Call for Papers: "Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel."

„Man weiß nicht recht, soll man sie den Objekten oder Umgebungen, von denen sie ausgehen, zuschreiben oder den Subjekten, die sie erfahren. Man weiß auch nicht so recht, wo sie sind. Sie scheinen gewissermaßen nebelhaft den Raum mit einem Gefühlston zu erfüllen.“

(Gernot Böhme, aus Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik)

Deutsche Version
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Call for Papers
für den Game Studies-Sammelband
Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel.

Mit seinen Essays zur neuen Ästhetik (1995) beginnt der deutsche Philosoph Gernot Böhme bereits Mitte der 1990er mit dem Versuch, den Begriff der Atmosphäre – „die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen“ – zu schärfen und als Grundbegriff für eine neue Ästhetik zu etablieren, die den Fokus auf ihre ursprünglichen Wurzeln setzt: Sie soll wieder eine Wahrnehmungslehre statt ein Mittel zur Urteils- und Kunstkritik sein. Indirekt unterstützt wird er dabei unter anderem durch Hans Ulrich Gumbrecht, der in Diesseits der Hermeneutik (2004) eine geisteswissenschaftliche Bevorzugung semiotischer Interpretation gegenüber der leiblichen Wahrnehmung von Präsenzphänomenen beklagt. Der geplante Sammelband versteht sich als eine Fortführung und Ausarbeitung genau jener methodischen und begrifflichen Problemstellungen und will den Terminus der Atmosphäre als Gegenstand und Instrument für die Game Studies produktiv machen.

„Wichtig ist […], daß man den Charakter einer Atmosphäre nur bestimmen kann, indem man sich ihr aussetzt. Er ist nicht von einem neutralen Beobachterstandpunkt aus festzustellen, sondern nur in affektiver Betroffenheit.“

(Gernot Böhme, aus Aisthetik – Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre)

Dem Publikationsvorhaben liegt dabei die Beobachtung zugrunde, dass die Computerspielebranche in den letzten fünf bis zehn Jahren eine tiefgreifende Veränderung durchgemacht hat. Spätestens seit den frühen 00er-Jahren beginnen EntwicklerInnen, die Potenziale des Mediums Computerspiel neu zu entdecken und auszuschöpfen. Immer mehr Spiele – häufig aus der Independent Gaming-Szene – rücken traditionelle Spielmechanismen – also zeit-, entscheidungs- und konfigurationskritische Abfragen der SpielerInnen – zugunsten einer betonten Erlebnishaftigkeit in den Hintergrund. So bieten Computerspiele wie Shadow of the Colossus (2006), Braid, The Void (beide 2009), Amnesia: The Dark Descent (2010), Bastion, Limbo, Trauma (alle 2011), Anna, Botanicula, Home und Lone Survivor (alle 2012) – sowie viele weitere – ein Spielerlebnis, das merklich auf eine atmosphärische Wirkung abzielt. In einigen Fällen ist das Evozieren einer Atmosphäre sogar die zentrale Intention des Spiels – so etwa in The Graveyard, The Path (beide 2009), Dinner Date (2011) und Dear Esther (2012). Hermeneutische Untersuchungen, die sich den interpretativen Methoden der Literaturwissenschaft und ludologischer Strukturanalyse bedienen, konnten der Bedeutung und Vielfalt dieses Trends und seiner Gegenstände bislang nicht gerecht werden. Insbesondere der konkrete Akt des Spielens und das ästhetische Erleben der SpielerInnen geht im toten Winkel wenig sagender Begriffe wie „Interaktivität“ und „Immersion“ verloren. Der geplante Sammelband Zwischen|Welten möchte daher – mithilfe der neuen Ästhetik im Sinne von Gernot Böhme – Analysen, Essays und Interviews zu atmosphärischen Computerspielen versammeln, die nach der tatsächlichen Ästhetik des Mediums, der (leiblichen) Präsenz in virtuellen Räumen, der Produktion von Atmosphären und den Welten zwischen Computerspiel und SpielerInnen fragen.

Beispielhafte Fragestellungen können sein:

• Welche Atmosphären lassen sich feststellen, mit welchen Mitteln (z.B. im Level-, Grafik-, Sound- sowie Spieldesign) werden sie erzeugt und wie wirken sie auf die SpielerInnen? Wie beeinflusst der reale Raum dabei den Spielraum und umgekehrt? Wie verändern Atmosphären das Verhältnis zwischen SpielerIn und Avatar? Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern das Computerspiel hier mit anderen ästhetischen Praktiken wie etwa der Architektur, der Musik, der Malerei oder dem Film korrespondiert. Für diesen Zweck sind sowohl Einzel- und Vergleichsanalysen von Interesse (z.B. die Atmosphären verschiedener Survival Horror-Spiele) wie auch Interviews beziehungsweise Werkstattberichte mit und von SpieledesignerInnen.

