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Ludum Dare #23 – Reportage Teil 1/7

Ludum Dare #23 - Reportage

Ludum Dare #23 – Reportage Teil 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7

Gegrüßt seid ihr, Leserschaft von Superlevel!

Ich möchte mich kurz vorstellen: Mein Name ist Sebastian, ich habe von 2008 bis 2011 Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis studiert und studiere nun Inszenierung der Künste und Medien. Bedingt durch die langwährende Vorliebe für das digitale Spiel wurden so gerade die Game Studies zu meinem persönlichen Steckenpferd. Daher schreibe ich wissenschaftliche Publikationen über Computerspiele und bin im Ressort ‘Digitale Spiele‘ des TITEL-Magazins als Autor tätig.

So kommt auch dieses Feature zustande. Für Superlevel werde ich innerhalb der nächsten Woche sämtliche 1.402 Spiele der Ludum Dare #23 testen, um euch einen Überblick über innovatives Gameplay, wundervolle Atmosphären und auserlesener, digitaler Unterhaltung anzubieten.

Ins Leben wurde das Ludum Dare – ein Ereignis, an dem sich ein Wochenende lang alles nur um Spieleentwicklung dreht – im April 2002 von Geoff Howland. Allerdings geht es nicht etwa um die Ansammlung einiger miteinander lose verknüpfter Game Development Workshops in den Vereinigten Staaten, sondern um ein globales Event, einen produktiven und freundlichen Wettstreit. Alle TeilnehmerInnen entwickeln dabei ein Spiel zu einem gemeinsam ausgewählten Thema; dieses Jahr: Tiny World. Dabei stehen die EntwicklerInnen unter Zeitdruck. Im Jam-Modus bekommen Teams 72 Stunden Zeit, im Competition-Modus muss das Spiel von einer Einzelperson in 48 Stunden entwickelt werden. Dieses Jahr sind insgesamt 1.402 Spiele entstanden.

Innerhalb dieser Reportage werden sieben Beiträge entstehen, die von jeweils 200 Spielen besondere Exemplare hervorheben. Dabei werden ablesbare Tendenzen in der Spieleentwicklung mitbehandelt und umschrieben.


Atmosphäre des Minimalismus

Download Incomplete
(Download Incomplete)

Besonders markant erscheint in den ersten 200 Spielen die Wahl der Spielfiguren und -umgebung. Häufig begibt man sich in die Rolle einer Mini-, Mikro- oder sogar Nano-Gestalt. Beliebt sind Ameisen oder Spinnen, Bakterien und Zellen, einzelne Pixel, Nano-Roboter oder auch Quark-Teilchen. Ein weiteres beliebtes Mittel ist jedoch auch die Umkehrung, indem man einen Giganten in einer subjektiv winzig scheinenden Welt spielt oder als Planet im unendlichen Weltraum. Doch nicht nur diese Grundsatzentscheidungen werden von dem Motto der kleinen Welt auf die Spitze getrieben; es lässt sich auch eine Neigung zum grafischen Minimalismus erkennen.

Dem Pixelgame mitsamt seiner Retrografik begegnet man ständig, oft auch im Kontrast zum eigentlichen Genre. Sci-Fi-Pixelgames sind keine Seltenheit: So soll man beispielsweise in Download Incomplete als Geist in der Maschine mit einem Jetpack ausgestattet die letzten fehlenden Bytes eines Downloads zusammensuchen. Der Puzzle-Plattformer Millinaut geht sogar noch weiter, indem es mit anthropomorphisierten Feindobjekten wie erbost reinblickenden Sternen und aggressiven Sonnen wieder an die Schulzeit mit dem weißen GameBoy in der Hand zurückerinnert. Erlesene Pixelgrafik mit Schwarz-, Weiß- und Grautönen mitsamt passender dö-dö-dö-dööö-Musik. Aber Millinauts Äußeres kann nicht von dem komplexen und guten Rätseldesign ablenken. So spielt man eine Dreiergruppe, die aus den Miniversionen eines Astronauten, seiner Rakete und dem Mond besteht. Diese sind aufeinander gestapelt. Der Astronaut als unterster Part bewegt sich für die gesamte Gruppe, indem er für sie springt und geht. Dabei kann er die Rakete oder den Mond auch einfach mitten in der Luft fixieren und sie als Treppenelement zum Aufstieg benutzen. Möglich ist es aber auch, sie auf Kommando nach oben fliegen (die Rakete) oder unten fallen (der Mond) zu lassen, wodurch man Gegner besiegt oder Flächen zugänglich werden. Danach sind alle drei wieder als Gruppe vereint.

