Brief und Sigl: Fick dich, Lonely Planet!

Lieber Lonely Planet,

ich schreibe aus einem Holzverschlag, in dem eine Scheißkälte herrscht und wünsche dir und deinen “Redakteuren” genau die Krätze an den Hals, die sich allem Anschein nach inzwischen auf meinem Allerwertesten festgesetzt hat. Insekten abenteuerlicher Größe krabbeln auf meiner sauteuren, inzwischen total verdreckten Allzwecktropensportbekleidung herum und das Brüllen der wundersamerweise frostresistenten Zikaden erfüllt die Nacht da draußen, nur unterbrochen von hin und wieder bellendem Maschinengewehrfeuer.

Ja, richtig gelesen: Maschinengewehrfeuer. Ich meine, lieber Lonely Planet, ich stehe ja auf Abenteuer – ich habe immerhin The Beach 15x im Kino gesehen, ich kenne die Khao San Road wie meine Westentasche und habe bei Gott schon literweise Schlangenwodka mit australischen Travellern auf Malle vernichtet! Aber das hier, dieser Scheiß, ist nicht das “lebhafte Nachtleben”, wie es mir in eurer angeblichen Backpackerbibel “Lonely Planet: Far Cry 4” beschrieben wurde! “Kyrat ist eine wilde und ungezähmte Region in den Himalayas”, steht auf dem Umschlag. Klar, aber mal ehrlich: Kein WLAN im Umkreis von Kilometern, kein Banana Pancake, nicht einmal eine anständige Magic-Mushroom-Pizza im ganzen Land — dafür morgens, mittags, abends Linsenpampe zu essen und durchgeknallte Wahnsinnige mit Knarren an jeder Ecke haben mir zumindest diesen Urlaub aber sowas von vermiest, vielen Dank auch! Was glaubst du, lieber Lonely Planet, weshalb ich überhaupt in malerische Dritte-Welt-Länder reise? Zum Spaß?!?

Jaja, “faszinierende Kultur”, haben sie gesagt, “majestätische Landschaft” steht da höhnisch, von einem “ursprünglichen, noch nicht vom Massentourismus entstellten Geheimtipp” und “zuvorkommenden, freundlich authentischen Einwohnern” ist die Rede – my ass! Ich kann es nicht anders sagen: Kyrat ist ein beschissenes Höllenloch, wo man an jeder Ecke von unsympathischen Touristenfängern mit scharfer Munition beschossen wird – da kann die schönste Himalaya-Kulisse nix dran ändern!

Ich meine, ich hätte es besser wissen müssen, immerhin war ja auch euer letzter ach so toller Geheimtipp “Far Cry 3” ein totaler Höllentrip: Rook Island, eine exotische Tropenkulisse, ein “unentdecktes Inselparadies”, “ideal für Abenteuerlustige” – geeeenau! Gut, okay, angeblich hatten sie dort zumindest Marihuanafelder so groß wie Bielefeld, aber wurden die nicht abgefackelt? Und – genau! – war da nicht auch was mit blutrünstigen, gewalttätigen, bis an die Zähne bewaffneten Söldnern? SOWAS DARF MAN NICHT IN DEN KLEINGEDRUCKTEN “PRAXISTIPPS” GANZ HINTEN IM BUCH VERSTECKEN! NEIN, ECHT NICHT! DIE LIEST KEINE SAU! Aber zumindest war es dort warm. ZUMINDEST WAR ES DORT NICHT SO SCHEISSKALT!

Oder noch früher, auch so eine reiseliterarische Mogelpackung: “Lonely Planet Far Cry 2” – klar, Afrika ist nach wie vor der Härtetest für Backpacker, geschenkt, aber findet ihr nicht, dass ihr erklären solltet, dass mit “lebensverändernden Erfahrungen” SCHEISSMALARIA gemeint ist und mit “enger Kontakt zur lokalen Bevölkerung”, dass man ALLE ZWEI MINUTEN irgendwelche Straßensperren mit herumlungernden Milizen vor der Windschutzscheibe hat? Ich weiß schon, dass Touristen nicht in jeder Gegend gut gelitten sind, aaaaaber, liebe Redakteure: DASS DIE DANN MIT RAKETENWERFERN ANKOMMEN, HÄTTE MAN EVENTUELL SCHON AUCH ERWÄHNEN KÖNNEN!!!

Lieber Lonely Planet, abgesehen davon, dass eure Bücher schon im Titel der allergrößte Etikettenschwindel der Welt sind – mal ehrlich, “einsam” fühlt man sich an euren “Geheimtipps” exakt das letzte Mal fünf Minuten, bevor adrenalinsüchtige Taugenichtse eure Pamphlete in die wohlstandsverwahrlosten Griffel bekommen – und abgesehen davon, dass ich die restliche Zeit bis zum Abflug in drei Wochen, falls ich das überlebe, hier in diesem Schuppen verbringen werde, wo ich eure “Travellerbibel” als Toilettenpapier zumindest einem sinnvollen Zweck zuführen werde: Ihr habt mich sehr enttäuscht. Echt jetzt.

Nächstes Jahr geht’s wieder nach Las Palmas. Ein Leser weniger.

Rainer

In der Serie Brief und Sigl verfasst der Journalist Rainer Sigl offene Briefe ohne Chance auf Antwort. Rainer spielt seit den Tagen des C64 und schreibt seit 2005 für unterschiedliche Medien (nicht nur) über Computerspiele. Games-Texte erschienen unter anderem für FM4, Telepolis, WASD, Standard.at, ZEIT Online und Kill Screen.