HORSE the band ist eine Ausnahmeerscheinung. Ein Artikel über diese Band hat auf diesem Blog eigentlich nichts verloren, da die meisten Leser eh nichts mit dieser Musikgruppe anfangen oder ihr Gesamtprodukt nicht ausreichend wertschätzen können. Aber das ist ok, denn es gibt Menschen, die Musik konsumieren, und andere, die sich damit aktiv auseinandersetzen und diese hinterfragen. Letztere sollten sich den Tour-Dokumentarfilm EARTH TOUR anschauen.
Dabei möchte ich HORSE the band gar nicht besonders lobpreisen und auch ihre Musik spricht mich nicht wirklich an. Nüchtern betrachtet handelt es sich um eine Combo aus Kalifornien, die Post-Hardcore und Metalcore mit Klängen mischt, die eine gewisse Nintendo-Romantik aufweisen. Scherzhaft bezeichnete Sänger Nathan Winneke in einem Interview diesen Stil als Nintendocore und bereute es im nächsten Moment wieder – doch das ist eine andere Geschichte.
Zugegebenermaßen ist HORSE the band (Htb) nicht besonders zugänglich. Anleihen aus Mathcore sorgen für krude Takte, ungewohnte Songstrukturen und zahlreiche Rhythmenwechsel, dazu kommen schräger Humor sowie hoher Anspruch, der nicht selten in Arroganz zu kippen vermag. Tatsächlich kannte ich die Alben der Band nur oberflächlich als ich die Torrentdatei mit Transmission öffnete.
Der Download, obwohl nur in DVD-Qualität, ist überraschend groß. Zum einen liegt der Dokumentation ein aufwändig gestaltets Fotobuch im .pdf-Format bei, zum anderen ist der Film in insgesamt sechs Kapitel unterteilt. Dabei kratzt jedes dieser Kapitel an der Zwei-Stunden-Marke, insgesamt sprechen wir von 10,5 Stunden Videomaterial. Zu Zeiten von extrem kurzen Aufmerksamkeitsspannen auf Seiten der Konsumenten ist alleine dieser Umfang schon eine Ansage an sich. EARTH TOUR lässt sich nicht mal eben an einem Abend konsumieren, geschweige denn begreifen.
Die EARTH TOUR umfasste mehr als 75 Konzerte in 45 Ländern auf 4 Kontinenten innerhalb 3 Monate im Jahre 2008. Die Band um Sänger Nathan Winneke, Keyboarder Erik Engstrom, Gitarrist David Isen, Bassist Dash Arkenstone und Drummer Jon Karel, der erst wenige Tage vor Beginn der Reise Htb beitrat, legte insgesamt 57002 Meilen mit Auto, Flugzeug und Schiff zurück.
Die Tour wurde komplett von der Band und zahlreichen Fans organisiert und finanziert. Htb entschieden sich lange vor der Reise, diese ohne die Hilfe von professionellen Bookern oder Tourmanagern in Angriff zu nehmen. DIY bis zum letzten Tag.
Ein guter Freund der Band, Filmemacher Gary Lachance, bannte die Eindrücke verschiedenster Couleur auf insgesamt 134 Stunden Videoband. Der Stil ist dreckig, bevorzugt mit Hand-Cam gefilmt und nur oberflächlich farbkorrigiert. Den Aufwand, den Lachance allerdings betreibt, um über eine Distanz von 10,5 Stunden kontinuierlich neue Perspektiven und Bilder anzubieten ist bemerkenswert. Dabei spielen ihm natürlich die zahlreichen Kulturen, Menschen, Länder und Konzertorte in die Karten, die die Band mit einer schon beinahe unheimlichen Selbstverständlichkeit besucht.
Nebst den vereinzelten Live-Aufnahmen geht die Dokumentation sehr spärlich mit zusätzlicher Musik um. Lachance schafft so eine Klammer, die die unterschiedlichsten Eindrücke verbindet, und sich wie ein roter Faden durch das Filmmaterial zieht. Dabei gelingt es ihm, mit seiner Kamera nicht nur stumpf den Moment einzufangen, sondern die Bandmitglieder in Unterhaltungen und vereinzelte Interviews zu verwickeln, die nicht nur Einblicke in das Bandgefüge, sondern auch in die Psyche eines jeden Einzelnen ermöglicht. Diskussionen, die besonders dank Isen oder Engstrom schnell in philosophische Diskurse kippen können, zählen zu den wenigen Längen des Films.
Überraschenderweise schafft der Film seine eigenen Spannungsmomente und Dramaturgiekurven, ohne dabei irgendeinem Skript zu folgen. So verliert Engstrom auf halber Reise sein Keyboard, Veranstalter wollen nicht bezahlen und diverse Scharmützel führen zu internen Spannung. Der Tourverlauf erscheint stellenweise ungewiss. Alkohol, Frauen und spontane Parties tun ihr übriges. Die besten Geschichten erzählt halt immer noch das Leben selbst.
Immer mit dabei: Die Fotografin Sarah Hamilton, deren beeindruckende Arbeit sich in dem beigelegten Fotobuch bestaunen lässt (oder bei Flickr), welches die Reise mit zahlreichen Aufnahmen und Texten rekapituliert.
EARTH TOUR steht zum kostenlosen Download auf der offiziellen Seite bereit. Es wird um Spenden gebeten:
“Earth Tour wasn’t profitable.
And the movie and book you are about to download took just under 3 years of nonstop work by as many as 7 people from inception to completion, for no money.
If you like this movie and you appreciate its mere and unlikely existence, and you feel like the world might be a better place if Earth Tour and things like it were profitable ventures, donations will always be accepted at the Earth Tour website, for the rest of our lives.”
Weitere Bewegtbild-Eindrücke sind hier zu finden.
Obwohl ich Chiptunes und hartes Geklampfe liebe, will sich mir diese Mischung nicht erschliessen. Und meine Aufmerksamkeitsspanne bewegt sich obendrein weit unter 10,5 Stunden….eigentlich sogar weit unter 10,5 Minuten. Schade.
Potztausend!
Gut, dass Arne das hier gepostet hat, auch wenn es Neid weckt. Und was sind schon zehn Stunden… wir haben damals in der Somme fast fünf Monate im Graben gelegen, da kann ich diesen Schimpansen-erforschen-Globus-Streifen zwischen Gartenarbeit und meinem nächsten Mord locker fernsehen.
Harsche Mythen,
Zigarette