. Noch bevor er mir von seinem Adelstitel erzählte, stimmte ich ihm zu. Vielleicht haben auch verfälschte Erinnerungen ihr Gutes. Für meinen alten Game Boy Advance habe ich mir jetzt jedenfalls ein neues Spiel gekauft.