Blast from the Past: Tekken 2

Tekken 2

Durch Tekken 2 habe ich gelernt, was es mit diesem muscle memory auf sich hat. Wenn mir heute jemand einen Playstation-Controller in die Hand gibt und nach der Ellbogen-Faustschlag-Kombination von Paul Phoenix verlangt, dann huschen die Daumen wie von allein über das Gamepad. Gleiches gilt für die nicht enden wollende Trittfolge des Bruce Lee-Verschnitts Marshall Law. Ich kann die genauen Tastenkombinationen nicht aufschreiben, aber mit einem Steuerkreuz und vier Buttons unter den Fingern läuft es wie von allein. Die Bewegungen sind für immer in meinen Muskelsträngen abgespeichert.

1996 veröffentlichte Namco Tekken 2 für die erste Playstation. Ich selbst kam mit dem Beat ’em Up aber erst ein oder zwei Jahre später über einen Schulfreund in Kontakt. Wir kannten uns schon aus der Grundschule und waren zusammen auf das Gymnasium gewechselt. Seine Eltern stammten aus China und betrieben ein Restaurant. Diese Details sind wichtig, um zu verstehen, welche Atmosphäre bei meinem Freund zu Hause herrschte. Im Wohnzimmer stand ein kleiner Röhrenfernseher auf dem Boden, an den die Playstation angeschlossen war. Daneben befand sich ein weiterer sehr viel größerer Fernseher, über den die Familie chinesische TV-Programme schaute.

Nach der Schule trafen wir uns oft in diesem Wohnzimmer, um Videospiele zu spielen. Wir hockten auf dem Boden und über uns an der Wand hing für europäische Geschmäcker kitschige asiatische Landschaftsmalerei. Aus der Küche drang der Duft exotischer Gewürze an meine Nase und auf dem Sofa saßen abwechselnd Oma, Vater, Mutter und Geschwister meines Freundes, guckten chinesisches Fernsehen und unterhielten sich in einer Sprache, die ich nicht verstand. Währenddessen prügelten wir uns mit einem riesigen Bären und einem Roboter in Tekken 2.

Tekken 2

Wir schauten uns das alberne Intro an, welches in unseren Augen natürlich ziemlich cool war, weil dort Sachen explodierten und ein Typ eine Löwenmaske trug und ein anderer mit komischen Haaren in einem Sturm einen Berg hochkletterte. Und dann war da noch ein Engel und eine sexy Agentin und ein Kerl, der aussieht wie Jackie Chan, meinem persönlichen Helden der Jugend. Das war alles großartig. Wir spielten die Charaktere frei und danach ging es meistens per Team-Battle in den Zweikampf.

Das spannende am Team-Battle ist die Mitnahme des siegreichen Kämpfers in die nächste Runde und den nächsten Schlagabtausch. Gewinner ist, wer zuerst alle Figuren des Gegners bezwingt. Jeder stellte sich sein Team mit einer anderen Strategie im Hinterkopf zusammen. Entweder nahm man die Kämpfer, mit denen man gut spielen konnte nach vorne und versuchte, mit ihnen über die Runden zu kommen, oder man setzte auf einen starken Charakter am Ende, um das Ruder je nach Spielverlauf noch rumreißen zu können. So entstanden glorreiche Momente, wenn etwa der letzte eigene Kämpfer mit nur wenig Lebensenergie drei Runden erfolgreich überstehen musste und dieses Wunderwerk der Prügelkünste auch noch gelang. Legendäre Geschichten, über die noch tagelang hinter vorgehaltener Hand auf dem Schulhof getratscht wurde.

Ich bin kein Experte in Sachen Prügelspiele und nie wieder nach Tekken 2 habe ich einen anderen Genrevertreter so intensiv gespielt. Wahrscheinlich bin ich sogar ziemlich schlecht in Tekken 2. Griffe lassen sich bei jedem Charakter mit der gleichen Tastenkombination ausführen und wurden dementsprechend oft genutzt. Wirklich lange Schlagabfolgen gelangen nur selten, aber trotzdem war das Geschehen auf dem Bildschirm dramatisch und spektakulär. Mit wenig Input konnte ein faszinierender Output erzeugt werden. Als eines der ersten Playstation-Franchises gehört Tekken zur Speerspitze des coolen Images der ersten Videospielkonsole von Sony und Mitte der Neunziger hatte man solch detaillierte 3D-Kämpfer noch nicht so oft gesehen.

Tekken 2

Mein Freund wollte seine Kopie von Tekken 2 irgendwann verkaufen. Ich besaß nun auch eine Playstation und überführte seine verkratzte CD gerne in meine noch kleine Spielesammlung. Ein Handbuch gab es nicht mehr und die Hülle hatte auch schon bessere Tage gesehen, aber das war mir egal. Noch heute, Jahre später, liegt sie in meinem Elternhaus auf einem Regalbrett mit all den anderen persönlichen Spieleperlen, die ich nicht zum Studium mit in die Ferne genommen habe. Jedes davon ist Teil meiner Videospielsozialisation und wenn ich an Tekken 2 denke, dann denke ich immer an die Nachmittage im Wohnzimmer einer aus China stammenden Familie in Deutschland und eine Gruppe von Schülern vor einem kleinen Röhrenfernseher, vollkommen vertieft in die eigenen Zweikämpfe, ausgetragen mit virtuellen Recken im King of the Iron Fist Tournament.


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend. Wir freuen uns über einen regen Erinnerungsaustausch in den Kommentaren.