Dark Souls II und das Leben nach dem Tod
“Für sich selbst ist jeder unsterblich; er mag wissen, dass er sterben muss, aber er kann nie wissen, dass er tot ist.” (Samuel Butler)
Es gibt sie immer noch. Menschen, für die ihre Zeit auf Erden nur eine Prüfung ist. Das Diesseits als Bewerbungsmappe für das vermeintliche Paradies. Es ist eine zutiefst spirituelle, wenn nicht gar religiöse Haltung, hinter der tatsächlichen Welt ein Tor in eine weiterführende zu sehen, weil es so unbegreiflich scheint, dass alles mit einem Schlag vorbei sein kann. Die Umarmung des Todes als etwas Versöhnliches ist dabei etwas nur zu Menschliches, weil es die Gedanken an ihn durch die Verschleierung seines vermutlich finalen Wesens erträglicher macht. Dass Dark Souls II, wie bereits auch schon seine beiden Vorgänger, so stark mit dieser gut gemeinten Prämisse des Todes bricht, ist ein Aspekt, der durch den steten Fokus auf den Schwierigkeitsgrad bisher eher im Hintergrund verweilte. Dabei steckt in diesem Spiel womöglich viel mehr Wahrheit über das Ende unserer irdischen Existenz als in jedweder Populärreligion.
Dass der Tod in der Souls-Reihe eine sehr präsente Rolle spielt, ist, denke ich, mittlerweile hinlänglich bekannt. Im Gegensatz zu anderen Videospielgroßproduktionen ist er hier nahezu unvermeidbar und das Spieldesign auf ihn hin ausgerichtet. Das virtuelle Ableben symbolisiert dabei nicht nur das Scheitern der spielenden Person an einer bestimmten Aufgabe, wie man es auch von vielen Genrevertretern kennt, sondern fügt ihm einen metaphysischen Unterton hinzu, der im Zusammenhang mit der Spielwelt eine ganz eigene Vision des Jenseits vermittelt. Ein Jenseits, das die Untröstlichkeit und Schwere des Todes anerkennt wie ein Gryphius-Sonett und die Prüfung, die doch so viele auf Erden vermuten, ins Leben danach versetzt. Nur dass man hier zunächst nicht wirklich weiß, wofür man sie eigentlich ablegen soll.
“Wir kennen das Leben nicht, wie sollen wir den Tod kennen?” (Konfuzius)
Wenn man in Dark Souls II erwacht, findet man sich in leichenhafter Gestalt in einer Zwischenwelt von Leben und Tod wieder. Hier erlebt man einen Schwebezustand, der sich noch früh genug als der einzig wahre herausstellen soll. Rasch erlangt man einen Teil seiner verlorenen Menschlichkeit zurück, ehe das Pendeln zwischen den Existenzebenen beginnt. Zwischen lebendig und untot, zwischen Fleisch und Blutleere. Doch bei genauerer Betrachtung kann es gar kein Leben in einer Welt mehr geben, in der alles andere verendet zu sein scheint. Das temporäre Zurückgewinnen der entronnenen Menschlichkeit geht nicht mit einer Veränderung der Spielwelt einher, es hat lediglich ein kurzes Aufflackern des Wesens zur Folge, das einem im längst vergessenen Diesseits wohl einmal inne wohnte. So gerät die klassische Suche nach dem Licht, von der auch die Smaragd-Botin in Majula immerzu spricht, zu einer Sisyphos-Aufgabe, die das eigene wiederholte Ableben zu einer banalen Begleiterscheinung degradiert. Wie in einem Hamsterrad des Sterbens begleitet mich leise ein sanftes Surren im Hinterkopf, das die Sinnlosigkeit jener Suche bis zum Ende des Spiels zwar andeutet, aber nie tatsächlich ausformuliert.
Allgemein nimmt die Präsentation der Spielwelt viel von der Bedeutung, die man dem Tod in unserer zivilisierten Welt so gerne zuspricht. Während er sich in unserem Alltag oftmals mittels fehlender persönlicher Konfrontation sehr erfolgreich verdrängen lässt, begegnet man ihm praktisch in jeder gespielten Minute von Dark Souls II. Das Spiel spiegelt dabei ganz bewusst das spätmittelalterliche Elend zu Zeiten der Pest wider, das mit Leichen gepflasterte Straßen und eine ständige Bedrohungslage und Ungewissheit mit sich brachte. Diese mortale Allgegenwart steht in einem krassen Gegensatz zu der sonst üblichen, verklärten Ritterromantik anderer Rollenspiele, die einem gern schon zu Beginn unter die Nase reiben, welch eine formidable Heldengestalt man doch sei. Gilt es hier oftmals ein großes Reich, wenn nicht gar die ganze Welt zu retten, scheitert man in Dark Souls II nicht selten daran, sich wenigstens selbst zu erlösen. Hinter der stolzgeschwellten Ritterbrust ist man doch nicht mehr als eine leere Hülle.
