Nach den Klötzen kommen die magischen Schriftrollen. Das neuste Werk der Minecraft-Macher ist vor einem Monat in die offene Beta gestartet. Hat Mojang den Nerv der Zeit mit einem virtuellen Sammelkartenspiel erneut getroffen?
Alles begann sehr unscheinbar. Die Minecraft-Entwickler von Mojang kündigten ein virtuelles Kartensammelspiel im Stil von Magic: The Gathering an, und die weltweite Spielerschaft zuckte mit den Achseln. Im Zuge der juristischen Auseinandersetzung mit Bethesda über die Namensrechte gelangte Scrolls doch noch kurzzeitig ins Rampenlicht, bevor es lange in der Versenkung verschwand. Dann kam der 3. Juni. Für 15€ konnte sich jeder in die Beta-Phase des Spiels einkaufen, und mein Abstieg in die Sammelwut begann.
Scrolls ist ein taktisches Kartenspiel mit starkem Fokus auf das Ausspielen und Verschieben von Kreaturen auf einem aus fünf Reihen bestehenden Spielbrett. Am Ende jeder Reihe sind magische Steinfiguren platziert, die es zu zerstören gilt. Mindestens drei dieser Idole müssen fallen, um das Spiel zu gewinnen. Die herbeigezauberte Kreaturen sind mit individuellen Fähigkeiten und einem rundenbasierten Countdown versehen. Angreifen können sie nur, wenn der Timer abgelaufen ist. Aus diesem Regelwerk ergeben sich drei Ziele für jeden Spieler: zerstöre die gegnerischen Idole, beschütz deine eigenen Idole und versuch Kontrolle über die einzelnen Reihen und damit das Spiel zu erlangen.
Es gibt momentan drei Fraktionen in Scrolls. Zum Start des Spiels muss sich jeder für eine dieser drei entscheiden und erhält ein 50 Schriftrollen starkes Anfangs-Deck. Zur Wahl stehen Energy (viele Maschinen, am Anfang schwach, dann aber sehr tödlich), Order (die koordinierten Menschen in Rüstung und mit Schwert) und Growth (Naturburschen und kleine Waldmonster, die einen schnell überrennen). Diese Wahl sollte man sich gut überlegen, denn alle weiteren Karten, egal von welcher Fraktion müssen anschließend mit erspieltem Gold freigeschaltet und mühsam eingesammelt werden. Scrolls ist schließlich nicht nur ein taktisches Brettspiel, sondern auch ein abhängig machendes Sammelkartenspiel.
Mit den Starter-Sets kommt man im Multiplayer zunächst nicht sehr weit, weswegen jeder neue Spieler schnellstmöglich an Gold und damit weitere Schriftrollen kommen will. So auch ich. Die beste Anlaufstelle dafür sind Kämpfe gegen den Computer und dabei besonders der Trial-Modus. Hierbei werden die Spielregeln leicht angepasst, um neue Herausforderung (ein Oger mit doppelten Lebenspunkten steht von Anfang an auf dem Spielfeld) entstehen zu lassen. Bei Erfolg rieselt es zusätzliche Goldmünzen. Meine Wahl fiel zu Beginn auf die grüne Growth-Fraktion und nach den ersten etwas irritierenden Runden hatte ich mich mit den schnellen aber schwachen Kreaturen angefreundet. Das Zusammenspiel von verschiedenen Wölfen und unterstützenden Zaubersprüchen ließ die Kassen klingeln. Es hatte Klick gemacht und ich war drin. Drin in einem Sog aus Goldmünzen, neuen Schriftrollen und der Suche nach dem perfekten Deck.
Ausgestattet mit den ersten neuen Karten öffnete ich den Deck Builder und begann, auf meinem virtuellen Arbeitstisch die Zauberrollen zu sortieren. Wie viele Kreaturen wollte ich haben? Waren Verzauberungen überhaupt sinnvoll? Sollte ich vielleicht nur mit aggressiven Monstern spielen und Schutzwälle rausnehmen? Vielleicht wäre aber auch eine Mischung von Karten der verschiedenen Fraktionen eine gute Idee. Der Säbelmann sieht doch ganz gut aus und zusammen mit den Wölfen ergibt das eine tödliche Kombination. Wer sich in diese Gedankengänge hineinsteigert, kann beim Zusammenstellen der Kartensets genauso viel Zeit investieren wie in einige Partien des Spiels selbst.
Wer den letzten Schritt zum übertriebenen Enthusiasmus gehen will, der sucht sich im Internet den aktuellen Goldkurs für die verschiedenen Schriftrollen heraus und begibt sich in die Handels-Chaträume im Spiel. Hier schreit jeder heraus, was er anzubieten hat und was er gerade sucht. In einem leider noch sehr umständlichen Prozedere müssen sich Käufer und Verkäufer einzeln finden und die Transaktionen durchführen. Da sich Scrolls noch in der Beta-Phase befindet, hoffe ich inständig, dass sich dieser viel zu komplizierte Prozess in Zukunft etwas einfacher gestaltet.
