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Der Berg ruft: Mountain

Mountain

Menschen entspannen sich auf die unterschiedlichsten Arten. Manche flanieren durch Wälder, andere am Strand entlang. Wieder andere lauschen dem Rauschen des Meeres nicht in dessen Gegenwart, sondern vor dem heimischen Tonträgerabspielgerät. Und einige, ja einige, beobachten schwebende Berge, um zeitweise ihrem hektischen Arbeitsalltag zu entfliehen.

Mountain bietet genau diese Form der Zerstreuung. Mittlerweile berichten allerorten begeisterte Nutzer_innen der Ambient-App von ihren Bergen und gelegentlich zeichnet sich dabei eine Emotionalität ab, von der man dachte, dass sie sich zu einem Geröllhaufen nur schwerlich aufbauen ließe. Allerdings wird diese Verbundenheit auch von dem Programm selbst auf mannigfaltige Weise gefördert. Nach der Aufforderung, zwei Zeichnungen zu variierenden Stichworten oder Fragen zu erstellen, wird der höchsteigene und –individuelle Berg basierend auf diesen Eingaben generiert. Form, Vegetation und gelegentlich mit dem freischwebenden Berg kollidierende Objekte sind, ebenso wie die auftretenden Wetterphänomene, gleichermaßen zufallsabhängig, und so ähnelt kein Stein dem anderen.

Gleiches gilt für die gelegentlich aufkeimenden Gedanken der melancholischen Klumpen, die durch ein akustisches Signal angekündigt und daraufhin in Textform eingeblendet werden. Interaktionsmöglichkeiten gibt es, abgesehen von Perspektivänderungen per Mauseingabe, zunächst so gut wie keine – nur durch die Betätigung der Tastatur, über die sich Klavierklänge erzeugen lassen, kann die vorherrschende Stille mit der einen oder anderen zarten Waise durchdrungen werden. Dabei jedoch bleibt es nicht, denn wie sich zeigt, beeinflussen manche Takt- oder Tonkonstellationen das Geschehen maßgeblich und lassen zum Beispiel die Zeit schneller vergehen oder den Berg prompt von einem regenbogenfarbenen Oktaeder in Stücke reißen, wie im Falle meines nunmehr verschiedenen Zöglings.

Das übrige Schaffen des Entwicklers und hauptberuflichen Animationskünstlers David O’Reilly, der erstmalig durch die Konzeption eines fiktiven Videospiels für Spike Jonzes Film Her mit dem Medium in Berührung kam, lässt durchaus vermuten, dass Mountain noch mehr solcher verborgenen Funktionen und Merkwürdigkeiten bereithält. Würden den massiven Protagonisten urplötzlich Stielbeine wachsen, es wäre nicht weiter verwunderlich, und so ist das spannendste an dieser Erfahrung der ständige Wunsch, Neues zu entdecken, auch über den Austausch mit anderen Menschen. Dennoch kann diese überraschende Spieltiefe ebenso ignoriert, die virtuelle Schneekugel mit dem Berg in ihrer Mitte einfach nur andächtig beobachtet werden. Ob sie dann und wann geschüttelt wird, bleibt letztlich jedem selbst überlassen.

10 Kommentare zu “Der Berg ruft: Mountain”

  1. Fabu
    1

    Visuell ansprechend und im Grunde ja auch fast geschenkt, aber … puh, mehr als ein 3D-Bildschirmschoner ist es dann doch irgendwie nicht. Die Lobreden auf RPS, Kill Screen und Konsorten kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ein schickes und nettes Experiment, ja, aber mehr sehe ich in “Mountain” nicht.

    • Regenherz
      2

      Das muss es ja auch gar nicht sein. Wir müssen Alle ein wenig von diesem Gedanken wegkommen, dass es ein standard Set an Merkmalen für diese Art von Spiel gibt, bzw. mehrer Archetypen, denen neuere digitale Erfahrungen nahe kommen müssen, oder die sie subversieren müssen, um Anerkennung zu erfahren.

