Emily Is Away: Der Friendzone-Simulator

Emily Is Away

Es ist schon kurios: Eigentlich würde man meinen, dass die moderne Nostalgie keine blinden Flecken kennt. Der Mensch liebt es einfach, sperrigen Dingen aus seiner Vergangenheit eine romantische Bedeutung zu verleihen – sei sie noch so absurd. Trotzdem scheinen wir von den sterilen Retina-Oberflächen moderner Anwendungen derart geblendet zu sein, dass wir deren ästhetische Vergangenheit fast völlig ausblenden. Denn während heutzutage selbst ein Nokia 3210 zum seligen Relikt der Vergangenheit werden darf (“Snake! Die Akkulaufzeit! Bla!”), würden vermutlich nur Wenige auf die Idee kommen, den Blick noch einmal melancholisch über die Benutzeroberflächen von Winamp oder ICQ schweifen zu lassen. Klingt ja auch etwas… schräg? Doch Kyle Seeley macht genau das und rekapituliert mit einem anrührenden Textadventure im anachronistischen Messenger-Look eine Zeit vor hochauflösenden Touchscreens und persistenter Online-Aktivität. Eine Zeit, in der die App noch Anwendung hieß, wie der Nostalgiker (oder dein Deutschlehrer) sagen würde.

Die Geschichte, die Kyle Seeley über dieses ungewöhnliche Format erzählt, ist eine Geschichte der Adoleszenz und Entfremdung. Eine Erfahrung, wie sie vermutlich jeder irgendwann mal durchlebt hat: Freunde kommen, Freunde gehen. Das macht Emily Is Away sehr zugänglich, bewahrt aber auch nur selten vor Allgemeinplätzen. Ich melde mich also im Jahr 2002 auf einem pixeligen, verdächtig an den AIM erinnernden Instant-Messenger an und beginne mit Emily zu chatten. Es ist das Abschlussjahr der High School, es geht um Zukunftspläne, Dates und Partys. Und es knistert. Doch schon kurz nach dem ich per Multiple-Choice verraten habe, dass ich an einer Kunsthochschule angenommen wurde und von Coldplay eher nicht so viel halte, wird klar, dass ich bis zum Hals in der sogenannten »Friendzone« stecke. Leider öde: Von der sexistisch betonten Interpretation dieses Begriffes distanziert sich Kyle Seeney kaum. Die möglichst stereotype Deutung verlangt es nun einmal, dass der missverstandene Mr. Nice Guy seine starke Schulter zeigt, wenn die wankelmütige Dame seines Herzens mal wieder von irgendeinem Jerk versetzt wurde. Schon klar, denke ich mir, wähle weiter aus den vorgegebenen Antworten aus und muss wahllos in die Tasten hauen, um die bevorzugte Antwort in das monochrome Textfeld zu zaubern. Immersion und so.

emily

Emily Is Away ist in seiner beiläufigen, funktionalen Ästhetik schnell zu übersehen, steckt aber voller liebenswerter Details. Ich wähle Profilbilder aus, stelle meine Satzkonstruktionen eitel um und lausche dem aufdringlichen Stakkato grau-vergilbter Nachkriegs-Tastaturen. Und Emily? Nun, Emily ist tatsächlich recht sympathisch. Schnell wird klar, dass ich mehr aus dieser Freundschaft machen soll. Die Anreize und Motive dafür sind in ihrer simplen Multiple-Choice-Natur allerdings schnell durchschaut.


Spoiler Wenn etwa die Entscheidung für ein wenig Bier an unserem gemeinsamen Wochenende automatisch zu einer peinlichen Bettgeschichte und jeder Menge Probleme führt, dann ist das schon ein wenig, nun, “einfach”.


Nichtsdestrotz interessiere ich mich für Emily, probiere sie mit provokanten Fragen aus der Reserve zu locken und mit tröstenden Worten aufzuheitern. Es gibt diverse Wege und Abzweigungen, die mich nach etwa einer Stunde in das Jahr 2005 führen. Dort erwartet mich dann entweder ein Happy End oder die ewige Einsamkeit. So weit, so okay. Wäre da nicht ein simpler, aber äußerst effektiver Gameplay-Twist, über den man am Ende stolpern kann und der einem erschreckend viel über einen selbst verrät. Hier spielt Emily Is Away sein unkonventionelles Format noch einmal voll aus und stößt wirklich zum Nachdenken an. Was bleibt, ist eine charmante Reflexion zwischenmenschlicher Unsicherheiten, die vor allem über ihre eigenwillige und liebenswerte Präsentation gewinnt.

Oh Emily, oh Emily, I get jealous.
We’re not holding hands,
Kissing behind the stand,
Cause I need romance.

– Shocking Pinks »Emily«