Blast from the Past: Summer Games

Ein Gastartikel von Heinrich Lenhardt. Der Text stammt aus dem eBook Lenhardts Spielejahr 1984, in dem Heinrich neben Summer Games 49 weitere Spiele vorstellt.


Die weißen Tauben, die anlässlich der Entzündung des pseudo-olympischen Feuers über den Bildschirm flatterten, verkündeten den Sieger des Heimcomputer-Wettkampfs in der 8-Bit-Gewichtsklasse. Mit der aufwendigen Eröffnungszeremonie von Summer Games unterstrich das Entwicklungsstudio Epyx die audio-visuelle Pracht, zu welcher der Commodore 64 fähig war. Präsentation in Computerspielen hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt auf leidlich hübsch gemalte Titelbilder beschränkt, zu denen vielleicht noch eine Melodie aus dem Lautsprecher düdelte. Summer Games protzte dagegen mit einer animierten Anfangssequenz, die keinerlei spielerischen Nährwert hatte, aber den Betrachter vortrefflich auf den sportlichen Mehrkampf einstimmte.

Summer Games

Nachfolgende Generationen mögen den animierten Fackelläufer und seine aufgeschreckten Tauben-Sprites mitleidig belächeln, doch auf den Spieler des Jahres 1984 wirkte der Aufmachungsaufwand wie eine Offenbarung. Summer Games war nicht einfach ein Spielchen, sondern handwerklich kompetent inszeniertes Entertainment; ein Spektakel, bei dem Atmosphäre und Liebe zum Detail ähnlich wichtig waren wie die Steuerungsideen. Dazu gehört auch, dass jeder Teilnehmer nicht nur seinen Namen eintippen, sondern auch das Land seiner Wahl repräsentieren darf (staatenlos gesinnte Sportler weichen auf die Flagge mit dem Epyx-Logo aus). Nach jeder Disziplin knödelt der SID-Soundchip tapfer die Nationalhymne des siegreichen Athleten. Aufgrund der ebenso peppigen wie straffen Hymnen-Interpretation ist Brasilien als sportliche Heimat zu empfehlen. Wer dagegen die Geduld seiner Mitspieler strapazieren will, wählt Japan oder Dänemark, deren langwierige Melodien allgemeine Schläfrigkeit verbreiten.

Summer Games hat man idealerweise auf dem Gipfel seines Ruhms im Sommer 1984 genossen. Denn das i-Tüpfelchen für die Atmosphäre war die termingerechte Auslieferung zu den Sommerspielen in Los Angeles. Es war wohlgemerkt kein Lizenzprodukt, das erste offizielle Olympia-Videospiel folgte erst 1992 mit U.S. Golds Barcelona-Beitrag. Den Verzicht auf die ausgiebig urheberrechtlich geschützten olympischen Ringe konnte der Spieler verschmerzen. Unrealistisch war streng genommen auch, dass Warschauer-Pakt-Staaten wie die UdSSR an der Computer-Olympiade teilnahmen. Die verkniffen sich im wirklichen Leben die Mitwirkung an den Spielen von Los Angeles, quasi als Retourkutsche für den Boykott der Moskau-Wettkämpfe 1980 durch zahlreiche westliche Nationen. Nur auf dem C64, da war die Sportwelt noch in Ordnung.

Summer Games

Das Konzept des sportlichen Computer-Mehrkampfs geht auf das Jahr 1981 zurück, als Microsoft Decathlon für Apple II veröffentlicht wurde. Richtig populär wurde das Genre aber erst 1983 durch zwei grafisch eindrucksvollere Vertreter: Während Konamis Hyper Olympic in den Spielhallen zu leichtathletischen Heldentaten animierte, massakrierte The Activision Decathlon so manchen heimischen Joystick. Letzteres Modul erschien zunächst fürs Atari 2600 und verlangte den Eingabegeräten ungewohnte Strapazen ab. Die Steuerung war bei sämtlichen Disziplinen nahezu identisch und ermüdete Mensch wie Material gleichermaßen: möglichst schnell den Knüppel hin und her rütteln, hier und da auch mal den Feuerknopf drücken.

1983 arbeitete derweil Programmierer Scott Nelson an einem Zehnkampf-Prototypen namens Sweat! für den Starpath Supercharger, ein Erweiterungsmodul der Atari-2600-Konsole. Dieses Projekt blieb wegen des Atari-Marktzusammenbruchs unvollendet, doch die Supercharger-Muttergesellschaft Epyx kam auf Nelsons sportliches Konzept zurück. Angesichts des Konsolen-Crashs setzte die Firma voll auf Heimcomputer und insbesondere den Commodore 64. Angesichts der nahenden 1984-Olympiade in Los Angeles wurde das in Summer Games umgetaufte Spiel unter Hochdruck entwickelt. Mehrere Programmierer arbeiteten gleichzeitig an verschiedenen Disziplinen.

