Superlevel

Früher war alles besser…

Unter manchen Spielern, die diverse Hardware- und Softwaregenerationen miterleben durften, gehört eine gewisse Wehmut quasi zur Tagesordnung. “Früher war alles besser.“, heißt es dann und soll den Umstand verdeutlichen, aktuelle Games wären nicht in der Lage, dem digitalen Zauber vergangener Tage den Manatrank zu reichen.

Um das Fazit des Artikels vorweg zu nehmen: Nein, früher war es nicht besser, sondern lediglich aufgrund verschiedener, persönlicher Faktoren intensiver. Aber da ich selbst dazu neige, ein irrationales Ungleichgewicht von Vergangenheit und Gegenwart in mir zu tragen, möchte ich den Gründen dafür auf den Zahn fühlen. In erster Linie für mich selbst. Aber wer sich der Reise anschließen möchte, sei hiermit herzlich eingeladen.

Als Scheidungskind der 80er mit überdurchschnittlicher Intelligenz und großzügiger Mutter zierte schon sehr bald ein C64 mein Kinderzimmer. Mein Einstieg in die schöne, bunte Pixelwelt bildeten demnach Spiele wie Summer Games, California Games, International Karate und Giana Sisters. Konnten mich Sport-, Kampf- und Hüpfspiele nachfolgender Generationen ebenso begeistern, wie es einst die Klassiker vermochten? Nein.

Als ich damals meine ersten Gehversuche in die Computerwelt unternahm, waren meine Erwartungen noch sehr überschaubar und dementsprechend schnell befriedigt. Ich hatte keine Erwartungen an die Grafik, da ich nur auf wenige Vergleiche zurückblicken konnte, die konsumierte Technik mein technisches Verständnis überstieg und das Gesehene kommentarlos als Nonplusultra akzeptiert wurde. Mit den Jahren habe ich mir ein komplexes Gerüst aus Erwartungen gesponnen, und bei jeder Konfrontation mit etwas Neuem, muss es sich meiner Skepsis stellen und wird in der Regel verlieren. Kindliche Unbefangenheit ist aber nur einer von vielen Faktoren, die es nahezu unmöglich machen, eine derartige, emotionale Intensität vergangener Tage zu reproduzieren.

Apropos Befriedigung und Reproduktion — an dieser Stelle möchte ich einen Bogen zur Pornographie machen. Erinnert ihr euch noch an den ersten Porno, den ihr zu Gesicht bekamt? An die Faszination für das Neuland und an die damit verbundenen psychischen und physischen Reaktionen? Nun ist es aber so, dass irgendwann unweigerlich der Softcore dem Hardcore weicht. Irgendwann sind so viele Bilder von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen durch das Gehirn geflitzt, dass durch die daraus resultierende Reizüberflutung ein gewisses Abstumpfen nahezu unvermeidbar ist. Genau dieses Abstumpfen lässt sich auch auf Spiele übertragen.

Als nächsten Punkt möchte ich die Begeisterungsfähigkeit aufführen. Im Kindesalter konnte ich stundenlang und pausenlos einen Papierflieger durch die Luft werfen. Oder Löcher buddeln. Oder Urzeitkrebse züchten. Oder Computerspiele spielen. Noch verschont von Dingen wie Mobbing, Mieterhöhung, Haarausfall und Herzverfettung konnte ich mich den einfachen Dingen hingeben, mich für sie begeistern — und in Kombination mit kindlicher Fantasie in neue, aufregende Welten abtauchen, die mich zu fesseln wussten. Es bedarf keiner hochauflösenden Texturen und Sprachausgabe, weil ich mich ebenso mit einem Strohhalm, einem Blatt Papier und etwas Spucke zufrieden gegeben hätte.

Wenn man jetzt also in der Vergangenheit schwelgt und einer persönlichen Epoche hinterher trauert, in der die Spiele vermeintlich besser waren, sehnt man sich nicht nach den hohen Qualitätsmaßstäben von früher. Die Storys waren nicht besser, die Charaktere nicht ausgefeilter. Vielmehr war die eigene Geschichte noch nicht geschrieben, der eigene Charakter formbarer und deutlich leichter zu faszinieren. Und addiert man dazu noch die Zeit, die nämlich nicht nur Wunden heilt, sondern generell negative Erfahrungen verblassen lässt, ergibt das eine unglaublich schöne, aber auch welke Erinnerung –, die durch kein Remake dieser Welt erneut aufzublühen vermag.

14 Kommentare zu “Früher war alles besser…”

  1. michi
    1

    Vermutlich spielt rein grafisch auch eine Rolle, dass bei stärker Abstraktion die Vorstellung des Spielers viel mehr einbezogen wird. Das erhöht zwar die Einstiegsschwelle und schränkt das Publikum ein, resultiert aber nach einer gewisser Eingewöhnungszeit auch in grösserer Involvierung durch den Spieler weil Geschichte/Spiel zwar von den Pixeln angeregt wird, allerdings grösstenteils tatsächlich im Kopf des Spielers passiert. Vermute ich.

    • Mutter
      2

      @michi:

      Vermutlich spielt rein grafisch auch eine Rolle, dass bei stärker Abstraktion die Vorstellung des Spielers viel mehr einbezogen wird. Das erhöht zwar die Einstiegsschwelle und schränkt das Publikum ein, resultiert aber nach einer gewisser Eingewöhnungszeit auch in grösserer Involvierung durch den Spieler weil Geschichte/Spiel zwar von den Pixeln angeregt wird, allerdings grösstenteils tatsächlich im Kopf des Spielers passiert. Vermute ich.

      Das ergibt doch keinen Sinn.