      Es muss nicht mehr als ein Experiment sein, bzw. es ist eigentlich auch nur es selbst und nicht irgendeine irre Revolution des Kanons. Das darf man auch langweilig finden, nur eben nicht als Bildschirmschoner oder Experiment herabwerten (was du ja nicht unbedingt getan hast, aber es hört sich im generellen Diskurs immer ein bischen so an). Die Suche nach ‘Mehr’ führt ins Leere und lässt Erfahrungen, die eben ein bischen anders sind auf der Strecke zurück.

  2. Walt
    3

    Ist doch schon Indie?

    • Fury
      4

      Oh Mann, auf der rechten Seite steht doch der “Indie” Tag. Nur der “Keypressed Audio-Visual Feedback Application” fehlt.

  3. Lars
    5

    Gleich zu Beginn kollidierte eine Mülltonne mit dem Gipfel meines Berges. Er heisst jetzt Mt Trashmore.

    Ist es eine bewusste Entscheidung gewesen keine Aquaristik-Vergleiche in diesen Artikel zu schreiben?

    • Nina Kiel
      6

      Dafür fehlte mir einfach die Erfahrung. Ich liebäugelte stattdessen kurzzeitig mit einem Stabschrecken-Terrarium-Vergleich, nahm aber an, dass meine verschriftlichten Erlebnisberichte im Umgang mit watschelnden Ästen eher keine Begeisterungsstürme hervorrufen würden, und entschied mich dagegen.

  4. Lee
    7

    Kommt es für Android, weiss man da was?

    • Nina Kiel
      8

      Bisher scheinen leider keine entsprechenden Pläne zu existieren (oder zumindest noch nicht publik gemacht worden zu sein).

  5. Michael Herzog (@senorkaffee)
    9

    Mountain geht für mich schon in die Richtung eines futuristischen Spielzeugs. Ich kann mir so richtig ein kleines Gerät vorstellen, über dem sich ein holografischer Berg vor sich hin dreht, mit ein paar Tasten links und rechts um Töne zu erzeugen und vielleicht einer Weckerfunktion. Ab und zu macht es mal ein Geräusch und man blickt von seiner Arbeit auf. Morgens gibt es einen flotten computergenerierten Motivationsspruch.

    Wer mir auf Twitter folgt hat vielleicht die kleine Geschichte gesehen, die ich um meinen letzten Mountain gesponnen hatte. Sie drehte sich um den verbitterten Berggott, in dessen Dunstkreis zwei Pferdebrüder (Horse und Horse Brother) geraten sind. Horse überlebte, musste aber Horse Brother am Fuß der Schädelhöhe begraben (das zweite Pferd war kopfüber im Mountain gelandet, es ware nur Füße zu sehen). Nach einem Neustart des Rechners war Horse Brother auf einmal wieder richtig ausgerichtet, was zu einer Wiederauferstehungsgeschichte wurde. Ein vorbeitrudelndes Flugzeug erzählte mir, dass die Pferdebrüder zum Berg gebetet hatten, damit sie wieder nach Hause konnten. Doch der Berg verspottete sie nur, weil er wusste, dass er dann wieder in bitterer Einsamkeit leben würde. Die Dunkelheit zerstörte den Berg dann, als ein gigantischer Block aus der Hölle den Berg von innen zerriss. Game Over.

    Gibt es irgendwo einen Guide welche Lieder den Berg beeinflussen? Das wäre doch mal interessant.

    • Nina Kiel
      10

      “Gibt es irgendwo einen Guide welche Lieder den Berg beeinflussen? Das wäre doch mal interessant.”

      David O’Reilly hat einige, wenige Tastenkombinationen auf der Facebookseite zum Spiel und per Twitter veröffentlicht, ansonsten tauchen sie nur hier und da in Rezensionen auf. Eine richtige Liste ist mir bisher noch nicht untergekommen.

3 Trackbacks zu “Der Berg ruft: Mountain”

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