Blast from the Past: Gobliiins
Manchmal ist das Gedächtnis ein Verräter: An einige Lieblingsspiele meiner Kindheit habe ich fast keine Erinnerungen mehr, während ich andere kristallklar vor meinem inneren Auge sehe. Dieses selektive Erinnern hat vermutlich weniger mit Hirnkapazität zu tun als mit Repräsentation – manche Spieleklassiker sind eben bis heute sehr präsent. Oder anders gesagt: Es ist keine Leistung, sich gut an Monkey Island erinnern zu können, wenn unsere Erinnerungen durch Medienkonsum kontinuierlich aufgefrischt werden.
Das französische Adventure Gobliiins von 1991 hingegen fristet heute trotz Retrowelle eher ein Schattendasein. Mehr als 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung waren meine Erinnerungen auch deshalb weitgehend verblasst – obwohl ich wusste, dass Gobliiins zu den Meilensteinen meines Spielelebens zählte. Aber wie lässt sich glaubwürdig über etwas schreiben, an das man sich nur noch verschwommen erinnert?
Es hilft natürlich, dass alle drei Teile der ursprünglichen Gobliiins-Serie (ein später vierter Teil erschien 2009) mittlerweile bei GOG.com erhältlich sind. Daneben existieren weniger werktreue Apps für iOS und Android, die ich mir allerdings verkniffen habe, um die Spiele nicht ihrer Würde zu berauben. Doch selbst eine 1:1-Neuauflage eines so alten Spiels ist heute eine signifikant andere Spielerfahrung: Spielmechaniken, die zu ihrer Zeit solide waren, wirken aus heutiger Sicht oft sperrig und jeder Fortschritt, den ein Genre seither gemacht hat, gereicht alten Spielen unbewusst zum Nachteil. Schnell fühlt es sich dann so an, als hätte man ein schlechtes Spiel nur nachträglich verklärt.
Deshalb griff ich für diesen Artikel zusätzlich auf das kollektive Familiengedächtnis zurück: In den Achtzigern und Anfang der Neunziger waren Computerspiele für mich und meine zwei Geschwister eine Gemeinschaftsaktivität, denn spielen konnten wir lange nur auf dem PC im Wohnzimmer. Notgedrungen spielten wir uns also zu zweit oder zu dritt durch Commander Keen, Prince of Persia oder King’s Quest. Die bis zu acht Jahre Altersunterschied zwischen uns waren dabei gar nicht so hinderlich. Im Gegenteil: Computerspiele waren wahrscheinlich sogar das einzige, womit wir uns gemeinsam altersübergreifend die Zeit vertreiben konnten.
Kurz nachdem ich mir überlegt hatte, über Gobliiins zu schreiben, traf ich meine Geschwister und nutzte die Gelegenheit, um meine bruchstückhaften Erinnerungen mit ihren abzugleichen. Selbst nach so langer Zeit waren unsere Eindrücke erstaunlich deckungsgleich und, wie erhofft, unisono positiv. Das Spiel hatte uns damals alle drei mit seiner (übrigens auch heute noch) bezaubernden Cartoon-Grafik und seinen hübschen Animationen begeistert, mit seinem atmosphärischen Sounddesign, vor allem aber mit einem völlig neuen Spielprinzip: Gobliiins ist ein sehr spezieller Hybrid aus Adventure und einem levelbasierten Rätelspiel und damit anders als alle Spiele, die wir bis dato kannten.
Die Handlung von Gobliiins ist schnell erzählt: Der Goblinkönig wird von einer Art Voodoo-Fluch gequält und die drei Goblins Asgard, Ignatius und Oups machen sich auf, den Monarchen davon zu befreien. Die Besonderheit des Spiels liegt in den Spezialfähigkeiten der drei kleinen roten Protagonisten: Krieger Asgard schlägt auf Befehl zu, der Zauberer Ignatius besitzt magische Kräfte und Oups ist eine Art Techniker, der Gegenstände aufheben und verwenden kann. Nur wenn diese Fähigkeiten richtig eingesetzt und kombiniert werden, lassen sich die Level in Form einzelner Bildschirmszenen lösen. In einem einfachen, frühen Beispiel etwa müssen die Goblins einen Abgrund überwinden. Dafür lässt Ignatius die Äpfel an einem Baum per Zauberspruch wachsen. Asgard muss die Riesenäpfel anschließend vom Ast schlagen, sodass Oups sie aufsammeln und den Graben damit überbrücken kann.
Natürlich ist die Lösung selten so naheliegend wie in diesem Beispiel: Die meisten Level bieten eine Reihe von Interaktionsmöglichkeiten, von denen nur wenige die Lösung voranbringen. Meist kommt es außerdem auf die richtige Reihenfolge und manchmal sogar auf das Timing an. Erschwert wird das Vorankommen dadurch, dass sich die drei Goblins eine Energieleiste teilen, die sich leert, wenn sich einer von ihnen verletzt oder erschreckt – was durch wildes Ausprobieren und manchmal durch reines Pech zwangsläufig passiert. Ist die Energieleiste leer, ist das Spiel verloren. Absolvierte Level werden zwar per Passwort gespeichert, doch der Stand der Lebensenergie wird dabei übertragen und es gibt keine Möglichkeit, verlorene Energie zurückzugewinnen. Das macht das Spiel ziemlich schwer, zumal die Rätsel nicht immer nur durch Nachdenken zu lösen sind: Was genau Ignatius’ Zauberei im Einzelfall bewirkt, lässt sich beispielsweise nur durch Probieren herausfinden. Gobliiins ist ein höchst anarchisches Adventure, das Lust am Ausprobieren und viel Geduld verlangt.
Auch in einem weiteren Aspekt unterscheidet sich Gobliiins von anderen Adventures seiner Zeit: Das Spiel kommt fast vollständig ohne Worte aus. Die Geschichte wird in Bildern und Geräuschen erzählt, nur in wenigen Zwischensequenzen bilden kurze Texte den narrativen Kitt zwischen einzelnen Leveln. Damit nimmt das Spiel eine Designentscheidung vorweg, die rund 20 Jahre später in Indiespielen wie Limbo oder den Adventures des tschechischen Studios Amanita Design für Aufsehen sorgte. Nicht ohne Grund zählt Amanita-Gründer Jakub Dvorský Gobliiins zu seinen wichtigsten Einflüssen. Der weitgehende Verzicht auf Text war zudem nicht nur ein Designkunstgriff, er machte das französische Spiel auch leicht für den englischsprachigen Markt lokalisierbar. Umso merkwürdiger mutet es an, dass die Protagonisten in der US-Version des Spiels die bizarren Namen BoBo, Hooter und Dwayne erhielten.
Ob wir Gobliiins damals durchgespielt haben, ließ sich übrigens auch gemeinsam nicht mehr klären. Meine Schwester antwortete kryptisch, sie könnte sich an gar kein Spiel erinnern, das wir nicht durchgespielt hätten. Meinem Bruder kamen die späteren Level überhaupt nicht bekannt vor, was aber auch daran liegen mag, dass er als Kleinster nicht immer dabei war. Doch für mich ist auch nicht entscheidend, ob wir den Goblinkönig jemals von seinem Fluch befreit haben, sondern nur, dass wir es gemeinsam viele Stunden lang versuchten. Und wahrscheinlich ist es letztlich genau das, was Gobliiins für mich so besonders macht: Es ging dabei immer um Kooperation – auf dem Bildschirm und davor.