Divekick

Wenn es darum geht, den eigenen Spiele auf der ganzen Welt in großen und kleinen Events zu huldigen, so ist gerade die Szene der Kampfspiel-Begeisterten mit viel Ego und Herzblut dabei. Die beeindruckenden Effektgewitter, wenn Profis die Trickkiste aufmachen, der ansteckende Hype der Crowd und jede Menge Drama darüber, wer nun “fraud” und wer “da bes” ist (Mike “Mike Ross” Ross), bieten unglaublichen Unterhaltungswert. All die verschiedenen Gesichter und Persönlichkeiten der Szene sind so vielfältig, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand das Ganze mal auf’s Korn nehmen würde.

Adam “Keits” Heart ist der Mann, der mit seinen OTG Game Studios — bestehend aus weiteren Wettkampf-Zockern — als Liebesbeweis zu dieser Community Divekick entwickelt: Die erste parodistische Dresch-Orgie, die nicht etwa die Spiele als Ziel des Humors auserkoren hat, sondern die dahinter stehende Szene. Nachdem der Prototyp auf verschiedenen Events der FGC erste Erfolge feiern konnte, folgte der nächste Schritt: Kickstarter. Das erfolgreiche Crowdfunding wurde jedoch abgebrochen, da Iron Galaxy Studios (bekannt für diverse Neuauflagen alter CAPCOM-Prügler) das Geld für die Entwicklung springen ließ. Nun ist es soweit und Divekick wartet auf Steam, um im Tausch gegen schlanke zehn Euro in euer digitales Spieleregal zu wandern. Aber kickt es wirklich?

Divekick quillt erwartungsgemäß mit Referenzen und Insider-Witzchen über. Der titelgebende Angriff (bekannt durch Kung Lao, Rufus oder Wolverine) ist da nur die Spitze des Eisbergs. Sowohl Spielmechaniken als auch die Spielcharaktere selbst sind mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen auf die Szene. Hier jeden Gag zu erläutern wäre müßig, das meiste versteht man nach ein bis zwei Jahren des EVO-Schauens problemlos. Alternativ empfehle ich einen Blick in den Wikipediaeintrag.

Divekick mag auf den ersten Blick an Flashspielchen erinnern, und der Fakt, dass es mit nur zwei Knöpfen gespielt wird, wird diesen ersten Eindruck sicher nur verstärken. Sobald man sich jedoch darauf einlässt, offenbaren sich ganz wunderbare Dinge. Dieser Titel fällt recht eindeutig in die Kategorie “easy to learn – hard to master“. Springen und Treten, mehr ist Divekick nicht: Keine Bewegungstasten, kein Block, kein Dash, nichts. Das wirkt im besten Falle erstmal ungewohnt, im schlimmsten Fall kommt man damit gar nicht klar; so ging es mir jedenfalls in den ersten 20 Minuten. Doch plötzlich fiel die äußere “Idiotenbespaßung”-Ummantelung ab. Hinter der simplen Prämisse der Zwei-Tasten-Mechanik steckt nämlich mehr.

So unterscheiden sich alle Spielfiguren in ihrem Kick-Winkel, was wiederum bedeutet, dass man jedes Mal den Angriffs- und Springzeitpunkt ändern muss. Dr. Shoals hat beispielsweise den von Dr. Doom aus Ultimate Marvel vs. Capcom 3 bekannten Divekick, der in diesem Spiel zweistufig funktioniert: Sollte abzusehen sein, dass der normale, eher horizontale Divekick nicht trifft, kann die Gute immer noch einen zweiten nachsetzen, dessen Winkel vertikal stark geneigt ist. Da hierbei die eigene Kontrolle über die Spielfigur deutlich variiert, sorgt das für ein grundsätzlich anderes Spielgefühl. Damit spielen sich fast alle der 13 Figuren anders. Bei einigen Charakteren muss man schon ein wenig üben, bis auch der letzte (un)mögliche Angriffswinkel verinnerlicht ist.

Aus dem kleinen Witz-Spielchen wird so plötzlich etwas, das man durchaus ernst nehmen kann und bei dem sich mit der fortlaufenden Spielzeit eine stetige Verbesserung einstellt. Das ist die wahre Stärke von Divekick, da mit einfachsten Mitteln in Sachen “execution” — der genauen Ausführung von Bewegungen und Angriffen, von Dive und Kick — und durch den kompletten Verzicht auf Combo-Attacken gekonnt eine der wichtigsten Meta-Ebenen von Kampfspielen präsentiert wird. Die Rede ist von der Positionierung der eigenen Spielfigur und die daraus resultierende Raumkontrolle. In “richtigen” Prügelspielen ist diese von immenser Wichtigkeit, da nur wenige Pixel entscheidend sind, ob etwas nun trifft oder nicht. Durch die Entfernung zum Gegner können geübte Spieler abschätzen, welche feindliche Aktion die nächste sein könnte und sich entsprechend vorbereiten. Die Kontrolle über das Spielfeld verhält sich ähnlich wie Schach: Man sichert durch bestimmte Bewegungen Bereiche des Spielfelds; greift der Gegner in diesem Bereich an, so erwidert man mit Angriffen, die diesen Bereich abdecken. Natürlich findet das alles nicht rundenbasiert in einem Park mit alten Leuten statt, sondern mit der gewohnten Arcade-Rasanz. Die Situationen ändern sich im Sekundentakt.

