Ludum Dare #24 – Reportage Teil 8
Gerne sagt man dem Menschen nach, dass er sich dadurch vom Tier unterscheiden würde, da er zivilisiert sei. Der hochgeschätzte Verstand siegte über die niederen Triebe. Der Mensch, die Krönung der Evolution. Ab und an jedoch vermögen es einige Exemplare mit dieser Vorstellung zu brechen.
Mörder bezeichnen wir als Monstren, Kriege als bestialisch, Personen mit einem hohem Sexualpartnerverschleiß als tierisch veranlagt. Wem man die Schuld an diesen ‘Anomalien’ geben kann, ist ganz einfach: Kanada Der Gesellschaft. So liegt es nahe, sich einmal mit der sozialen Evolution auseinanderzusetzen.
– Quelle: Wikipedia
Diese Auseinandersetzung kann aus verschiedenen Perspektiven geschehen. Man kann eine Gesellschaft, welcher Form auch immer, als Ganzes betrachten (oder auch nur ihren Aufbau, wie es ansatzweise in dem empfehlenswerten Aufbauspiel Game of City Life möglich ist. Eine andere Möglichkeit wäre, dass man einzelne Individuen und die Auswirkungen der jeweiligen Gesellschaft auf sie analysiert. Für beide Formen gibt es hervorragende Beispiele innerhalb des 24. Ludum Dares.
So begibt man sich beispielsweise in Promoted! in die Rolle von hochrangigen Angestellten eines x-beliebigen, aber stark gewinnorientierten Unternehmens. Die Maxime der Profitmaximierung durchdringt das gesamte Denken, die niederen Mitarbeiter wirken erschöpft. Wie kann man diese also motivieren? Mit höheren Lohnschecks, mit Bring-deine-Tochter-mit-zur-Arbeit-Tagen oder gar mit freundlichen Vorgesetzten? Unsinn. Gewalt ist die Lösung.
Die Köpfe von schlafenden Angestellten müssen auf die Tasturen geschmettert werden, bis es blutet. Suizide müssen vor Bewerbern geheimgehalten werden, damit sie auch tatsächlich zu neuen Arbeitsressourcen herandressiert werden können. Promoted! bietet damit ein unglaublich konzentriertes und unterhaltsames Gewaltspektakel — aus visueller wie systematischer Perspektive betrachtet. So mag im zweiten Level zwar kein Blut fließen, dennoch wird die Rücksichtslosigkeit und das Wegsehen als ein brutaler Zug der ökonomischen Gesellschaft verdeutlicht. Auch das Nicht-Verhindern von Gewalt bedeutet Gewalt, da es sich als struktureller Zyklus in die Gesellschaft verankern kann.
Schade nur, dass Promoted! zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt ist. Das Entwicklerteam arbeitet jedoch schon energisch an einer vollständigen Version, wie am Freitag versichert wurde. Ich freue mich jetzt schon drauf.
(Strike of Rage ! von deepnight)
Ein ähnliches Szenario herrscht auch im grandiosen Kampf-Spiel Strike of Rage !, das aus einer von mir nicht erwarteten Ecke kommt: Dem Macher des im Ludum Dare #23 entstandenen Point’n'Click-Adventures Memento XII. Ich habe Memento XII absolut vergöttert für seine Tiefgründigkeit und den Erzählstil — dann kommt Strike of Rage ! und haut mir regelrecht in die Fresse.
Die grafische Aufmachung ist immer noch einzigartig virtuos und alles wirkt so sauber spielbar. Doch plötzlich geht es nur um das plumpe Zusammendreschen von Dutzenden Mitangestellten und den UnternehmenschefInnen. Der Grund dafür mag unverhältnismäßig erscheinen: Die Anfrage auf Lohnerhöhung seitens der Hauptfigur John Cash wurde abgelehnt. Aber er rastet komplett aus und verdrischt jede einzelne Person in dem Gebäude — bis er selbst vielleicht irgendwann einmal K.O. geschlagen wird.
Was sagt Strike of Rage ! damit über die Evolution einer Gesellschaft aus? John Cash ist zwar ein Extrem-, aber längst kein Einzelfall. Menschen dürfen in der Analyse der sozialen Evolution nicht als eine Konstante behandelt werden. Die Gesellschaft, betrachtet als eine einzwängende Matrix, wird es als System niemals schaffen, alles und jeden zu kontrollieren. Kein Big Brother dieser Welt darf sich allzu sicher sein, dass nie ein John Cash aufsteht und einen Kurzschluss erleidet. Menschen sind keine Maschinen und werden sich — jeder auf individuelle Weise, vom Suizid bis zum Amoklauf kann hier alles einbezogen werden — immer gegen Gewalt jeder Form wehren.
– Quelle: Charles Darwin
(Parental Guidance von Maple)
Die Gründe für solche Ausbrüche wirken oft seltsam konstruiert. Beliebt sind Argumentationsketten, die sich auf traumatische Ereignisse der TäterInnen gründen. Auch die Protagonistin des gleichnamigen Spiels Martha Z. könnte für so eine Frau gehalten werden: Ängstlich und isoliert. Allerdings wird am Ende auch der Grund dafür klar.
Noch viel eindrucksvoller wird das Thema der Isolation in dem unglaublich atmosphärischen Adventure Parental Guidance bearbeitet. Ein Kleinkind wird alleine in der Wohnung zurückgelassen, da die Eltern anscheinend alleine in den Urlaub fahren wollten. Die gesamte Wohnung verwandelt sich in kürzester Zeit zu einem blutigen Albtraum. Doch das Kind wirkt unglaublich abgestumpft und redet nur von Kleinigkeiten, so wie dass es keine Bäder mag, während der rote Lebenssaft aus der Badewanne tropft. Das Ende von Parental Guidance lässt den Spielenden ahnungslos zurück. Alles geht so plötzlich.
Die Gesellschaft lässt sich eben nicht in eine mathematische Formel pressen. Wir sind alle Variablen.
Weitere Empfehlungen:
AvRvE
Die Evolution muss voranschreiten, daher müssen einige lebensbedrohliche Arten vorsorglich von einem Alien ausgerottet werden — ein unterhaltsames Mini-Puzzle-Spiel.
Go Darwin
Damit Darwin die Entwicklung der Dodos studieren kann, muss er logischerweise eine Sache erledigen: Sie alle eliminieren! Wer mechanisierte Killervögel mag, wird Go Darwin lieben.
Soul Jar
Diese herzergreifende Geschichte eines Jungen und dessen extraterrestrischen Roboterfreundes sollte man unbedingt einmal anspielen. Die Atmosphäre dieses Spiels ist außerordentlich dicht gebündelt und einfach wunderschön gestaltet.
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Hier gibt es noch ein Review zu dem Buch:
http://www.mediumdifficulty.com/2012/11/29/the-game-is-talking-back-a-review-of-killing-is-harmless/