Metal Gear Rising: Revengeance

Die Geschichte der Metal Gear-Reihe ist eine Geschichte voller Missverständnisse: Antagonist Ocelot meint es gar nicht böse und ist irgendwie auch der Held? Hideo Kojima will eigentlich gar keine Metal Gear Solid-Spiele mehr machen? Er freut sich über ein neues Spiel namens The Phantom Pain, das Metal Gear Solid V sein könnte? Aber Kojima macht es selbst? Nein, doch nicht? Hui.

Und jetzt dieses Spin-Off namens Metal Gear Rising: Revengeance, ein Hack ‘n Slay von Platinum Games. Mit Metal Gear-Cutscenes als Zuckerguss. Und als Krönchen das größte Missverständnis von allen: Jack aka Raiden als Protagonist.

Hideo Kojima muss sich totgelacht haben, als er sich das ausgedacht hat. Ob der eigentlich selbst gerne spielt? In jedem Fall mit den Erwartungen seiner Fans. Eigentlich nur konsequent, dass jetzt all die Tarnanzüge im Schrank hängen und es keine Achievements fürs Durchspielen ohne Tötungen gibt — sondern welche für das präzise Zerschneiden der Gegner.

Das Wundervolle an dieser vollkommenen Unberechenbarkeit: die Art, wie Kojima als Designer Topoi zerlegt, die uns nach jahrzehntelangem Spielkonsum so selbstverständlich erscheinen. Solid Snake ist Männlichkeitsfantasie. Geklonter Supersoldat, Kampfanzug, Dreitagebart, Rambostirnband – und David Hayters grummelige Grizzlystimme. Alles an Snake brummt: „Ich bin ein Mann.
Umso bestürzter waren dann ja auch alle, als der in Teil 2 auf einmal gegen den androgynen Raiden ausgetauscht wurde. Das Irre dabei ist aber doch: Die Solid-Titel fordern vom Spieler, dass er mit dieser Macho-Fantasie total unmännlich durch die Gegend kriecht, sich ständig versteckt.

Raiden ist zwar mittlerweile ein Cyborg-Ninja — also etwas cooler als früher — trotzdem wehen seine blonden Haare im Wind, als sei er einer Final Fantasy-Zwischensequenz entsprungen. Und er trägt Roboter-Highheels. Für mit Videospielen sozialisierte Jungs eine Witzfigur. Aber in Metal Gear Rising verwandelt er sich in den Händen des Spielers in die Killermaschine, die die Snake-Persona immer vorgab zu sein. Ein blonder Bub’, der im Herzschlagtempo Körperteile abtrennt — und dann auf Stöckelschuhen davonstakst. Es ist wundervoll.

Dazu passt, dass das Kampfsystem in guter Platinum-Tradition auch Tanzsystem ist. Wirbeln, Pirouetten schlagen. Mit Händen und Füßen greift Raiden sein Hochleistungskatana und schwingt es im Takt. In die Eingeweide von Söldnern, biomechanischen Robotern und den obligatorischen Endgegnern. Die Steuerung flufft, Raiden tanzt. Einzig die störrische Kamera will nicht so recht zum Platinum-Qualitätssiegel passen. Das Spiel geht trotzdem gnadenlos nach vorn. Einen Blockbutton gibt es nicht, geblockt wird mit einem korrekt getimten Angriff. Das resultiert in Geschwindigkeit und eleganter Gewalt-Choreografie.

Denn Gewalt wird in Metal Gear Rising zelebriert, wie in keinem Spiel der Reihe zuvor. Verstümmelung als Feature ist seit Dead Space ja nichts Neues mehr. In Rising ist das Zerhacken aber so ästhetisiert, wie man es aus Kill Bill kennt. In einer Zeitlupenfunktion, dem Blade Mode, wird mit dem rechten Analogstick der Schnittwinkel bestimmt und dann Köpfe abgetrennt. Arme. Beine. Selbst der Torso kann noch zerstückelt werden. Und bei präzisen Schnitten greift Raiden in die blutigen Überbleibsel und reißt noch die Wirbelsäule heraus. Die wird dann zerquetscht, wofür es Bonuspunkte hagelt.

Die Musik pumpt noch weiter auf. Zusammen mit der Gewaltdarstellung und Highspeed-Mechanik entfaltet sich ein ähnlicher Blutrausch, wie in Hotline Miami. Trotzdem gibt es einen Unterschied zum Indie-Schatz aus dem letzten Jahr. Die Ruhepausen waren in Hotline Miami das Schlimmste. Das Zurück durch die Überreste der erlegten Gegner am Ende eines Levels, die Musik auf einmal bedrohlich dumpf. Wie das Brummen im Kopf nach einer durchzechten Nacht. In Metal Gear Rising treten in diese Leerstellen die aus der Serie bekannten Videosequenzen. Die versuchen zwar auch das Blutbad zu thematisieren, aber wenn sich das Spiel ernsthaft mit Gewalt hätte auseinander setzen wollen, wären Verschnaufpausen wahrscheinlich die klügere Wahl gewesen.

Natürlich beschäftigt sich das Spiel daneben serientypisch wieder mit dem Krieg. Es geht um die dritte Welt, Söldnerunternehmen und durch Implantate verbesserte Soldaten. Außerdem wird das Hauptmotiv von Hauptcharakter Raiden wieder aufgegriffen: Der ehemalige Kindersoldat trifft auf kleine Kindersoldaten, bzw. Kindern entnommene Gehirne, die in mechanische Körper eingebettet werden sollen.

Transhumanismus geht also auch in Metal Gear Rising steil. Was nach dem ersten Kapitel des Spiels an Raiden noch menschlich ist, außer seinen Haaren, kann man nur erahnen. Er sieht nach der kompletten Transformation in eine Menschmaschine jedenfalls fürchterlich aus. Gut, dass „die Frau und das Kind in Neuseeland sind“ und Papa nicht so sehen müssen. Die Frage nach dem Verbleib des Seins angesichts des Verlusts der natürlichen Körperlichkeit stellt Metal Gear Rising jedenfalls. Ähnlich wie Ghost In The Shell, nur, dass man sie in all dem Elektrokatana-Gerassel leicht überhören kann.

Lässt man sich auf sie ein, dann werden auf einmal die Ruinen, durch die Raiden sechs Stunden lang stöckelt, zum Sinnbild für die Ruine, die er selbst ist. Ein letzter Rest Organismus unter einem Hightech-Panzer — in dem die Menschlichkeit dahin krümelt. Hört man nicht hin, bekommt man sechs Stunden Hack in der gewohnt guten Qualität vom Metzger des Vertrauens.

Übrigens: Ganz kurz vor der Veröffentlichung hat Kojima bekanntgegeben, dass er eigentlich gar kein Spiel über Raiden machen wollte. Sondern über Gray Fox, den von Fans geliebten Cyborg-Ninja aus Metal Gear Solid. Den gibt es jetzt stattdessen nur noch als freispielbaren Skin. Warum Kojima sowas sagt? Um Missverständnisse in den Weg zu räumen natürlich.