Aber zurück zum eigentlichen Spiel. Ausgestattet mit einigen neuen und konkurrenzfähigen Karten stürzte ich mich in den Multiplayer-Modus mit dem Ziel, die globale Rangliste nach oben zu klettern. Die ersten Gegner wurden locker überrannt, aber schon bald spielt mir das System ebenbürtige Gegenspieler zu und mein Verhältnis von Sieg und Niederlage pendelt sich bei 50/50 ein. Etwa beim Ranglisten-Platz 3.000 rannte ich gegen eine Wand. Zu diesem Zeitpunkt zeigte das interne Statistiksystem noch etwa 20.000 tägliche Spieler. Dementsprechend war ich mit meiner Platzierung zufrieden. Ebenfalls zufrieden dürften die Entwickler von Mojang sein, denn nur eine Woche nach dem Beta-Start hatten sie die bisherigen Kosten für Scrolls wieder eingespielt.
Wow. The revenue for one week of Scrolls in open beta now covers the entire development cost. The game is profitable!
— Carl Manneh (@carlmanneh) June 10, 2013
Die schnell gewachsene Community bezichtigt jeden Tag eine andere Fraktion als zu stark, was ultimativ dafür spricht, dass sich bisher eine angenehme Ausgewogenheit bei den 141 verfügbaren Schriftrollen eingependelt hat. Auch ich verfluche mal die verdammten Energy-Spieler und ihre zähen Maschinen, nur um im nächsten Spiel einen glorreichen Sieg einzufahren, oder lache die klar sortieren Order-Taktiken aus und verliere keine zehn Minuten später ohne jede Chance. Dank des Zufalls beim Ziehen der Karten erhält jedes Spiel auch noch eine zusätzliche Unkalkulierbarkeit, die selbst das beste Deck in die Knie zwingen kann.
Für jede gute Idee erhalte ich wenige Runden später einen Konter und darf meine Wunden lecken. Stellt man sich auf eine längeren Kampf ein und hat starke aber teure Karten im Deck, wird man zu früh von kleinen Kreaturen überrannt. Andersherum geht einem am Ende die Puste aus. Zu gleichförmig sollte die Zusammenstellung also nicht sein, aber von allem ein bisschen hilft oft auch nicht, weil man die passende Karte so nie zieht. Es dürfen nämlich nur je drei gleiche Karten in einem Deck sein. Bei einer Mindestgröße von 50 Karten muss also die Mischung stimmen. Das perfekte Deck ist nicht zu durcheinander, aber trotzdem flexibel. Bisher habe ich es noch nicht gefunden.
Damit das auch so bleibt und nicht eine Taktik das gesamte Spiel dominiert, sind seit dem Beginn der Beta schon sechs neue Schriftrollen erschienen, die Schwächen bestimmter Fraktionen ausgebügelt haben. Auch das Interface erhielt kleinere Überarbeitungen, was mich für die zukünftige Entwicklung von Scrolls recht zuversichtlich stimmt. Zumindest wenn die aktive Spielerbasis stabil bleibt. Bisher zeigt die Kurve allerdings stetig nach unten. Von den 20.000 täglichen Spielern sind nach einem Monat nur noch 12.000 übrig.
Schließlich müssen wir noch über das Geld reden. Scrolls bietet In-App-Käufe von Kostümen für den eigenen Avatar sowie die beiden nicht gewählten Starter-Sets der anderen Fraktionen an. Außerdem lassen sich jede Woche sechs individuell und zufällig einsehbare Schriftrollen direkt kaufen. Daran kann man sich stören, einen wirklichen Vorteil haben diejenigen, die Echtgeld in das System einwerfen, allerdings nicht. Denn mehr als diese sechs Karten pro Woche lassen sich damit nicht erwerben. Will man schnell viele neue Schriftrollen, geht der Weg nur über Goldmünzen und die gibt es allein für das erfolgreiche Spielen.
Nach guten drei Wochen war allerdings auch mir die eine Fraktion zu eintönig und ich wollte meine bisher erspielten Karten besser einsetzen können. Also kaufte ich für 8€ die anderen beiden Starter-Sets und einige offene Karten im Shop. Damit ergab sich eine ganz neue Dimension beim Deckbau. Ich erschuf mal mehr mal weniger erfolgreiche Mischungen und kletterte in der Rangliste wieder etwas weiter nach oben. Doch mit dem Höhenflug kam auch der tiefe Fall. Gemischte Decks sind bisher nur mit bestimmten wenigen Karten einer anderen Fraktion konkurrenzfähig, da man nicht schnell genug an ausreichende Ressourcen für mehrere Farben kommt. Der Experimentierfreude und Überraschung, wenn ein anderer Spieler mitten im Spiel eine neue interessante Kombination präsentiert, tut diese Einschränkung allerdings keinen Abbruch.