Dieses Gefühl der Leere bildet den Unterbau, der die Schwermut der Spielwelt zusätzlich unterstreicht. Es ist egal, wie weit ich mit meinem Charakter voranschreite, an mir nagt stets ein Gefühl der Ausgebranntheit und Einsamkeit. Die NPC, auf die ich während meiner Reise treffe, wirken seltsam teilnahmslos, ja fast losgelöst von ihrer Umgebung. Sie führen Selbstgespräche, auch wenn sie mich adressieren. Ihnen antworten kann ich nicht. Sie sind Hüllen wie ich, gefangen in einer Welt, die ihnen fast ausnahmslos feindlich gesinnt ist. Es ist unmöglich, klassische Beziehungen zu ihnen aufzubauen, da ihr Geist in einer eigenen Parallelwelt verharrt und sie dadurch das belastende Gefühl der Isolation nur noch verstärken. Wie in einem Gefängnis, das nur aus Einzelzellen besteht, haue ich gegen die Stäbe und höre das Klagen der anderen, ohne ihnen je mein eigenes Dilemma vermitteln zu können.
“Wir sterben viele Tode, solang wir leben, der letzte ist nicht der bitterste.” (Karl Heinrich Waggerl)
Dass ich über die Multiplayermechaniken des Spiels aus dieser nur schwer zu ertragenden Abgeschiedenheit ausbrechen kann, stellt sich rasch als naiver Trugschluss heraus. Andere Spieler_innen zeigen sich mir zunächst nur als flüchtige Abbilder einer parallel existierenden Spielwelt. Ich kann ihr Ableben rekonstruieren, ihre Nachrichten lesen, aber sie sehen mich nicht. Sie sind nur noch Geister, von denen manche nützliche Hinweise hinterlassen haben, manche aber auch fatale Lügen, so dass ich nie so recht weiß, ob ich hinter der nächsten Ecke in offene Arme oder in ein offenes Messer laufe. Ich kann mich in beiden Fällen weder direkt bedanken noch den Urheber für die Auslebung meiner möglichen Rachegelüste ausfindig machen. Es macht sich ein beständiges Zweifeln in mir breit und ich werde in meiner Abgeschiedenheit ungesund paranoid, wofür nicht zuletzt auch die aktiveren Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Menschen innerhalb des Spiels verantwortlich sind.
Schließlich kann es jederzeit passieren: Jemand dringt aus seinem eigenen Drangsal in meines ein und trachtet nach meinem untoten Leben. Wie ein Alptraum innerhalb eines Alptraums erscheint ein rotes Phantom und vernichtet den letzten Rest, den die zehrende Umwelt von mir übrig gelassen hat. Der Mensch hinter der roten Hülle tut dies oft nicht, um mir zu schaden, sondern weil ihn das Spiel dafür belohnt, mich zu bestrafen. Meist leitet er den folgenden Todeskampf deshalb mit einer respektvollen Verbeugung ein und so wird er ihn auch nach getaner Arbeit beschließen. Eine Handvoll Gesten sind auch die einzige Möglichkeit direkter Kommunikation und an ihnen zeichnet sich ab, wie sehr sich viele Spieler_innen nach einer Reaktion sehnen. Auch in kooperativen Situationen, in denen man sich gemeinsam mit Fremden dem Übel dieses lichtlosen Nirwanas entgegenstellt, hat sich ein gewisser, ungeschriebener Verhaltenskodex herauskristallisiert. Um den seltenen und meist nur kurz verweilenden Kontakt zu den mutmaßlich Lebendigen gebührend zu würdigen, finden oftmals Begrüßungsrituale statt, denen eine gewisse Erleichterung ob der vermeintlichen Unterstützung nicht abzusprechen ist. Genauso folgt nach erfolgreicher Erledigung des entsprechenden Spielabschnitts zumeist eine aufrichtige Dankesgeste, bevor einen die Dunkelheit wieder allein in ihre Arme schließt.
“Der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben.” (Rainer Maria Rilke)
Doch auch die menschlichen Begleiter sind letztendlich nur weitere seelenlose Hüllen in einer längst vergangenen Welt, die fast schon beängstigend nah an meinem Empfinden der Todesthematik ist. Dass die Souls-Spiele dennoch gern auf ihre Spielmechanik und ihren gehobenen Schwierigkeit reduziert werden, vernachlässigt im Grunde einen gewissen psychologischen Aspekt, den ich bei keinem Spiel zuvor so intensiv wahrnahm. Die Reihe wäre ein einfaches Auswendiglernen und Reagieren, wenn man sie tatsächlich auf ihre funktionellen Eigenschaften runterbrechen könnte, doch die eigentliche Schwierigkeit bestand für mich vielmehr darin, die Wirkung der Spielwelt auf meine Psyche zuzulassen und die dargestellte Sinnlosigkeit des Todes als solche zu akzeptieren. Er ist hier letztlich Teil eines nie enden wollenden Kreislaufs und seine ständigen Wiederholungen ein Spiegelbild der menschlichen Geschichte, die gespickt ist mit unnötigen und törichten Verlusten. Dass der Ausbruch aus dieser Abwärtsspirale am Ende zumindest im Spiel möglich scheint, mag tröstlich sein, eine Antwort auf die Frage nach dem Danach bleibt jedoch auch Dark Souls II schuldig. Bei der Suche nach dem eigenen Seelenfrieden ist also wieder einmal der Weg das Ziel.