• Ist der Trend zur Atmosphäre lediglich eine Marketingstrategie, um die eigenen Spiele gewinnbringend von anderen abzuheben, gar nur eine flüchtige Modeerscheinung, oder handelt es sich um einen kulturellen Indikator für ein immer stärker werdendes Bedürfnis nach (leiblicher) Präsenz und für ein Schwinden strikter (Spiel-)Regelstrukturen? Zu beachten ist dabei auch die stetige Abnahme von mechanischer Komplexität, wie sie etwa bei Casual Games zu beobachten ist, und das Verschwinden der Bildschirminterfaces. Setzt die exklusive Wahrnehmung von Atmosphäre im Computerspiel möglicherweise erst die Reduktion von Spielmechanik und Interface voraus?

• Lassen sich subkulturelle Praktiken, wie das nostalgische Retrogaming (vgl. Sebastian Felzmanns Playing Yesterday – Mediennostalgie im Computerspiel, erschienen 2012), möglicherweise durch den Begriff der Atmosphäre und damit einhergehend durch die neue Ästhetik erklären? Evozieren Pixel und Chiptunes etwa Atmosphären der Heimkehr in die eigene Kindheit?

Die eingereichten Vorschläge können, müssen jedoch keineswegs einer strengen Wissenschaftlichkeit unterliegen; vielmehr geht es um eine exzellente Lesbarkeit der Beiträge. Daher sind essayistische Betrachtungen ausdrücklich ebenso erwünscht wie klassische, akademische Beiträge. Wünschenswert wäre eine vorherige Lektüre von Böhmes Essayband Atmosphäre – Essays zur neuen Ästhetik (1995, Frankfurt am Main: Suhrkamp) und/oder seiner Monografie Aisthetik – Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre (2001, München: Wilhelm Fink Verlag). Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen!

Einreichungsmodalitäten und Deadlines

Die Vorschlagseinreichungen (max. 5.000 Zeichen) werden von den Herausgebern gesichtet. Die Vorschläge sollten Titel, Namen, Institution und Adresse enthalten.

Anschließend erfolgen die Zu- bzw. Absagen. Die Beiträge können wahlweise in deutscher oder englischer Sprache geschrieben werden. Die Formatierungsvorgaben sowie ein Stylesheet für die vollständigen Artikel erfolgt nach Zusage.

Es ist geplant, den Sammelband im Verlag Werner Hülsbusch im Sommer 2013 herauszugeben.

Einreichung Abstract: 15. Dezember 2012
Zusage bis: 15. Januar 2013
Einreichung Volltext: 31. Mai 2013
Geplante Publikation: Sommer 2013
Bitte senden Sie Ihre Artikelvorschläge an: atmosphaeren@googlemail.com

Zu den Herausgebern

Christian Huberts, geboren 1982, ist Diplom-Kulturwissenschaftler und war zuletzt wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien und Theater der Universität Hildesheim. Er gibt Seminare zu Computerspielästhetik und schreibt für wissenschaftliche Publikationen und Kulturmagazine über die Partizipation an virtuellen Welten, Game Studies und Independent Games. Er bereitet zurzeit seine Dissertation und ein Forschungsprojekt zur „Geschichtsvermittlung in Computerspielen“ vor. Weitere Informationen gibt es auf seiner Homepage www.christianhuberts.de.

Sebastian Standke, geboren 1988, ist Bachelor-Kulturwissenschaftler und studiert seit 2011 Inszenierung der Künste und der Medien in Hildesheim. Seine Bachelorthesis beschäftigt sich mit burlesk-komischen Elementen im Weltkriegsshooter anhand des Beispiels Call of Duty (2003). Derzeitig erarbeitet er für seine Masterarbeit ein Reenactment von Klaus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“, um das Potenzial des Formats als medienwissenschaftliches Instrument auszuloten. Er schreibt für den deutschen Spieleblog www.superlevel.de.

Gemeinsam erschien von den beiden Herausgebern (zusammen mit Daniel Appel und Tim Raupach) im März 2012 der Game Studies-Sammelband Welt|Kriegs|Shooter – Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien? im Verlag Werner Hülsbusch.

Download (PDF)

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English version / Englische Version
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Call for Papers
for the game studies anthology
Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel.
(Engl.: Between|Worlds. Atmospheres of video games.)

„One doesn’t know for sure, if one should attribute them to the objects or surroundings, from which they emanate, or to the subjects, which experience them. One also doesn’t really know for sure, where they are. In a sense, they seem to nebulously fill the space with a feeling tone.“

(Gernot Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik, own translation)

Already in the mid-90’s, the German philosopher Gernot Böhme began to sharpen his concept of the atmosphere – the common reality of the perceiver and the perceived – with his Essays zur neuen Ästhetik (1995). The atmosphere should form the basic term of a new aesthetics that puts the focus back on its initial roots: The aesthetics should again be a theory of perception instead of a means for criticizing art and opinion. Among others, he is indirectly supported by Hans Ulrich Gumbrecht, who criticizes the humanistic preference for semiotic interpretations over the bodily perception of presence phenomena in his book Diesseits der Hermeneutik (2004). The planned anthology wants both to be a continuation and elaboration of these methodical and conceptual topics and to harness the term of the atmosphere as an important research object and instrument for the game studies.