Millinaut
(Millinaut)

Millinaut wird dadurch zu etwas Besonderem, dass es die Fähigkeiten der Bewegung und die Bekämpfung der feindlichen Umgebung in zwei einzelne aufsplittet, wobei die Kampffähigkeit sogar nochmal durch die Rakete und den Mond getrennt wird. Dadurch wurde mit einer häufig anzutrefenden Konvention gebrochen, die eigentlich nichts Zwangsläufiges darstellt: Die Verschmelzung sämtlicher für das Spiel notwendiger Fähigkeiten in einer Person. Dieser Bruch mit Konventionen solcher Art führt zu einer besonderen Ästhetik, einer Atmosphäre des Minimalismus. Wir werden uns der einzelnen Elemente wieder bewusst, alles wird in seine Einzelteile dekonstruiert. Noch interessanter wird es allerdings, wenn die Narration eines Spiels deutlich von dem Spiel selbst abgekoppelt wird.

Ein optimales Beispiel dafür ist Acari love. Hier unterstützt man die Milbe Bernardo in einem hektischen Shooter-Gemetzel gegen andere, größere Zellmonster; dabei läuft eine schnelle, druckaufbauende Musik. Das klingt nicht nach Minimalismus, ist es aber auf zwei Ebenen doch. Zum einen schießt Bernardo nämlich von selbst, die SpielerInnen lenken ihn während des Kampfes nur (und können, wenn sie Bomben einsammeln, diese per Klick mit der linken Maustaste explodieren lassen) – das Gameplay ist damit allein auf die Maussteuerung ausgerichtet. Der andere, viel wichtige Punkt ist jedoch, wie das Spiel mit sich selbst bricht. So wird die Musik nach jedem neuen Sieg schlagartig leiser und langsamer, es ist nur noch weiße Schrift auf schwarzem Grund zu sehen, in der Bernardo seine wirklich tragische Geschichte erzählt: Vom Tod seiner Schwester und von dem Kampf um seine einzige Liebe. Diese Erzählung mag aberwitzig und idiotisch wirken, wenn man bedenkt, dass Bernardo ja eine Milbe in einer Matratze ist, aber das tut in diesem Moment einfach nichts zur Sache. Der Programmierer mit dem Pseudonym SergioAwoke versteht es, die Sprache einzusetzen. So heißt es nicht etwa „Oh damn, these stupid humans killed my sis with an anti-mite-spray! >:(“, sondern einfach nur: „My sister died last night.“ Acari love hat es geschafft, dass ich für zwei oder drei Minuten niedergeschlagen war. Es hat mich vielleicht nur kurz, aber dafür ernsthaft berührt; ernsthafter als die meisten Rollenspiele unserer Zeit. Das ist gar nicht so leicht.


Reduktion der Spielmechanik als Mehrwert des Spiels

Pow! Pow! Pow!
(Pow! Pow! Pow!)

Ludum Dare #23 entpuppt sich bisher als eine Pilgerstätte minimalistisch gesinnter ProgrammiererInnen, sowohl auf grafischer wie atmosphärischer Ebene. Spannend wird es aber auch dann, wenn erfolgreich die Spielmechanik komplett auf eine aktive Handlungsmöglichkeit reduziert wird, die aber verschiedene Funktionen einnimmt.

Schießt zum Beispiel das kleine blaue Alien aus Pow! Pow! Pow! seine Energiebälle ab, so dienen diese nicht nur der Eliminierung von Feinden, sondern auch zur Einflussnahme auf die gesamte Umgebung. So können riesige, aus dem Boden hervorragende Metallspitzen nach ein paar Schüssen bequem übersprungen werden. Es gibt jedoch auch Umgebungselemente, die nach der Verkleinerung stufenweise wieder in ihre Originalgröße übergehen: So kann man, nachdem man die herumstehenden Zusammensetzungen von gigantischen Dreiecken mit lila Blubberzuckerguß minimiert hat, sich auf diese stellen. Während diese urplötzlich wieder ihre volle Größe einnehmen, wird die Spielfigur geradezu hinweggeschleudert, was sich als wichtige Denkstrategie erweist. Eine einzige Handlungsmöglichkeit, aber drei Funktionen – das ist sehr ergiebig.

gravity

Das Spiel gravity verhält sich ähnlich. Als gelber Würfel auf einer kleinen Insel, die nur geringfügig über einen tödlichen Lavasee schwebt, schießt man von oben herniederprasselnde rote Würfel ab. Damit hat man zwar das vorzeitige Spielende abgewehrt, aber begibt sich in eine noch viel größere Gefahr. Denn die Feinde lösen sich nicht etwa auf einmal in Luft auf, sondern fallen als erstarrte, schwere Klötze auf die Insel herab. Die Fläche wird zusätzlich belastet und – falls die SpielerInnen nicht die leblosen Figuren von der Insel schubsen – stürzt mitten hinein in die Lava. Die Reduktion der Spielmechanik erweist sich dabei als ein spieltechnischer Mehrwert, da es auf einmal weitere neue Faktoren zu berücksichtigen gibt. Neue, parallel zu bewältigende Herausforderungen tauchen auf.



