Wenn der Waldspaziergang zum Selbstfindungstrip wird:
Simogo schickt nun auch Steam-Nutzerinnen auf die Reise in eine ungewisse Zukunft.
Ich liebe Schnee. Schon als Kind konnte ich es kaum erwarten, die ersten, weichen Flocken am Himmel auszumachen und zu beobachten, wie sich sich allmählich auf dem Boden zu einem dichten Teppich verwoben, der sich sanft über die Landschaft legte und allen Schmutz, allen Lärm verdeckte. Dem nur ein leises Knarzen zu entlocken war, während ich Schritt um Schritt meine nun magisch verwandelte Nachbarschaft erkundete und dabei die eisige Winterluft einatmete.
Dieses Knarzen ist es, das mir Year Walk seltsam vertraut erscheinen lässt. Es ist mein einziger, treuer Begleiter in jenem verschneiten Wald, in dem ich mich gleich zu Beginn des Spiels wiederfinde. Als Protagonist mit unkonkreter Biografie, aber offenkundig gebrochenem Herzen, beschließe ich, den Jahreswechsel mit einer alten schwedischen Tradition zu begehen, um den alten Überlieferungen zufolge einen Blick in die Zukunft erhaschen zu können. Der namensgebende “Year Walk”, so will es die Legende, erfordert den Rückzug in eine einsame Hütte, von der aus der Wanderer seinen Weg durch den nächtlichen Wald zur Kirche seines Heimatdorfes bestreiten muss – ein Unterfangen, das nur an wenigen Tagen im Jahr möglich ist und einen vierundzwanzigstündigen Verzicht auf Licht und Nahrung voraussetzt. So laufe ich zunächst ziellos umher, während Entzug und Isolation ihren Tribut fordern: Peu à peu verändert sich die Landschaft um Details, wird das Geräusch meiner Schritte begleitet von einer irrealen Klangkulisse aus sanft erklingender Musik und akustischen Signalen, die ich nicht zu deuten weiß. Bald darauf erscheinen mir mystische Gestalten, deren Absichten sie mir nicht eröffnen und denen ich dennoch bereitwillig folge, in der Hoffnung, das sie mir den richtigen Weg weisen, anstatt mich in die Irre zu führen.
Der ursprünglich für mobile Endgeräte entwickelte Titel des schwedischen Studios Simogo, schickt nun auch Steam-Nutzer_innen auf die Reise in eine ungewisse Zukunft. Seine zweidimensionalen und doch kunstvoll räumliche Tiefe simulierenden Szenen, erinnern an die Seiten eines Pop-Up-Buchs, die entlang zweier Achsen von links nach rechts und von oben nach unten durchquert werden können. Was sich auf einem Gerät mit berührungssensitivem Bildschirm noch intuitiv anfühlen mag, wird am PC jedoch schnell ermüdend, zumal die wenigen Pfade des eng umrissenen Terrains immer und immer wieder beschritten werden müssen. Die Orientierung ist dabei dank sorgfältig am Wegesrand verteilter Details nie ein Problem, nur ertappe ich mich gerade deshalb immer wieder dabei, routiniert durch die einzelnen Waldabschnitte zu jagen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Fokus auf die Rätsel, deren Lösung den Spielfortschritt immer mit großen Sprüngen vorantreibt und die größtenteils auf der Wahrnehmung versteckter, symbolhafter Hinweise sowie deren Anwendung in anderen Kontexten basieren. Ebenso, wie in der Originalversion des Spiels der Fall, nehmen diese Rätselpassagen hier und da Bezug auf plattformtypische Bedienelemente, zu denen nun auch ein neues Interface gehört. Ein Großteil der Inhalte allerdings ist gleich geblieben und büßt viel von seiner ursprünglichen Interaktivität ein, werden die Fingerbewegungen doch lediglich durch den Mauszeiger simuliert. Durch die sinnvolle Einbindung in die Erzählung und die Ästhetik des winterlichen Waldes, erscheint dennoch alles stimmig, ergibt es Sinn, dass ich mich, nur einer glasklaren Frauenstimme folgend, durch ein Baumlabyrinth bewege. Auch wenn ich immer wieder kläglich an dieser Herausforderung scheitere.
An dieser Detailverliebtheit mangelt es dann ausgerechnet der Erzählungstruktur. Kaum stellt sich ein Erfolg ein, tritt die nächste Sagengestalt und mit ihr eine Aufgabe in den Mittelpunkt des Geschehens, darunter ein geisterhaftes Pferd, das mir aufträgt, vier Kinderleichen zu suchen. Das ist umso bedauerlicher, weil das Spiel in sich so stimmig ist, ich die dichte Atmosphäre, das Zusammenspiel der kunstvollen Bilder und dezenten Klänge gerne intensiver genossen hätte. Weil die dem Spiel zugrunde liegende Sage viel Potenzial mit sich bringt, das durch die in Form einer Enzyklopädie eingebundenen Texte ansatzweise ausgeschöpft wird, sich späterhin jedoch in einem extrem konstruiert erscheinenden, alternativen Erzählstrang verliert.
Hätte sich Year Walk damit begnügt, ein meisterhaft illustriertes, digitales Bilderbuch zu sein, wäre der Mangel an erzählerischer Tiefe gar nicht negativ hervorgetreten. Erst durch den ambitionierten Versuch, die simple Geschichte weiterzustricken, erscheint das Spiel unausgereift. Aufgrund der künstlich aufoktroyierten Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart durch die Tagebuchaufzeichnungen eines Forschers wird die Geschichte konfuser, aber nicht stimmiger. Das ist schade, liegt die Stärke des Titels doch in seiner Einfachheit begründet, die auf sorgfältig akzentuierte Kontraste trifft. Wie ein Winterspaziergang durch die nächtliche Stille, in in der nur das Knarzen des Schnees unter den Sohlen zu vernehmen ist.
Ein Kommentar zu “Year Walk: Schnee von gestern”
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Ach, mit dem Teil bin ich irgendwie nie richtig warm geworden. Habs mir bei Veröffentlichung besorgt, kurz angespielt und fand es auch ganz gut, aber irgendwie… ists dann letztlich doch auf dem Telefon verstaubt.
Ich kann gar nicht recht sagen wieso- die Optik und vor allem der Sound sind toll. Aber ich glaube im Grunde, dass es diese “Tiefgründigkeit” war, die so aus allen Details tropft und auf die es ja von Anfang an irgendwie getrimmt scheint, die mich letztendlich vom Weiterspielen abgehalten hat….