Trolle füttern – Was der Tod von Rachel Bryk lehren kann

Am 23. April 2015 sprang Rachel Bryk in New York von einer Brücke in den Tod. Bryk machte sich einen Namen durch ihre umfassende Mitarbeit am Dolphin Emulator, zog sich zuletzt jedoch zunehmend aufgrund anhaltender transphobischer Belästigungen ihr gegenüber aus verschiedenen Community-Foren zurück. Womöglich war es nun dennoch ein anonymer Online-Kommentar zu viel, der ihr wenig subtil den finalen Sprung ans Herz legte. Der letzte Tropfen eines Giftcocktails, den jeden Tag tausende Menschen wie sie herunterschlucken müssen, nur weil sie sich im Internet nicht verstecken wollen. Menschen, denen ein gesichtsloser Hass entgegenschlägt, dessen Ursprung sie in ihrer bloßen Existenz vermuten, da er ansatzlos auftritt. Ungeachtet dessen schreibt wieder irgendwo einer, dass man die Trolle doch einfach nur nicht zu füttern brauche.

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“It is impossible to avoid causing pain. It’s true this will cause quite a bit of it, but it’s not like I don’t already cause my friends a lot of pain by making them watch me suffer.” (Rachel Bryk)

Doch was man immer noch unter dem Begriff des Trollens zu verdecken versucht, hat mit dem störenden und aufmerksamkeitsheischenden Verhalten der ursprünglichen Definition nur noch wenig zu tun. Ging es anfangs hauptsächlich darum, konstruktive Gespräche zu unterbrechen und Reaktionen zu provozieren, gehören mittlerweile im unmittelbaren Gaming-Umfeld neben den gängigen Beleidigungsorkanen auch Vergewaltigungs- und Todesdrohungen zum Alltag. Hinzu gesellen sich handfeste Bedrohungsszenarien, die durch die Veröffentlichung von gestohlenen, persönlichen Daten begünstigt werden. Oder man verständigt direkt selbst unter falschen Anschuldigungen ein Sondereinsatzkommando der Polizei, das mit Maschinengewehren bewaffnet das Haus nichts ahnender Streamerinnen und Streamer stürmt. Die Zeiten, in denen man Trolle nicht füttern sollte, sie waren bereits vorbei, bevor Rachel Bryk sich das Leben nahm.

Wenn Menschen in ständiger Angst leben müssen, sich gezwungen sehen Accounts zu schließen und Telefonnummern und Adressen zu wechseln, wird es Zeit, den Trollen das Maul zu stopfen. Wenn Personen so sehr getrieben werden, dass ihnen der Willen abhandenkommt, in einer Welt weiterzuexistieren, in der sie sich auch ohne diesen ganzen Mist schon nicht willkommen fühlen, dann muss man reagieren, bis die Trolle die Schnauze auch tatsächlich voll haben. Der Ansatz des Ignorierens ist gescheitert. Die Ratschläge, sich ein dickeres Fell zuzulegen und zu akzeptieren, dass solch ein Verhalten unausweichlich ist und dass man es sich nicht zu Herzen nehmen solle, sie sind fehlgeleitet und falsch. Nicht die Opfer von Online-Tyrannei müssen sich anpassen, der Tyrannei muss Einhalt geboten werden.

Denn irgendwo auf dieser Welt sitzt nun jemand an seinem Rechner und liest, dass Rachel Bryk verstorben ist. Von einer Brücke gesprungen, wie er es ihr eindringlich und ganz anonym nahelegte. Dieser Jemand wird kaum davon ausgegangen sein, dass er möglicherweise einen Beitrag zu dem Ableben eines Menschen liefern würde, den er nicht einmal gekannt hat. Und wer weiß, vielleicht ist das auch nur ein dummer Zufall und es hatte gar nichts mit seinen Äußerungen zu tun, sondern allein mit den chronischen Schmerzen, an denen Bryk seit Jahren gelitten haben soll und die ihr nun einfach zu viel wurden. Er weiß es nicht, aber es ist diese Frage, die ihn den Rest seines Lebens verfolgen wird. Die Verharmlosung von belästigendem und beleidigendem Verhalten, bloß weil es namenlos und nicht von Angesicht zu Angesicht passiert, führt zu einer Konsequenzenblindheit, die nicht nur das Leben der Opfer, sondern auch das der Täter nachhaltig ruinieren kann.

Letztere zu verteufeln wäre demnach zu einfach und würde nur noch mehr Kummer und Leid verursachen. Wichtig ist es nun, nicht stumm zu bleiben. Nicht zu leugnen, bis es nichts mehr zu leugnen gibt. Oft sind es unbedachte Aussagen, projizierter Hass, der mit dem gewählten Ziel eigentlich nichts zu tun hat. Aussagen, deren Wirkung oft unentdeckt bleibt, da eine direkte, ehrliche Reaktion nicht einsehbar ist. Über diese extremen Auswüchse zu berichten, die teils dramatischen Folgen für alle Beteiligten intensiv zu beleuchten, ist wichtig, aber fehlt bis heute in vielen Fällen. Genauso die Prävention, die Aufklärung der nachwachsenden Generation über die Macht und die Ohnmacht, die ihnen im Internet auf den Schultern lastet.

Wahrscheinlich hat sich jeder schon einmal gewünscht, die Enter-Taste nicht so voreilig gedrückt zu haben, auch wenn dies keine solch verheerenden Konsequenzen nach sich zog, wie mutmaßlich im Falle Rachel Bryks. Sich scheiße zu verhalten, jemandem weh zu tun, kann niemand dauerhaft vermeiden. Ohne Menschen, die auf ein solches Fehlverhalten aufmerksam machen, fehlt ein dringendes Element des Hinterfragens. Auf Trolle zu reagieren sollte deshalb kein Tabu sein, weil es hilft, sie zu entlarven und ihr Benehmen als untragbar kenntlich zu machen. Nicht nur für die Leidtragenden, sondern in erster Linie auch für die Trolle selbst. Denen diesen verharmlosenden Begriff abzusprechen wäre ein guter Anfang.


Falls jemand eigene Gedanken hegt, sich das Leben zu nehmen, rate ich dringend dazu, diese mit anderen Menschen zu teilen. Für anonyme und professionelle Hilfe in einer solch ausweglos scheinenden Situation gibt es hier eine Liste mit Angeboten, an die man sich wenden kann. Sei es persönlich, telefonisch, per Chat oder per Email.