Dass Summer Games im Sommer 1984 seine sportlichen Vorgänger an die Wand spielte, lag nicht nur an der famosen Grafik. Noch wichtiger war im Vergleich zu den Kraftmeier-Decathlons das Einfallsreichtum bei der Steuerung. Lediglich in einer Disziplin ist auch bei Epyx gnadenloses Joystick-Gerüttel gefragt, was beim 100-Meter-Lauf dankenswerterweise nach rund zwölf Sekunden ein Ende hat. Doch die restlichen Sportarten gefallen durch Abwechslung und eigenständigen Mini-Game-Charakter. So ist die 4×400-Meter-Staffel eher ein Taktikspiel, bei dem man die Leistungsreserven der Läufer verwaltet und bei der Stabübergabe im rechten Moment den Feuerknopf drückt. Die beiden Schwimmdisziplinen erfordern schön rhythmische Joystickbewegungen, gutes Timing bei Absprung und Wende sind für einige gewonnene Zehntelsekunden gut.

Summer Games

Am meisten Spaß bereiten die ungewöhnlichen Disziplinen, nicht zuletzt wegen schön anzusehender Fehlleistungen. Wassert der Turmspringer statt in der angestrebten Bestnoten-Haltung mit einem Bauchklatscher, dann tröstet die Qualität der Animationen über gestrenge Null-Komma-noch-was-Noten hinweg. Ähnlich knifflig gestaltet sich die Steuerung der Turnerin, die in den bangen Momenten zwischen Absprung und Landung zu allerlei Drehungen animiert werden kann, bei unsachgemäßer Eingabe aber wenig elegant auf der Matte landet. Der Stabhochsprung verlangt exaktes Timing beim Absetzen und Loslassen der Stange, schon die Meisterung der Mindesthöhe erfordert Übung. Die Olympiade endet vergleichsweise unkompliziert mit einem Ballerspiel: Beim Tontaubenschießen wird ein Fadenkreuz geschwind bewegt, um die immer nach dem gleichen Schema vorbei sausenden Zielscheiben zu erwischen.

Alle Disziplinen lassen sich einzeln üben, ambitionierte Sportler absolvieren freilich das gesamte Wettkampfprogramm (welches sich mit dem 1985 veröffentlichten Nachfolger Summer Games II verdoppeln lässt). Am Ende wird anhand des Medaillenspiegels der Gesamtsieger gekürt und – nicht schon wieder! – dessen Hymne abgespielt. Nachhaltiger Ruhm ist jenen Athleten vergönnt, welche eine Bestleistung aufstellen. Der High Score für jede einzelne Disziplin wird in der Weltrekord-Liste auf Diskette gespeichert. Nur bei den Lauf- und Schwimm-Wettbewerben dürfen zwei Teilnehmer gleichzeitig antreten, ansonsten übt man sich in Geduld und wartet die Versuche der anderen Spieler ab, bis man selber an die Reihe kommt. Halb so wild, denn die mehr oder weniger sachlichen Kommentare der lieben Mitmenschen haben wesentlichen Anteil am Party-Spaßgefühl, welches eine gesellige Summer Games-Runde unweigerlich auslöst. Im Sommer und Herbst 1984 war es das bevorzugte Feierabendbier-Begleitspiel, das nicht nur im Büro der 64’er-Redaktion gerne aus dem Diskettenkasten gefischt wurde.

Summer Games

Neubetrachtung

Die Paradedisziplin-Leistungen bestimmter Kollegen bei unseren Büro-Olympiaden haben bei mir einen viel nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als die „echten“ Sommerspiele von Los Angeles. In geselliger Runde war Summer Games natürlich am schönsten; am Wochenende trainierte ich dann alleine am C64, um Steuerungstricks zu perfektionieren und nach neuen Weltrekorden zu streben. Die leidenschaftlich getröteten Nationalhymnen, die Regenerationspausen beim gemächlichen Nachladen der nächsten Disziplin – das war schon eine ganz eigene Atmosphäre.

Wer’s damals nicht erlebte, hat wahrscheinlich berechtigte Schwierigkeiten, diese Begeisterung nachzuvollziehen. Denn wie so viele Grafik- und Präsentations-getriebenen Spiele ist Summer Games nicht übertrieben vorteilhaft gealtert. Disziplinen und Steuerung muten Jahrzehnte später vergleichsweise läppisch an, zumal Epyx mit Summer Games II und Winter Games seine Erfolgsformel in verbesserter Form fortsetzte. Aber gut ein Halbjahr lang waren die ersten Sommerspiele einsame Klasse, sowohl in spielerischer Hinsicht als auch bei Grafik und Sound (Stichworte „Tauben“ und „Nationalhymnen“).


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie geladene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.

Heinrich Lenhardt, 1965 in Frankfurt am Main geboren, ist einer der erfahrensten deutschen Fachjournalisten im Bereich Computer- und Video-Spiele. 1984 begann er seine Laufbahn in der Redaktion Happy-Computer beim Markt&Technik-Verlag. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), Video Games (1991), PC Player (1992), buffed-Magazin (2007) und CHIP Power Play (2012). Heute arbeitet er von Vancouver aus als freier Journalist und Korrespondent für diverse Print- und Online-Medien.