Divekick bietet die Spannung und die Taktiken seiner vollwertigen Brüder als Destillat an, ohne das man einen teuren Arcadestick kaufen muss, stundenlang das Muskelgedächtnis zu trainieren hat oder gar Matchups büffeln müsste. Es hilft dabei auf spielerische Weise, eines der Kernelemente von Kampfspielen zu verstehen und dabei ist es erstaunlich, wie intensiv das Spiel sein kann. Durch Instant-Death — die Energieleisten sind nämlich rein kosmetischer Natur — bekommt das Spiel den buchstäblichen Extrakick. Wer wild durch die Gegend springt, wird von Leuten mit größerer Spielerfahrung genauso zusammengetreten, wie man das auch aus anderen Spielen gewohnt ist. Der Nervenkitzel ist in Divekick dabei aber noch etwas höher, da eine falsche Positionierung, ein verfrühter oder eben auch verspäteter Angriff unweigerlich und sofort das K.O. zur Folge hat. Es ist, als würde das Spiel schreien: “Wenn dein Gegner aufgepasst hat, bist du fällig!” Dennoch lassen sich auch in den kurzen Runden (fünf Stück, je 20 Sekunden) gewisse Verhaltensweisen des Gegenübers analysieren und in die eigene Strategie integrieren, sofern man nur gut genug aufpasst.

Wer die Grundlagen des divekicking verstanden hat, kann direkt mit den Gems, Kickfactor, Headshots und Super-Specials weitermachen. Die aus Street Fighter X Tekken bekannten Gems ändern minimal die Timings oder Stärke von Dive und Kick oder erlauben es, schneller Meter zu generieren. Meter wiederum wird benötigt, um den Kickfactor zu aktivieren. Dies ist ein temporärer Zustand, bei dem sich die Werte für Dive und Kick drastisch erhöhen, wobei auch die eigene Geschwindigkeit angehoben wird. Bei einigen Charakteren verändert sich sogar die Beschaffenheit des Kicks oder sie erhalten komplett neue Fähigkeiten. Man kann den Feind natürlich auch aus dem Kickfactor treten, ein verpasster Headshot ist allerdings noch besser — denn diese Treffer schwächen das Gegenüber für einen begrenzten Zeitraum –, da sie den besten Zeitpunkt für ein zünftiges Kickgewitter darstellen. Selbstverständlich verfügt jeder Kämpfer über ein Superspecial, das mittels Dive + Kick abgerufen werden kann und dabei situationsbedingt mal mehr und mal weniger nützlich ausfällt.

Durch diese Mechaniken erhält Divekick seinen eigenen, richtigen Spielwitz. Gerade beim Kickfactor macht es manchmal Sinn, erstmal Meter aufzubauen, bevor man sich dem Gegner zuwendet, da dieser Zustand solange anhält, bis man entweder vom Gegner dabei gestört wird oder eben das angesammelte Meter ausläuft.

Ich fasse zusammen: Divekick ist ein faszinierendes Spielchen. Durch die simplen Eingaben taugt es prima für bierselige Feierlichkeiten mit Menschen, denen Kampfspiele zu anstrengend, zu kompliziert oder zu unübersichtlich sind. Für diejenigen, die mehr wollen, bietet das Spiel genug Mechanik, um für spannende, ernsthafte Wettkämpfe zu sorgen. Das nebenbei spielerisch vermittelt wird, wie sich Profis fühlen müssen, sobald man das gesamte Bewegungsspektrum der eigenen Figur immer abrufbar hat, dieses dazu noch gezielt ausführen kann und sich so das Spielprinzip vom Kampf gegen die Steuerung hin zu einem “Prügel-Schach” entwickelt, ist das wirklich Geniale an Divekick. Der große Reiz liegt dann in der Vorausprophezeiung des nächsten Schrittes des Gegners, kleine und große Finten enden vielleicht in einer unüberlegten Reaktion. Es ist (an)spannend und kann sofort in Frustration oder große Freude umschlagen. Echte Gefühle in super-komprimierter Form. Dass es sich obendrein auch noch flott spielt, vermutlich auf einem Toaster läuft und ein sehr solides Online-Matchmaking bietet, ist dann wirklich das Sahnehäubchen.


Es handelt sich hierbei um einen Gastartikel von Maik „Aulbath“ Wiechmann. Er bloggt für Shodannews und twittert unter dem Pseudonym @InsertDiskII.