Der Erfolg von Scrolls in der nahen Zukunft wird allerdings über neue Schriftrollen und bessere Community-Funktionen entschieden werden. Schon jetzt scheint sich ein harter Kern von Spielern gefunden zu haben, der gierig nach neuen Möglichkeiten der Zusammenstellung von effektiven Karten-Sets sucht. Deren Durst muss gestillt werden, ansonsten sinkt die Spielerzahl noch weiter ab. Zusätzlich darf Mojang aber auch die Neulinge nicht vergessen. Einfachere und klar strukturierte Menüs mit eigenen Freundeslisten, einem Auktionshaus für Schriftrollen, bessere Tutorials und ein ausgebauter Einzelspielermodus müssen unbedingt noch nachgereicht werden. Ansonsten bleiben nur manische Spieler wie ich übrig, die nach der einen noch fehlenden Zauberrolle suchen. Doch was passiert, wenn wir sie gefunden haben?
3 Kommentare zu “Alphalevel: Scrolls”
Kommentare sind geschlossen.
Ich hatte meine Kritik ja schon in Indiefresse geäußert und daran hat sich in der Zwischenzeit wenig geändert. Ich mag das Spielprinzip, auch wenn die Spielmechanik vielleicht nicht ganz so geschmeidig ist wie bei den Vorbildern.
Die ganze Struktur mit dem Kartenkauf über erworbenes Gold ist aber das, was mich am Spiel ganz schrecklich ärgert. Wenn es nur darum geht Fortschritt sichtbar zu machen, wieso dann nicht Levelups und Freispielen neuer Decks (wie etwa in der Duels of the Planeswalker-Reihe)? Stattdessen ein Shop- und Handelsystem einzubauen, das genau den Teil von Trading Card Games simuliert der ursprünglich dafür gedacht war, Kinder abzuzocken… das halte ich für mehr als fragwürdig. Das alles könnte man fairer gestalten, die SpielerInner ermächtigen, statt sie künstlich zu beschränken. Verkauft halt halbjährlich einen Erweiterungssatz als DLC um die Serverkosten zu decken.
Der Art-Style ist im übrigen auch nicht so meines. Da gibt es hübschere Illustrationen im Genre. Grade die UI-Gestaltung hat zuweilen etwas von Programmer-Art, langweilige Listen die an Windows-Explorerfenster erinnern.
Klar, Beta und so. Aber so langsam bin ich es auch leid “Beta” immer als Entschuldigung für schlechte Entscheidungen zu sehen. Für 15€ kann man sich im Steam-Sale auch ein paar Duels of the Planeswalker-Teile schießen. Nicht Indie und auch voller In-App-Purchases, aber das rundere Paket.
Als neuste Merkwürdigkeit wurde übrigens gerade ein Crafting-System vorgestellt, welches aus drei gleichen Karten eine hübschere Karte mit genau den selben Fähigkeiten macht. Hat spielerisch also keinen Sinn, dezimiert aber den angehäuften Kartenstapel.
Ich mag den Art-Style ja ganz gerne, aber besonders wichtig ist mit die Verwandlung der öden Karten in echte Figuren auf dem Spielbrett. Es sieht immer so langweilig aus, wenn bei Magic und Co viele virtuelle Karten auf einem virtuellen Tisch virtuell hin und hergeschoben werden.
Ich finde das Spiel ziemlich gut nur leider ist der Einstieg doch etwas zäher als ich dachte. Aber wenn man dann mal den Dreh raus kann man da schon einige Stunden im Fluge vorbeiziehen sehen.
Generell wird ja immer von einem simplen Kartenspiel à la Magic gesprochen. Doch das Spielfeld allein bringt schon eine ganz neue Ebene in das Spielprinzip, die auch für mehr Taktik und Spannung sorgt.
Was mir bei dem Spiel besonders positiv aufgefallen ist, ist die Community. Nach einigen geglückten Ründchen gegen die CPU habe ich nämlich direkt online gespielt (auf keinen Fall zu empfehlen) und ordentlich eine reingezimmert bekommen. Der Gegenspieler hat mir dann allerdings verbal keine reingewürgt sondern noch ein paar Tipps gegeben, wie ich hätte besser reagieren können. Und auch bei der nächsten Niederlage bekam ich von einem anderen Spiel noch ein paar Dinge erklärt, auf die ich besser achten sollte. Und generell hatte ich bisher nur positive Erfahrungen mit anderen Spielern. Das ist etwas, was ich noch nie in einem Spiel erlebt habe. Traurigerweise. Das ist auch sehr erholsam, wenn man ein paar Runden Dota 2 hinter sich hat.
Naja ein wirklich negativer Punkt ist in meinen Augen aber auch die Art und Weise wie man an neue Karten gelangt. Das haben andere Spiele dieser Art wesentlich besser gelöst.