„The important thing is […] that one can only determine the character of an atmosphere by exposing to it. It can’t be determined from a neutral observer’s point of view, but only in affective involvement.“

(Gernot Böhme, Aisthetik – Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, own translation)

The publication project is underlain by the simple observation that the video game industry went through profound changes in the last five to ten years. At the latest since the early 2000’s, game developers began anew to discover and exhaust the potentials of the medium of the video game. More and more games – often designed in the independent gaming scene – move traditional game mechanisms – time-, decision- and configuration-critical queries to the players – into the background in favor of an emphasized ‚Erlebnishaftigkeit‘ – the presence of a (gaming) experience, so to speak. Thus, video games like Shadow of the Colossus (2006), Braid, The Void (both in 2009), Amnesia: The Dark Descent (2010), Bastion, Limbo, Trauma (all in 2011), Anna, Botanicula, Home and Lone Survivor (all in 2012) – as well as many others – offer a gaming experience that is clearly targeting on an atmospheric effect. In many cases, the evoking of an atmosphere even is the central intention of the game – like in The Graveyard, The Path (both in 2009), Dinner Date (2011) and Dear Esther (2012). Up till now, hermeneutic examinations, that make use of the interpretative methods of literary studies and ludological structure analysis, couldn’t do justice to the meaning and variety of this trend and its subjects. In particular the specific act of playing and the aesthetic experience of the players get lost in the blind angle of insufficient concepts like ‚interactivity‘ and ‚immersion‘. Hence, the intended anthology Zwischen|Welten – Atmosphären im Computerspiel wants to gather analyses, essays and interviews concerning atmospheric video games and ask – with the help of the new aesthetics as defined by Gernot Böhme – for the actual aesthetics of the medium, the (bodily) presence in virtual rooms, the production of atmospheres and the worlds between video game and players.

Possible questions and research topics

• By which means (e.g. level/graphic/sound/game design) can atmospheres be created and how do they affect the players? How does the real space influence the game space and vice versa? How do atmospheres change the relation between player and avatar? And besides, to what extent do video games correspond with other aesthetic practices like architecture, music, painting and film in terms of the production of atmospheres? Both single and comparative analyses (e.g. the atmospheres of different survival horror games) as well as interviews or workshop reports with and by game designers are of interest to this purpose.

• Is this trend towards atmosphere just a marketing strategy to profitably distinguish own games from those of others, is it only a temporary fashion, or is it a cultural indicator for an increased desire for (bodily) presence and a symptom of the fading of strict (game) rule structures? The steady decrease of mechanical complexity, as can be observed for example in casual gaming, and the disappearance of the screen interfaces is also of relevance here. Could the exclusive perception of atmosphere in video games possibly require the reduction of game mechanics and interfaces at first?

• Can subcultural practices – like the nostalgic retrogaming (cf. Sebastian Felzmann, Playing Yesterday – Mediennostalgie im Computerspiel, published in 2012) – be explained by the concept of the atmosphere and the new aesthetics? Do pixels and chiptunes possibly evoke atmospheres of homecoming in the own childhood?

Submission modalities and deadlines

The proposal submissions (max. 5,000 characters) will be checked by the editors. The abstracts should contain a title, the author’s name, institution and address.

Acceptance or refusal happens after the submission deadline. The texts can be written in German or English. The layout specifications and a stylesheet for the articles will be given after the confirmation deadline.

The release is scheduled for the summer of 2013 in the Verlag Werner Hülsbusch.

Submission of abstracts: 15 December 2012
Confirmation till: 15 January 2013
Submission of full text: 31 May 2013
Planned publication: Summer 2013

Please send your proposals to: atmosphaeren@googlemail.com

The submitted proposals may or may not be subject to a strict scientific approach; rather an excellent readability of the articles is desired. Hence, essays are as welcome as academic texts. We recommend a previous reading of Böhmes Atmosphäre – Essays zur neuen Ästhetik (published in 1995, Frankfurt am Main: Suhrkamp) and/or Aisthetik – Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre (published in 2001, Munich: Wilhelm Fink Verlag), but that’s not a requirement. We are looking forward to your submissions!

About the editors

Christian Huberts, born in 1982, has a diploma in cultural studies and was at last a scientific employee at the institute of media and theatre of the university of Hildesheim. He gives seminars about video game aesthetics and writes for scientific publications and cultural magazines about the participation in virtual worlds, game studies and independent games. At the moment he prepares his dissertation and a research project about the mediation of history in video games. For further information visit his homepage www.christianhuberts.de.

Sebastian Standke, born in 1988, has a B.A. degree in cultural studies and since 2011 is working on his M.A. degree in the staging of the arts and media at the university of Hildesheim. His bachelor’s thesis deals with the burlesque-humoristic elements of World War II first-person shooters using the example of Call of Duty (2003). At the moment he is preparing a reenactment of Klaus Kinski’s „Jesus Christus Erlöser“ to analyze the potential of this form as a instrument of media science in his master’s thesis. He writes for the German gaming blog www.superlevel.de.

In March 2012, both editors published (together with Daniel Appel and Tim Raupach) the game studies anthology Welt|Kriegs|Shooter – Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien? released by Verlag Werner Hülsbusch.

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