Emotionaler Missbrauch ist bedeutend schwerer zu identifizieren und zu erfassen als körperlicher, denn er findet auf einer zwischenmenschlichen Gefühlsebene statt. Gespräche zwischen zwei Menschen, die nach außen hin völlig normal wirken, können auf einer persönlichen Ebene verletzend sein. Emotionalen Missbrauch gibt es in Form von Mobbing am Arbeitsplatz, es gibt ihn im Freundeskreis, zwischen Eltern und ihren Kindern und es gibt ihn in Beziehungen. Letztgenannte Form ist das Thema des explorativen Spiels Curtain der Entwicklerin Llaura „Dreamfeel“ Slick. Für alle, die schon einmal Ähnliches erlebt haben, sei an dieser Stelle eine Triggerwarnung ausgesprochen.
Die Rahmenhandlung von Curtain ist schnell erzählt: Ally, eine junge Musikerin, verliebt sich in Kaci, ebenfalls eine Musikerin und psychisch instabil. Die beiden gründen eine Band und ziehen in eine gemeinsame Wohnung – der Beginn eines Leidenswegs. Was genau sich zwischen Ally und Kaci abspielt, erfahre ich als Spieler durch das Anklicken bestimmter Gegenstände in besagter Wohnung. In der Ecke stehen ein paar Umzugskartons, ich gehe darauf zu. Kaci kommentiert, dass da wohl Allys Bilder drin sein müssten, die sie früher gemalt habe. Ein Glück, dass sie diesen Quatsch nun sein lasse. Anderswo finden sich Hinweise auf Allys Freunde und Familie. Ein Glück, dass Ally mit denen nichts mehr zu tun hat, findet Kaci. Gemocht hat sie die ohnehin nie. Aber anziehend findet Kaci Ally. „Du bist so heiß, lass mich dich küssen, du weißt selbst, dass du es magst“, sagt sie noch, bevor die beiden durch die Wohnungstür gehen.
Curtain wird aus einer Ego-Perspektive gespielt, die kaum als solche erkennbar ist. Ein paar Mal überkam mich beim Anblick der undifferenzierten Umgebung eine leichte Übelkeit, vermutlich weil ich nicht mehr unterscheiden konnte, was Vorder- und was Hintergrund ist. Die Entwicklerin drückt auf diese Weise aus, worum es in Curtain geht: Kaci ist laut, schrill und zudringlich. Nicht weil sie schreit oder oft unangenehm nahe kommt, sondern weil sie jeden Aspekt in Allys Leben durchbohrt. Wenn Ally sich ihrem Computer nähert, verlangt sie ihre Passwörter, sie will alles wissen, es darf keine Geheimnisse mehr geben.
Curtain macht keinen Spaß und soll auch keinen Spaß machen. Es fühlt sich furchtbar an, mit Ally durch die Wohnung zu laufen. Ich habe das Gefühl, dass sie sich längst in eine Opferrolle ergeben hat, aufgehört hat sich zu wehren, vollkommen passiv geworden ist. Nur sehr selten teilt sie einen Gedanken mit mir als Spieler. Nach etwa 20 bis 30 Minuten ist Curtain vorbei. Das Spiel beendet sich selbst.