Die Schattenseiten des Abenteurerdaseins.
Ich war im Krieg und sah eben noch lebendige Körper durch die Luft fliegen. Ich habe mich in der radioaktiv verseuchten Wüste von herumliegenden Leichen ernährt und hunderte Male verwundete Gliedmaßen wieder zusammengeflickt, unzählige Autounfälle erlebt und steckte dutzende Male in unfreundlichen Verliesen mit abscheulichen Monstrositäten fest. Dass ich dennoch nachts ruhig schlafen kann, liegt daran, dass all diese Erlebnisse nicht real waren. Ich bereiste lediglich virtuell Orte, von denen in der Realität kaum ein Mensch psychisch unbelastet zurückgekehrt wäre. Ich behielt die Kontrolle. Ein Soldat auf dem Battlefield dreht schließlich nicht mitten im Kampfgeschehen durch oder liegt heulend im Graben und weigert sich weiterzukämpfen. Er funktioniert, damit das Spiel funktionieren kann. Darum ist es umso bemerkenswerter, dass das Roguelike-Rollenspiel Darkest Dungeon mit dieser Tradition bricht und die so oft verschwiegenen Schattenseiten des Abenteurerdaseins zu seiner Kernmechanik erklärt.
“Dunkelheit kann man nicht sehen. Sie ist.” (Erhard Blanck)
Im Prinzip sagt es der Name schon aus, der nicht umsonst den Superlativ bemüht: die Dunkelheit ist hier omnipräsent. Sie unterdrückt die Stadt, in der man seinen Expeditionstrupp rekrutiert, sie dringt aus den Verliesen, in die einen die Abenteuerlust führt und sie umweht die Köpfe der Möchtegernhelden, die, halb tot, halb lebendig, aus diesen wieder emporkriechen. Zuvor noch hochmotiviert und auf der Suche nach Nervenkitzel, kommen sie schließlich nach Hause und sind nicht mehr dieselben, gezeichnet vom Schrecken, der ihnen begegnet ist. Keine glorreichen Sieger, nur Überlebende. Denn schon als sie dort unten waren, gab es wenig Heldenhaftes zu beobachten. Ein verängstigtes Gruppenmitglied verbreitete nach dem Auslösen einer Falle ein ansteckendes Gefühl von Panik, andere begannen in ihrer Verzweiflung sich selbst zu verletzen, ergaben sich höheren Mächten und lehnten jedwede angebotene Hilfeleistung ab. Als Mensch vor dem Bildschirm verliere ich in solchen Momenten zunehmend die Kontrolle über meine Spielfiguren. Ihr Stress überträgt sich schleichend auf mich, doch nur bedingt, weil ich während der rundenbasierten Kämpfe meine verbleibenden Optionen überdenken kann. Das Licht wird schwächer und mit ihm die Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang. Doch wenn es der Kreuzritter nach einem schweren Treffer ablehnt, weiter zu funktionieren, fängt Darkest Dungeon erst damit an.
“The way is lit. The path is clear. We require only the strength to follow it.”
Unter seinen oberflächlichen Rollenspielmechaniken, wie dem Erlernen von Fertigkeiten, dem Streben nach besserer Ausrüstung und das Abarbeiten von Aufgaben, liegt der unterschwellige Reiz des Spiels nämlich vor allem in der Überwindung seiner Hoffnungs- und Trostlosigkeit. Mögen die körperlichen Narben bei der Rückkehr in die sichere Stadt schnell verheilen, die gebrochene Psyche meiner Gruppe hallt länger nach. Die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten von posttraumatischen Belastungsstörungen erscheinen dabei, dem Rahmen des Spiels entsprechend, ziemlich mittelalterlich, doch haben sie bei näherer Betrachtung eine erschreckende Aktualität. Der eine sucht Halt in seinem Glauben, andere schauen mehrfach zu tief ins Glas, werden glückspielsüchtig oder suchen Ablenkung in bedeutungslosem Geschlechtsverkehr mit Prostituierten. Manche erholen sich dabei schneller, manche langsamer und manchmal auch einer gar nicht mehr. Ähnliche Schicksale kennt man ebenso von Heimkehrern aus aktuellen Kriegsgebieten.
An dieser Stelle wird einem schließlich wieder bewusst, dass Darkest Dungeon auch nur ein Spiel ist, das funktionieren soll. Denn mit genügend Gold lassen sich negative Charaktereigenschaften, wie Masochismus oder Paranoia, ein wenig zu einfach wieder ausradieren und selbst der angesammelte Mut nach besonderen Erfolgserlebnissen ist nach der nächsten Rast wieder verschwunden. Dass man sich seine geistige Unversehrtheit einfach zurückkaufen kann, fühlt sich einerseits falsch an, andererseits möchte man mit dem Titel sicher nicht nur die Leserinnen und Leser der Psychologie Heute ansprechen. So bleibt es zwar ein oberflächliches Feature, dessen wahre Tiefe zu ergründen jedoch wahrscheinlich nicht zu solch einem, trotz aller Schwere, hervorragend spielbaren Ergebnis geführt hätte. Und wer weiß, vielleicht finden die Entwickler während der laufenden “Early Access”–Phase noch einen galanteren Weg, Gameplay und Konsequenz miteinander in Einklang zu bringen. Und falls nicht, zeigt der Titel dennoch bereits jetzt sehr eindrucksvoll, dass der dunkelste Ort bisweilen die eigene Gedankenwelt sein kann.
2 Kommentare zu “Darkest Dungeon: Gebrochene Helden”
Kommentieren
Schöner Artikel! Wie steht es den um den Schwierigkeitsgrad? Ich neige generell gerne dazu Spiele zu kaufen diese aber nach Minuten wieder aus zu machen wenn ich nicht vorwärts komme. Bestes Beispiel ist leider “Gods will be watching” bei dem ich nicht einmal den ersten Raum schaffte und dann entnervt aufgegeben habe.
Es spielt sich ein wenig wie XCOM, falls dir das zur Einordnung vielleicht hilft. Das heißt, du rekrutierst dir in der Stadt ein paar Söldner, die verschiedene Klassen haben, stellst dir daraus einen bis zu 4 Mann starken Trupp für einen der verfügbaren Aufträge zusammen und kannst nach erfolgreichem Abschluss von der Beute bestimmte Dinge in der Stadt und bei den Söldnern verbessern. Wie schwer das Ganze wird, variiert glaube ich sehr stark von Spieler zu Spieler, da neben der angezeigten Schwierigkeit der Mission und guter Planung auch der Zufall und Glück eine spürbare Rolle spielen. Wenn man drei Mal hinternander eine 90%ige Trefferchance versemmelt, verbrennt man hinterher schnell mal sein altes Stochastik-Nachschlagewerk.
Ich selbst bin jetzt kein Genreprofi, komme aber sehr gut zurecht. Und sobald man die Stadt ein wenig ausgebaut hat, wird es auch eher einfacher als schwerer, da einem genug Ressourcen und Söldner zur Verfügung stehen, um auch mal eine abgebrochene oder gar fehlgeschlagene Mission zu verkraften.