Dishonored

Gebeutelt von jährlichen Neuauflagen beliebter Rasenballspiele, gegängelt von den immer gleichen Militärschießbuden und verwirrt durch den nicht totzukriegenden Landschaftssimulator erreichte mich am 7. Juli 2011 eine verheißungsvolle Nachricht: Die bisher eher mittelerfolgreichen Arkane Studios stellten ihr neues Spiel vor. Es sollte auf den Namen Dishonored hören und entstand unter der Mithilfe von Harvey Smith (Deus Ex) und Viktor Antonov (Half Life 2).

Der Stil der ersten Konzeptzeichnungen ließ einen orwellschen Unterdrückungsstaat erahnen, in dem man als entehrter Auftragsmörder unterwegs sein sollte. Mein Interesse war geweckt und stieg mit jedem veröffentlichten Bild und jedem Satz, den die Macher über die Welt verloren. Eine Stadt, die dem London des späten 19. Jahrhunderts nachempfunden war, eine Industrie, die mit Wal-Öl betrieben wurde, und dazu noch Okkultismus und Magie. Das klang wie Musik in meinen Ohren. Neben dem Schauplatz sollte auch das Spielerische stimmen und warb mit freien Entscheidungen und vielen Handlungsmöglichkeiten für mein ganz individuelles Abenteuer.

Bei solchen Ankündigungen war für mich eine Enttäuschung vorprogrammiert. Ich ging auf Tauchstation, wollte nichts mehr über das Spiel hören oder sehen, bis es wirklich in meinen skeptischen Händen läge. Heute, etwas mehr als ein Jahr nach seiner Ankündigung, steckt der Datenträger von Dishonored schon gute zehn Stunden in meiner PS3 und ich bin mir nicht sicher, ob ich zufrieden oder enttäuscht sein soll. Aber beginnen wir am Anfang:

Dishonored führt den Spieler mit einem klassischen Trick in seine Welt ein: Ebenso wie Gordon Freeman mit der Bahn nach Black Mesa und später nach City 17 einreist, oder Jack in Bioshock mit der Tauchkapsel nach Rapture gelangt, wird der Titelheld Corvo den Fluss der Stadt Dunwall hinauf gefahren und bekommt so eine Vorahnung von der Welt, in die er gleich eintreten wird. Große Tanker, beladen mit dem Kadaver eines Wales, gleiten vorbei und geben den Blick auf die Skyline der Stadt frei. Nur schwer bahnt sich die Sonne einen Weg durch den von Nebel und Rauchschwaden verhangenen Himmel und beleuchtet den Palast der Kaiserin. Corvo steht als Leibwächter in ihrem Dienst und zusammen mit ihm kehrt auch der Spieler von einer längeren Reise zurück. Kaum an Land, wird die Kaiserin ermordet, ihre Tochter gefangengenommen und Corvo für beide Taten verantwortlich gemacht. Es folgen die titelgebende Entehrung, Folter, das Gefängnis, die Flucht, der Wunsch nach Rache und Gerechtigkeit und damit das eigentliche Spiel.

Eines der großen Aushängeschilder von Dishonored ist die Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Spielweise. In erster Linie ist Corvo ein geheimer Schleicher, der von Schatten zu Schatten huscht und Gegner lautlos, am besten aber gar nicht, ausschaltet. Immer dem Weg des geringsten Widerstands folgend, geht es lieber durch Abwasserrohre und über Dächer, als durch die stark bewachte Vordertür. Mit dieser Technik tat ich mich allerdings zu Anfang sehr schwer. Die Sichtlinien der Gegner sind nicht eindeutig einzuschätzen und so liefen die Wachen mal pfeifend an mir vorbei, während ich einen halben Meter neben ihnen unter einem Tisch saß und erspähten mich kurz darauf aus einer halben Meile Entfernung, weil mein kleiner Zeh hinter dem Türrahmen hervorlugte. Aber auch gegen dieses Phänomen wollte Dishonored gewappnet sein. Wird man entdeckt, so ist der Kampf eine erfolgsversprechende Möglichkeit, das Spiel fortzusetzen.

Corvo ist dank eines üppigen Waffenarsenals und einigen mächtigen Zauberfähigkeiten in der Lage, nicht nur einen Gegner, sondern auch gerne mal ein halbes Dutzend durch direkte Konfrontation auszuschalten. Während andere Schleichspiele den kleinsten Fehler gnadenlos bestrafen, lässt einem Dishonored die Wahl: Lieber den letzten Spielstand laden und es erneut probieren oder aber mit der Klinge voran in den Kampf schreiten und die Schleicherei aufgeben. Beide Vorgehensweisen werden von den vorhandenen Spielelementen gleichermaßen unterstützt. Es gibt genügend Munition und aktive Fähigkeiten für ein aggressives Vorgehen und ebenso ausreichend viele Hintereingänge und passive Talente für einen pazifistischen Spielstil.

Damit bin ich bei den Problemen von Dishonored angelangt. Es bietet dem Spieler alle Möglichkeiten, sich frei zu entfalten, hebt dann aber immer wieder den Zeigefinger und ermahnt zu bedächtigem Handeln. Die Stadt Dunwall wird von der Pest heimgesucht. Ratten bevölkern die Straßen, nagen an Leichen und verbreiten die tödlichen Krankheitserreger. Wer sich ansteckt, der wird zu einem lebenden Toten und schlurft stöhnend durch die feuchten Gassen der Stadt. Mehr Tote führen zu mehr Futter für die Ratten und somit zu mehr Ratten, die mehr Erreger verbreiten und damit ultimativ zu noch mehr Toten. Je mehr Wachen ich also ermordete, umso schlechter ging es der gesamten Stadt. Die Entscheidung für mehr Gewalt sorgt zum Schluss gar für zwei unterschiedliche Enden des Spiels.