Super Meat Boy in neuen Gewändern

Tiny Quest

Eine weitere Tendenz, die sich bisher bei Ludum Dare #23 gezeigt hat, ist die Hommage an frühere Kultformate oder Computerspielkultur allgemein. So übernimmt das Point’n’Click-Adventure subAtomic nicht nur die Grafik, sondern auch den Humor seiner Genrevertreter aus den 1990er Jahren. Ein anderes Beispiel wäre das eigentlich kurze ‘Adventure’ Tiny Quest, dass sich eines popkulturell bekannten Spieleco… Nein, das verrate ich jetzt nicht. Wer Tiny Quest mal spielen und nicht weiterkommen sollte: Das Bild links dazu ist ein kleiner Hinweis. Aber psssst… Nicht weitersagen!

Besonders sind mir zwei Rip-Offs von Super Meat Boy aufgefallen, die aber beide eigene Vorzüge entwickelt haben. Das eine, Muffin Time!, übernimmt zwar ebenfalls das Entlangspringen an Wänden als ein wichtiges Spieleelement, mischt es aber zugleich mit einem Hauch Inception. Ein muffinvernarrter Alien hat auf einem Raumschiff einen Muffin gestohlen und damit die Selbstzerstörungssequenz eingeleitet. Nun kann es die Sequenz aber nicht einfach abschalten, sondern muss erst die Roboter und Sicherheitsmechanismen lahmlegen. Diese bestehen aber aus mehreren Ebenen, die auch alle erst wieder einzeln für sich zerstört werden müssen. MuffInception sozusagen.

Besser gefiel mir aber das andere Spiel namens Superpixel. Hierbei ähnelt so gut wie alles Super Meat Boy: Die Form der Spielfigur (nunja, es ist eben ein Pixel…), der Super-Titel, die sich drehenden und zerhackenden Raumelemente und natürlich das An-Wände(n)-springen als zentraler Gameplay-Bestandteil. Aber es wirkt nicht einfach wie eine billige Nachahmung des grandiosen Indie Games. Der Programmierer lectvs hat so viel Liebe in das Leveldesign gesteckt: In nur 48 Stunden hat er einen Easy und Hard Mode für seine 21 Level kreiert. Tatsächlich ist der Easy Modus schon sehr herausfordernd und der Hard Modus… …sehr, sehr, sehr hart. Aber es macht Spaß und ist frustrierend – eben wie das Original.

Superpixel
(Superpixel)


Und sonst so?

Ansonsten gibt es morgen den nächsten Beitrag und erstmal noch drei Kurzempfehlungen, die aus den ersten 200 Spielen stammen. Viel Spaß!

Mirror Rays: Weil es ein grandioses, einfaches Spie(ge)lkonzept hat und trotzdem außerordentlich komplexe Rätsel bietet.
Desire: Auf einer 8×8 Felder-Insel muss man Leute so platzieren, dass am besten alle zufrieden sind. Sehr entspanntes Spiel für Zwischendurch.
It’s a tab: Selbsterklärend, oder doch nicht? Es wird empfohlen in Firefox oder Chrome zu spielen.

9 Kommentare zu “Ludum Dare #23 – Reportage Teil 1/7”

  1. Fabu
    1

    Sebastian, du bist vollkommen irre. <3

  2. Sebastian
    2

    Gnahahaha…. Gnahaarhaaar! BWAHAHAHA!
    Huch, Kaffee!

  3. Dennis
    4

    So gut! Danke!

    Und jetzt ab in den Keller, es warten noch 1202 Spiele auf dich, husch husch!

  4. Fabu
    5

    Harhar!

  5. Ronja
    6

    <3

  6. Scheinprobleme
    7

    Super Aktion!

  7. Sebastian
    8

    Ihr macht mich verlegen! o/

  8. Skanico
    9

    1.402 Spiele?
    Na dann… ich wünsche ein fröhliches „Tschüss Welt₺! ;)

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