Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin
Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin ist ein japanisches Rollenspiel. Meine bisherigen Erfahrungen mit diesem Genre sind als durchwachsen zu bezeichnen und doch wollte ich dieses neue Werk aus dem Land der aufgehenden Sonne unbedingt spielen. Ich wollte mich von den Zeichnungen des bekannten Zeichentrickstudios Ghibli verzaubern lassen und dem Rollenspielkern der Entwickler von Level-5 eine Chance geben.
Die Voraussetzungen für ein großes Videospielerlebnis hätten nicht besser sein können, denn ich lag wehrlos und willig für putzige und herzerwärmende Unterhaltung auf dem Sofa. Am Morgen wurden mir noch unter Vollnarkose Kabel in die Nase gesteckt und Hochfrequenzstrom hindurchgeleitet, während ich schon wenige Stunden später unter legalem Drogeneinfluss wieder zu Hause saß. Ni no Kuni, das bedeutet übersetzt so viel wie “eine andere Welt”. Eine andere Welt kam mir gerade sehr gelegen. Der Eskapismus konnte beginnen.
Hauptfigur Oliver lebt allein mit seiner Mutter im idyllischen Örtchen Motorville. Als diese überraschend stirbt, erwecken die Tränen des Waisenjungen eine Stoffpuppe zum Leben, die sich als Märchenfigur aus einer Parallelwelt vorstellt. Der plappernde Mr. Drippy führt Oliver und damit den Spieler hinein in die wundersame Welt von Ni no Kuni. Es folgen lange Wanderungen, viel langsam scrollender Text, sehr viele kurze Kämpfe und das ferne Ziel, einen bösen Zauberer samt Hexenfreundin zu besiegen, um das gebrochene Herz der verstorbenen Mutter wieder zum Schlagen zu bringen.
Meine bisherigen 15 Stunden Spielzeit lassen sich dabei als stetige Berg- und Talfahrt beschreiben. Zunächst wurde ich eingelullt von der tollen Präsentation. Die Farben sprangen aus dem Fernseher mitten in mein Wohnzimmer. Vergesst nicht, ich hatte eine gute Dosis an Schmerzmitteln intus. Das half sicherlich, die seichte Story mit ihrem emotionalen Kern entspannt hinzunehmen.
Die englische Synchronisation war fantastisch — und die Zwischensequenzen, in typischer Studio Ghibli-Optik, standen den bekannten Zeichentrickfilmen in nichts nach. Langsam, aber stetig wurden die verschiedenen Spielelemente eingeführt, und nach gefühlten drei Stunden öffnete sich das eigentliche Rollenspiel mit einer offenen Weltkarte und kurzen taktischen Kämpfen. Und damit begannen die Probleme.
Egal, was ihr an manchen Stellen im Internet so lest: Ni no Kuni ist keine Revolution des Genres, sondern ein japanisches Rollenspiel in Reinkultur. Es sieht putzig aus, ist farbenfroh und zieht einen schnell in seinen Bann, aber unter der Oberfläche arbeitet ein knochentrockenes System aus Wiederholungen, Zahlen und noch mehr Wiederholungen. Hinzu kommt, dass auch das Kampfsystem nur sehr schleppend an Tiefe gewinnt.
Mit der steigenden Zahl an Kämpfen ging auch der Spielspaß in den Keller. Ni no Kuni benutzt eine Mischung aus Echtzeit- und Rundensystem, gepaart mit einem Monstersammelaspekt à la Pokémon. Die Figuren werden direkt gesteuert, jede Aktion besitzt jedoch einen Timer, der sich nur langsam wieder füllt. Wann also welcher Angriff oder welcher Zauber erfolgen soll und ob man dafür lieber seine kleinen Monsterfreunde oder Oliver selbst benutzt, muss gut durchdacht werden. So zumindest die Theorie. In der Praxis liefen bisher jedoch all meine Kämpfe nach den folgenden zwei Schemata ab: Kämpfte ich gegen einen normalen Gegner, wählte ich meinen kleinen, schwertschwingenden Begleiter und ließ ihn stetig sein Schwert schwingen, bis der Kampf vorbei war. Kämpfte ich jedoch gegen einen stärkeren Zwischenboss, wählte ich Oliver, wich den langsamen Angriffen aus und zauberte Feuerbälle, bis der Kampf vorbei war. Zu deutlich kniffligeren taktischen Manövern zwang mich das Spiel leider noch nicht.
Hatte ich aber den ersten Hügel an quälenden Kämpfen erklommen, kamen andere Aspekte hinzu, die Ni no Kuni zu einem tollen Spielerlebnis machten. Die gesammelten Monster lassen sich mit Süßigkeiten füttern und bekommen dafür Statusverbesserungen. Das ist auf der einen Seite unglaublich niedlich und lässt einem die gefräßigen Biester gleichzeitig ans Herz wachsen. Zusätzlich fordern simple Nebenaufgaben dazu auf, die große Welt zu erkunden und die gestärkten Begleiter einzusetzen und zu trainieren. So wird aus dem verhassten, stundenlangen Aufpäppeln der Figuren ein freudiger Teil des Spiels. Wer sich regelmäßig mit dem Erforschen der Umgebung und dem Erfüllen von Sekundärmissionen beschäftigt, wird auch in der Hauptstory keine Probleme mit dem Schwierigkeitsgrad bekommen.
So ist Ni no Kuni ein Spiel, welches aus der Zeit gefallen scheint. Wer hat in der Epoche von Free-to-play, kurzweiligen Smartphone-Spielen und hyperventilierenden Shootern noch die Muße, sich einem 80-stündigen japanischen Rollenspiel hinzugeben, das in seinem Kern doch nur ein “Drücke X”-Simulator ist. Langsame Texttafeln müssen beschleunigt, die immer gleichen Kampfbefehle gegeben und die sich ewig füllenden Erfahrungsbalken bestätigt werden. Am Ende scheint es doch die Magie einer Geschichte mit Herz zu sein, die auf eine kindlich ehrliche Art präsentiert wird.
Ni no Kuni fördert eine nahezu vergangene unschuldige Freude zu Tage. Sie speist sich fast vollkommen aus der audiovisuellen Brillanz und einer enorm flachen, aber stetigen Spielentwicklung. Gepaart mit dem verflucht funktionalen Sammeltrieb von kleinen Monstern, die süß quieken, wenn man ihnen ein Eis gibt, ergibt sich ein Gemisch aus bekannten und funktionalen Mechaniken, die ich wohl noch die restlichen 65 Stunden Spielzeit glücklich grinsend hinnehmen werde.