Damit übergaben die Entwickler mir ein moralisches Dilemma. Die Schleicherei war spaßig umgesetzt, erforderte aber mehr Geduld und lieferte wenig spektakuläre Ergebnisse. Die Kämpfe dagegen waren effizient und sorgten für schnelle Resultate bei maximalem Unterhaltungswert. Mein Arsenal aus Armbrust, Handgranaten, Sprungklingen, magischen Windstößen und herbeigezauberten Ratten wollte doch eingesetzt werden und nicht das gesamte Spiel über in meinem Rucksack verstauben. Von dem wiederkehrenden Hinweis gegängelt, dass meine Handlungen Konsequenzen nach sich zögen, konnte ich mich mit meinem Gewissen darauf einigen, möglichst wenig Chaos anzurichten, wenn es aber nicht zu vermeiden sei, ordentlich auf den Putz zu hauen. Diese Taktik führte schließlich dazu, dass ich manche Level nur von den Dächern der angrenzenden Häuser betrachtete, weil sie mir einen eleganten und kampflosen Zugriff auf meine Ziele ermöglichten. An anderen Stellen gab ich die Schleicherei dagegen schnell auf und meuchelte mir meinen Weg frei.

Manchmal versuchte ich auch, beides zu kombinieren und rannte mordend durch die wunderschönen Bauwerke der heruntergekommenen Hafenstadt. Dabei fiel mir auf, dass die Wachen eine sehr entscheidende Gedächtnislücke besaßen. Die zwei bis drei Häuserblocks großen Level werden durch Ladesequenzen voneinander abgetrennt. Wird man in der einen Zone von schreienden Gegnern verfolgt und flieht ebenso schreiend zum nächsten Ladebildschirm, so geben die Verfolger ihre Jagd schlagartig auf und vergessen, dass je ein Eindringling existiert hat. Gerade in den späteren Missionen ließen sich so ganze Sicherheitszonen mit Wachtürmen und zweistelligem Sicherheitspersonal problemlos überrennen. Darunter litt meine Motivation zum vorsichtigen Anschleichen erheblich.

Dishonored wollte mich also durch moralische Kniffe in eine defensive Spielart drängen, die mich dank unberechenbarer KI ebenso belastete wie belustigte. Die Idee, dem Spieler einen großen Werkzeugkasten hinzustellen, aus dem er sich dann seine präferierten Instrumente herausnehmen konnte, ging so nicht gänzlich auf. Trotzdem war ich vom Spiel gefangen. Nicht von der Geschichte, die sich eine gähnend langweilige Wendung erlaubt und mit einem abrupten Ende aufwartet. Auch hier wurde sehr viel Potenzial verschenkt. Potenzial, welches die Welt in Tonnen bietet. Denn in diesem Aspekt kommt Dishonored fast an seine Brüder im Geiste – Bioshock, Half Life 2, Thief und Deus Ex – heran.

Dunwall kann sich als Stadt mit Rapture messen und verströmt den gleichen Charme vergangener Zeiten. Diese Stadt fühlt sich an, als hätten wirklich mal Menschen in ihr gelebt, die nun von der Pest dahingerafft werden. Die obligatorischen Tonaufnahmen und Tagebucheinträge in den verlassenen Häusern sind verbrauchte Ideen, helfen aber, eine melancholische Atmosphäre aufzubauen. Über den Fluss erreicht man die meisten seiner Ziele und während der Fahrten kann man am Horizont die besuchten und noch vor einem liegenden Level erahnen: eine imposante Brücke, die dampfenden Schlote einer Fabrik und dann das Schloss der ermordeten Kaiserin auf einer steilen Klippe. Dunwall ist ein Ort, an den ich gerne noch einmal zurückkehren würde.

Man merkt der künstlichen Welt in jedem Detail an, dass die Entwickler mit großer Liebe und Begeisterung an ihrer Erschaffung gearbeitet haben. Eine ganze Reihe von thematischen Untertönen wurde verstreut und reichen vom offensichtlichen Überwachungsstaat mit seinen permanenten Durchsagen und Straßenkontrollen über den Walfang als Industriemotor bis zur Diskriminierung von Frauen. Leider wirkt diese Zusammenstellung aber nie ganz konsistent und wird immer nur beiläufig aufgegriffen. Dem weniger aufmerksamen Spieler werden viele interessante Details entgehen, während er sich mit dem zentralen aber eindimensionalen Erzählstrang abmüht.

Die in sich abgeschlossene Geschichte erlaubt eigentlich keine direkte Fortsetzung, aber der angekündigte DLC lässt erahnen, dass die Arkane Studios ihre neue Marke noch in viele Richtungen erweitern können. Dann vielleicht auch mit einem sprechenden Protagonisten, denn der stumme Corvo blieb hinter seiner mechanischen Maske leider viel zu blass. Blass vor Angst schauten mich auch die Gegner zu Beginn meines zweiten Durchgangs an, als ich endgültig alle Hemmungen fallen ließ und wie ein Berserker über sie herfiel. Wusstet ihr, dass man elektrische Barrieren umprogrammieren kann und angelockte Gegner darin anschließend zu Staub zerfallen? Tja, solche Bilder bekommen pazifistische Veganer-Emo-Schleicher nicht zu sehen.