  2. Fabu
    3

    Ja, sehe ich auch so. Vor allem hat die “schlechte” Grafik nicht gestört. Das kam dann erst später, als man gesehen hat, wozu ein guter Grafiker tatsächlich in der Lage war.

  3. Starbuck Rogers
    4

    Am Ende aller Zeiten, wenn das All implodiert, für immer still steht oder sich ins Unendliche ausdehnt, wird eine Botschaft bleiben.

    GAME OVER! REPLAY ?  PRESS THE BUTTON!

    • Marco
      5

      @Starbuck Rogers:

      Am Ende aller Zeiten, wenn das All implodiert, für immer still steht oder sich ins Unendliche ausdehnt, wird eine Botschaft bleiben.

      GAME OVER! REPLAY ?  PRESS THE BUTTON!

      Das sehe ich auch so.

  4. Player1
    7

    Toller Artikel. Ich glaube, der Schlüssel ist tatsächlich die Reizüberflutung. Ich habe den Test schon oft gemacht und nach Jahren wieder alte Spiele z.B. in meine Playstation eingelegt, und zwar solche, an die ich mich nicht mehr von A bis Z erinnern konnte. Die Nostalgie führt zwar im ersten Moment oft zum “früher war alles besser”-Effekt, aber selbst der nutzt sich nach den ersten Minuten wieder ab. Leider, muss man dazu sagen, da es gerade für die PlayStation einige Titel gibt, die ich noch immer als genial erachte, aber bring mal ein paar von heutigen Spielen verwöhnte Spieler dazu, eine Runde Team Buddies zu spielen… Fehlanzeige.

  5. mkraxx
    8

    @ Player1: Vielleicht musst du weiter zurückgehen. Ich habe gerade sehr viel Spaß mit alten NES-Spielen, und der von dir beschriebene Effekt mit der Abnutzung ist bei mir nicht aufgetreten, eher das Gegenteil: die Spiele waren zwar viel kürzer, boten in der vorhandenen Zeit aber meiner Ansicht nach mehr Variation und Abwechslungsreichtum (Cobra Triangle, anyone?)

    @ Fabu: schöner Text, da kommentiert man doch gerne…

    • Dean
      9

      @mkraxx:

      @ Player1: Vielleicht musst du weiter zurückgehen. Ich habe gerade sehr viel Spaß mit alten NES-Spielen, und der von dir beschriebene Effekt mit der Abnutzung ist bei mir nicht aufgetreten, eher das Gegenteil: die Spiele waren zwar viel kürzer, boten in der vorhandenen Zeit aber meiner Ansicht nach mehr Variation und Abwechslungsreichtum (Cobra Triangle, anyone?)

      @ Fabu: schöner Text, da kommentiert man doch gerne…

      Superlevel ist großartig!

  6. Arne

    Der Vergleich mit den Pornos trifft zu, man stumpft in gewisser Weise ab. Man kann das ganz aber auch umdrehen. Man wird zum Videospiele-Gourmet. Ich finde, das sich unter den sogennanten Triple-A Titeln mittlerweile auch unfassbar viel Mist tummelt. Man findet einfach weniger tolle Spiele, da die Ansprüche wachsen, was imo auch sehr gut ist. So wird man auch unteranderem auf talentierte Indie-Entwickler aufmerksam, wo noch Herzblut in den Spielen steckt oder lernt Titel wie Heavy Rain trotz ihrer Schwächen zu schätzen. Es geht (zumindest bei mir) stellenweise nicht mehr nur ums spielen, sondern auch um das Spiel selbst. Man spielt reflektierter und es geht nicht nur um den Unterhaltungswert — wobei ich immer noch gerne Metal Slug zwischendurch anwerfe, wenn ich mich einfach nur unterhalten lassen möchte ;)

  7. Asamak

    Die Spiele von früher kann man ganz gut mit der heutigen Indie-Szene vergleichen. Es gab auch damals viel Mist aber das Medium war neu und die Entwickler experimentierfreudig. Die meisten Spiele waren nicht tiefgründig sondern unterschieden sich erfrischende Weise von den anderen.

    Ich kenne da welche *räusper* die hatten ganze Diskettenboxen voll mit hunderten Spielen. Und es war recht selten, dass man einen ganzen Nachmittag das selbe Spiel spielte. Heutzutage ist das eher selten der Fall. Vor allem, wenn man sich mal überlegt wie viel Zeit man in MMORPGs wie WOW investieren kann.

  8. Daniel

    Spiele wie Zac McKracken, Giana Sisters, Mafia, Hanse, Ultima, California Games waren für damalige Verhältnisse absolute Spitzenklasse. Früher waren das “Perlen”. Heutzutage gibt zig Varianten von allen möglichen Arten von Spielen, diese “Aha”- oder “Wow!”-Effekte sind nicht mehr so… -- intensiv! Einfach, weil die Erwartungshaltung heute ganz anders ist.

    Auf dem C64 eine Demo zu erstellen hatte einen besonderen Reiz, nämlich an die Grenzen des technisch Machbaren zu gehen. Beim PC, hat man den Eindruck, gibt es diese Grenzen nicht, das Besondere kann nicht mehr so deutlich hervorstechen wie damals…

  9. Fabu

    Je breitgefächerter die Möglichkeiten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Unschönes entsteht. Das hat man z.b. bei vielen C64-Grafikern gesehen, die sich später an PC-Grafik wagten und unglaublich hässlichen Rotz fabrizierten.

    Das ist allerdings wirklich beeindruckend:
    http://www.youtube.com/watch?v=ON4N0yGz4n8

  10. Stonejackit

    Farbrausch -- fr-062: the cube > Fairlight Agenda Circling Forth

7 Trackbacks zu “Früher war alles besser…”

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