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Das finnischste Spiel der Welt

"Terve! Mun nimi on Rochard, olen duunari"

Rochard von Recoil Games aus Helsinki ist das finnischste Spiel, das mir je untergekommen ist. Das hat zwei Gründe und als jemand der in Finnland lebt, würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich das nicht erläutern würde. Darum: Was macht Rochard, ein Physik-Puzzle-Spiel über einen Weltraum-Redneck, zu einem finnischen Spiel, was sagt es uns über finnisches Gamedesign und was über Finnland?

Als ich für die GEE in Helsinki an einem Artikel über Petri Purho gearbeitet habe, kam ich nicht umhin Petri danach zu fragen, was finnisches Gamedesign denn ausmache. Seine Antwort:

“Finnische Entwickler machen meist nicht viele ausgeflippte Experimente, ihre Innovationen liegen aber im Detail. Sie nehmen vorhandene, funktionierende Spielkonzepte und verfeinern sie oder fügen einen Twist hinzu.”

Unwissentlich beschreibt damit Petri Purho Rochard: Es ist kein Spiel, das wie Narbacular Drop, völlig neuartiges Puzzledesign einführt. Rochard nimmt bekannte Puzzlekonzepte und Elemente aus anderen Spielen, wirft sie zusammen und beobachtet was passiert, wenn Preys Schwerelosigkeit auf Half-Lifes Gravity Gun trifft. Von Ideenlosigkeit oder Diebstahl zu sprechen, ist hier völlig fehl am Platz. Finnisches Gamedesign besteht darin, vorsichtig zu beobachten und ohne große Gesten auf vorhandenen Ideen aufzubauen, um das Beste aus Spielkonzepten rauszuholen.

Es gibt aber noch eine zweite Sache an Rochard, die es für mich so finnisch macht: John Rochard, der Held des Spiels. John Rochard ist ein Weltraumminenarbeiter mit Bierbauch und Schnauzer. Ein erfolgloser Mann mittleren Alters, der vermutlich Lynyrd Skynyrd bei der Arbeit hört, über neue Technik grummelt und mit ernstem Gesichtsausdruck “Whoop-dee-dee” sagt. John Rochard ist ein liebenswerter Redneck. Moment! Redneck? Finnland ist ein bisschen weit im Norden, um eine Verbindungen zu den Südstaaten zu haben. Was hat ein Südstaatenweltraumminenarbeiter mit Finnland zu tun?

Um das zu erklären, muss ich erst einen kleinen Bogen schlagen. Wann war das letzte Mal, dass ein ungebildeter Redneck in Filmen, Serien oder Spielen eine wichtige Heldenrolle eingenommen hat? Redneck Rampage ist schon eine Weile her, aber selbst hier waren die beiden Helden Leonard und Bubba eher Parodien. Rednecks sind, zumindest was US-Medien angeht, Witzfiguren. Sie können liebenswerte Trottel sein (Ellis aus Left 4 Dead 2 zum Beispiel), Sidekicks (Daryl aus AMCs Walking Dead) oder Mutantenmonster (The Hills Have Eyes, Chainsaw Massacre).

Rednecks sind keine Helden, sondern ein peinliches Überbleibsel aus einer Kultur, die sich längst von Farmarbeit und Landleben wegbewegt hat. Nicht so in Finnland. Das Konzept des “Arbeiters” hat in Finnland Tradition und die ländliche Gegend im Norden ähnelt mehr den Südstaaten als man denkt (leider auch in Sachen Rassismus). Tatsächlich sind in Finnland Arbeiter gesellschaftlich weitaus mehr geschätzt als irgendwo anders. Nicht selten kommt es vor, dass Doktoranden der Theoretischen Physik nach dem Abschluss auf den Bau gehen statt in die Forschung. Sie nennen sich “Duunari” und werden für ihre Arbeit nicht mehr und nicht weniger geschätzt, als hochgebildete Fachkräfte. Die männlichen Partner meiner finnischen Freunde sind (oder waren): Lagerarbeiter, Holzfäller, Türsteher -– und das ist okay.

Auch in den Filmen des bekannten finnischen Regisseurs (und Jim Jarmush Kumpels) Aki Kaurismäki geht es immer um Arbeitertypen. Um ungebildete, einfache Männer und Frauen bei der Müllabfuhr und bei der Nachtwache, die Pech haben im Leben und immer wieder aufstehen, egal wie mies es ihnen geht und egal wie kalt der Winter und dunkel der ausgehende Herbst.

John Rochard ist ein solcher Held. Ein simpler Arbeiter, der in keinem Moment des Spiels als Witzfigur dargestellt wird. Und das ist so überraschend wie liebenswert. Ich glaube nicht, dass es so von einem Entwickler außerhalb Finnlands hätte gemacht werden können.

Rochard ist seit gestern Abend erhältlich, hier gibt es die Review.

6 Kommentare zu “Das finnischste Spiel der Welt”

  1. Fabu
    1

    Danke für den Einblick. Ist es aber nicht tendenziell “skandinavisches” Gamedesign?

  2. Dennis
    2

    Nicht sicher! Das wäre dann wohl der nächste Schritt zu gucken, wie es in Beziehung steht zu den anderen skandinavischen Sachen.

    Schweden z.B. hat recht viele Beispiele für völlig geniale off-Beat Ideen wie den ganzen Paradox-Kram, Magicka und natürlich Notch.

    Dänemark hat das Copenhagen Game Collective, Limbo und so.

    Und Norwegen…Norwegen hat Cactus und Norrland

    (und besteht Island nicht einfach nur aus EVE?)

    Wär mal interessant zu gucken, wie das alles miteinander in Beziehung steht. Über kulturelle Sachen in anderen skandinavischen Ländern kann ich leider nicht soo viel sagen.

  3. Manu
    3

    Ist Minecraft dann schwedisch?

    .

    ..
    ….
    ….
    wait for it…
    ..

    ICH MEINE WEGEN IKEA UND SELBER BAUEN HAHA VERSTEHSTE?!!1

  4. Dennis
    4

    Head Explode!

  5. Fabu
    5

    Naja, Länder auf zwei, drei Indieentwickler zu reduzieren, wäre vielleicht eeeeeeetwas kurzsichtig. ;-)

  6. Dennis
    6

    Stimmt auch wieder! Wie gesagt: Komplexes Thema, schwer ohne viele Verallgemeinerungen Konkretes zu zu sagen.

    Zumindest zu Finnland hatte aber die EDGE neulich ein Profil.

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