Grayout: Wie war noch Ihr Name?
Neven Mrgan pflegt ein seltsames Faible für betont unbehagliche Gameplay-Konzepte. Mit Blackbar konstruierte der Entwickler und Blogger aus Portland eine interaktive Erzählung um die Folgen der politisch motivierten Zensur. Ein Experiment, das die Betrachterinnen und Betrachter äußerst lebendig mit den potentiellen Auswirkungen solcher Praktiken konfrontierte. Grayout ist als Prequel in dem gleichen, totalitären Universum wie Blackbar angesiedelt und teilt sich dementsprechend auch dessen dystopische Vision. Während einen im Vorgänger die titelgebenden Zensurbalken als Kernelement der Puzzle-Mechanik in den Wahnsinn trieben, ist es nun die Aphasie – eine durch Hirnschäden bedingte Störung des Sprachzentrums, die selbst einfachste Satzkonstruktionen zu unüberwindbaren Hürden werden lässt.
»Hello Alaine, Can you hear me?«, werde ich zu Beginn des Spiels gefragt und möchte mich natürlich prompt nach der Sachlage erkundigen, denn Informationen sind zunächst, nun ja, eigentlich gar nicht vorhanden. Doch statt bequem in klassischer Adventure-Manier zwischen einigen Dialog-Optionen auswählen zu können, kreisen in meinem offensichtlich schwer geschädigten Kopf lediglich ein paar assoziative Wortkonstrukte, aus denen es eine sinnstiftende Antwort zu bilden gilt. Es stellt sich heraus, dass die Stimme einem gewissen Dr. Groznik gehört, der sich als mein behandelnder Arzt vorstellt. Die Aphasie soll ich einem Unfall zu verdanken haben, der nicht nur mein Sprachzentrum in Mitleidenschaft gezogen hat, sondern auch mein Erinnerungsvermögen.
Während die Verständigung mit Dr. Groznik zu Beginn noch einigermaßen Intuitiv von der Hand geht, wird die Interaktion mit zunehmenden Spielverlauf immer anspruchsvoller und komplexer. Denn als mein Arzt lässt Groznik natürlich nichts unversucht, um mein Kommunikationsvermögen zumindest einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Doch dass Medikamente mit Namen wie Aurazepam oder Semantital gewisse Nebenwirkungen mit sich bringen, kann man sich vielleicht denken. Die anfangs noch spielerisch motivierende Suche nach dem korrekten Satzbau wird so immer quälender und frustrierender. Worte sind plötzlich nicht mehr korrekt buchstabiert, führen auf falsche Fährten oder ergeben plötzlich überhaupt keinen Sinn mehr. Das verzweifelte Chaos im Kopf der Protagonistin wird plötzlich zu meinem ganz persönlichen Dilemma, wenn ich mit zunehmender Ungeduld probiere, endlich die richtigen Worte zu finden. Spaß macht das nicht immer. Das soll es vermutlich auch gar nicht. Dafür gelingt es Grayout mit diesem Kniff hervorragend, ein Gefühl der Empathie zu beschwören. Ich kann die verzweifelte Wut der leidenden Protagonistin schmerzlich nachvollziehen.
Der Sinn für Empathie steht bei Grayout im krassen Gegensatz zu der kühlen und minimalistischen Präsentation, die lediglich aus Worten und Farben besteht. Das mutet auf den ersten Blick nur wenig einladend an, wird durch den cleveren Einsatz der Musik aber interessant gelöst. Der Soundtrack des Spiels ist nämlich der einzige Indikator, der dem Spieler die aktuelle Stimmung vermittelt. Und das funktioniert verdammt gut, nicht zuletzt dank der atmosphärischen Kompositionen, die in ihrer betont artifiziellen Umsetzung oft an die Soundtrack-Arbeiten von John Carpenter erinnern.
Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich andeute, dass in Grayout nichts so ist, wie es anfangs scheint. Viel mehr würde ich allerdings gar nicht verraten wollen, auch wenn selbst die Inhaltsangabe im App Store mehr Details über die Handlung preisgibt. Die Prämisse, möglichst unvoreingenommen an ein Spiel zu gehen, mag für so gut wie jeden Titel gelten. In Grayout kann man sich ohne Vorwissen aber tatsächlich eine interessante Wendung erhalten und sich davon abgesehen ohnehin viel besser mit der ja immerhin unter Amnesie leidenden Protagonistin identifizieren. Nur so viel sei gesagt: Die Handlung steht der cleveren Spielmechanik in nichts nach und knüpft nahtlos an die großen Themenkomplexe von Blackbar an. Es geht um Freiheit, Totalitarismus und die Macht der Sprache. Das mag prätentiös klingen, ist es in seiner Umsetzung aber glücklicherweise überhaupt nicht. Dafür ist dieser Titel ein verblüffendes Lehrstück für die Erzielung der maximalen Wirkung bei minimalen Mitteln.