5 aus 16: Sonja

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Hallo, Jahresende jetzt! Abermals ist dies eine willkommene Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Viele machen das. Ganz oft sagen dann die vielen, dass 2016 ganz furchtbar war. Aber eigentlich nur, wenn man weiß, was in der Welt so vor sich gegangen ist. Wer sich stattdessen in einem Atomschutzbunker mit den Spielen verschanzt hatte, die in den kommenden Tagen auch die Toplisten der Superlevel-Autorinnen und -Autoren ausfüllen werden, wird 2016 sicher in besserer Erinnerung behalten. Denn rein videospielmäßig betrachtet war das Jahr doch ganz okay.

Freut euch also über tolle Titel und die dazugehörigen Liebesbekundungen und vergesst bitte auch nicht, eure persönlichen „5 aus 16“ in unserem schönen Forum zu hinterlassen. Sonst hätten wir das Thema ganz umsonst aufgemacht.


Layers of Fear

Layers of Fear
In letzter Zeit habe ich eine Vorliebe für (Indie-)Horrorspiele entwickelt, die mich selbst verwundert, schließlich bin ich schreckhaft wie ein Chihuahua an Silvester. Aber ich finde einfach immer mehr Gefallen an intensiven, atmosphärischen Spielerfahrungen, und davon hält das Genre naturgemäß sehr viele bereit. Am meisten hat mich in diesem Jahr Layers of Fear beeindruckt. Das First-Person-Adventure bedient sich thematisch bei Oscar Wildes Wahnsinnsroman The Picture of Dorian Gray und vermengt Kunstgeschichte mit Familiendrama, Abhängigkeit und psychischer Krankheit – klassischen Horrorthemen also, die man so ähnlich schon anderswo gesehen hat. Um nicht zu sagen: überall.

Was Layers of Fear besonders macht, ist nicht seine Geschichte, sondern sein Design: Dieser psychedelische Horrortrip legt eine visuelle Kraft an den Tag, die mich streckenweise umgehauen hat. Es ist ein klassischer Irrtum, Horror mit Hässlichkeit gleichzusetzen. Guter Horror ist immer auch eine ästhetische Leistung, denn erst der Kontrast von Schönheit und Grauen erzeugt das Ambiente, das wir zum Gruseln brauchen. Das haben in den vergangenen Jahren bereits Titel wie Amnesia: A Machine for Pigs, SOMA oder White Night ganz gut hinbekommen. In Layers of Fear treffen Kunst und Schönheit jedoch so gekonnt auf Angst und Schrecken, dass es schier nicht auszuhalten ist.


Stardew Valley

Stardew Valley
Stardew Valley hat sich 2016 in mein Herz geschlichen. Kein Wunder: Dem Bauernhof-RPG von Multitalent Eric Barone gelingt es hervorragend, aus einer Masse von Zitaten und Referenzen etwas eigenständiges und zugleich vertrautes zu machen, das sich spielerisch sogar über spirituelle Vorgänger wie Harvest Moon und Animal Crossing erhebt. Besonders lieb habe ich das Spiel für seinen wundervollen Soundtrack, der Spielgeschichte atmet, ohne zum billigen Retro-Abklatsch zu verkommen.

Stardew Valley ist allerdings auch purer Eskapismus mit einem schwierigen Szenario: Es geht schließlich um den Rückzug in ein ländliches Idyll, in eine geschlossene, protektionistische Gesellschaft, die ihre lokale Ökonomie (Kaufmannsladen!) gegen einen Großkonzern (Supermarkt!) verteidigt. Kriminalität gibt es keine, geheiratet wird untereinander, die Diversität ist auf ein Mininum reduziert. Stardew Valley ist schon ein bisschen konservativ.

Es ist aber auch ungemein friedlich, positiv und zutiefst humanistisch. Die Welt ist das leider oft nicht, und in letzter Zeit scheint sie ihre hässlichen Seiten mal wieder besonders klar zu präsentieren. Das ist manchmal so schwer zu ertragen, dass man abwechselnd weinen und kotzen möchte, aber natürlich bringt das nichts und macht im Zweifel nur hilfloser. Wenn ein bisschen Eskapismus dann dazu beiträgt, die Psyche wieder etwas ins Gleichgewicht zu bringen, indem wir uns vorübergehend der Realität entziehen, kann das nicht ganz falsch sein – und Stardew Valley erfüllt diese Aufgabe mit Bravour. Seinen begrenzten Horizont kann man kritisieren. Lieben, anerkennen und genießen darf man es trotzdem, und das habe ich in den vergangenen Monaten im Übermaß getan.


Firewatch

Firewatch

Es war für mich eine der besten Spiele-Nachrichten des Jahres: Firewatch bekam im Herbst einen freien Erkundungsmodus spendiert. Erlöst von den Aufgaben des Firewatchers lässt sich der Nationalpark nun in aller Ruhe bis in den letzten Winkel durchstreifen, und erst damit ist das Spiel für mich wirklich komplett. Denn wenn es überhaupt etwas gab, was mich an Firewatch gestört hat, dann war es die starke Konkurrenz zwischen Handlung und Welt: Die betörend schöne Landschaft einerseits und die spannende Geschichte andererseits rangen beständig um meine Aufmerksamkeit.

Das ist eine große Leistung, denn selbst exzellente Genrevertreter wie Everybody’s Gone to the Rapture oder Gone Home überzeugen auf einem Gebiet mehr als auf dem anderen. Firewatch ist das Wunderkind, das auf der gesamten Spieldesign-Klaviatur brilliert: erzählerisch, atmosphärisch, emotional. Mein Lieblingsspiel in diesem Jahr und ein Sehnsuchtsort, an den ich immer wieder zurückkehre.


SteamWorld Heist

SteamWorld Heist
Um ein Haar wäre XCOM 2 auch auf meiner Jahresbestenliste gelandet. Um das gleiche Haar hätte ich allerdings auch diesen einen Einsatz endlich geschafft, bevor der elende Rundentimer ablief – zum zwanzigsten Mal. Will sagen: Manchmal sind es nur Mikrometer, die ein Lieblingsspiel von der hasserfüllten Deinstallation trennen. Den Vorgänger habe ich zweieinhalbmal durchgespielt. Beim zweiten Teil konnte oder wollte ich die nötige Geduld nicht mehr aufbringen – auch, weil ich die vorgegebene Rundenzahl in vielen Einsätzen nicht als Herausforderung, sondern nur als Stress empfand. Meine Geschichte mit XCOM 2 ist deshalb nicht unbedingt auserzählt, aber derzeit liegt sie auf Eis.

Zu meinem großen Glück schenkte mir ein Freund zum Geburtstag ein Spiel, das irgendwie alles wieder gut machte: Es hatte Raumschiffe. Es hatte rundenbasierte Kämpfe. Es hatte vielseitige Missionen. Was es nicht hatte: das Potenzial, mich unendlich zu frustrieren. SteamWorld Heist war das Trostpflaster für meine schmerzende XCOM 2-Wunde. Sein buntes Western-Steampunk-Szenario, die liebenswerten Robotercharaktere und die wunderbaren Songs von Steam Powered Giraffe, die es in den Weltraum-Saloons zu hören gibt, sind da nur noch kleine i-Tüpfelchen.


Event[0]

Event[0]
Apropos Raumschiffe: Den Preis für das schönste vergebe ich in diesem Jahr an den Weltraum-Psychothriller Event[0]: Das plüschige, orange-braune Seventies-Ambiente der Raumstation Nautilus ist wirklich ansehnlich und zugleich das perfekte Setting für ein Spiel, bei dem sich schnell ein mulmiges Gefühl einstellt. Verantwortlich dafür ist die Bord-KI Kaizen-85, mit der via Text-Chat kommuniziert werden muss, um das Geheimnis des menschenleeren Schiffs zu lüften.

Das Spielprinzip erinnert an Her Story, und wie dort mochte ich auch an Event[0] das Gefühl von Freiheit und die nichtlineare Entwicklung, die mit der Texteingabe einhergehen. Event[0] hat aber eine zusätzliche Dimension, denn Kaizen spuckt nicht einfach auf das richtige Stichwort hin Informationen aus, er will und kann sich souverän unterhalten. So entwickeln sich abwechslungsreiche und bisweilen skurrile Dialoge, bei denen der Ton die Musik macht, Kaizen ist nämlich eine empfindsame und sehr skeptische künstliche Seele.

Event[0] lässt sich locker an einem Abend durchspielen. Die Gespräche zwischen Mensch und Maschine und die Fragen, die sie aufwerfen, hallen aber lange nach. Und obwohl seine KI bei weitem nicht perfekt ist, so ist Kaizen doch der interessanteste Protagonist, mit dem ich in diesem Spielejahr das Vergnügen hatte zu kommunizieren, und Event[0] ein gelungenes, so spannendes wie düsteres Experiment.