Quest Tristesse: NEStalgia
NEStalgia ist ein mir fremdes Gefühl. Fernab des kleinen Kaufhauses neben meiner Grundschule und des Wohnzimmers meiner Klassenkameradin Nadine, knüpfte ich erst spät Kontakt zu Nintendos Konsolen, und auch die hatten – des Fluches der späten Geburt wegen – die 8Bit-Ära längst hinter sich. So sollte denn das nach der konsolenspezifischen Verklärung benannte MORPG seine ganz spezielle Wirkung bei mir kaum entfalten können, lockte mich aber durch sein ungewöhnliches Konzept.
Als das Spiel 2011 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, setzte der vielzitierte Claim „Dragon Warrior 3 meets World of Warcraft“ die Qualitätsmesslatte für ein zunächst reines Hobby-Projekt relativ hoch. Drei Jahre und zahlreiche Updates später wirkt es allerdings tatsächlich, als hätten die beiden zumindest ein zaghaftes tête-à-tête hinter sich. Denn NEStalgia bedient sich der komplexen Strukturen zeitgenössischer Onlinerollenspiele, kleidet sie in ein 256-farbiges Gewand und gerät damit zu einem Produkt, das wohl niemand für möglich hielt, sich ebenso viele Leute sehnsüchtig herbeigewünscht haben dürften, und doch erstaunlich stimmig wirkt.
Zu Beginn gilt es, sich für eine von acht Klassen zu entscheiden, deren Talente unterschiedlich gewichtet sind und die überwiegend Rollenspielstandards entsprechen: Magier und Trickkünstlerinnen setzen auf die hohe Zauberkunst, Soldatinnen auf kräftige Schwerthiebe, Waldläufer hingegen auf gar keine Spezialisierungen, was sie zu vielseitigen, aber vergleichsweise unauffälligen Mitstreitern macht. Sobald die entsprechende Entscheidung getroffen und der Charakter erstellt wird, ist der Auserwählte dann endlich bereit, das Böse aus der Welt zu tilgen. Nun drängt sich die epische Geschichte allerdings selten in den Vordergrund, sondern wird bald abgelöst von dem verzweifelten Versuch, lange genug zu überleben, um dem von unbestimmter Seite diktierten Heroentum überhaupt nachgehen zu können. Und das, so stellt sich heraus, ist beileibe nicht einfach. Jedenfalls nicht ohne tatkräftige Unterstützung.
Glücklicherweise bietet NEStalgia gleich zwei Möglichkeiten, ebenso viele Mitstreiter_innen an des Helden Seite zu stellen. Die ungewöhnlichere der beiden ist wohl das Companion-System, das eine Rekrutierung nahezu aller die Oberwelt bevölkernden Monster erlaubt. Je mehr rundenbasierte Gefechte bestritten werden, desto besser wird der Ruf des Kämpfenden in der jeweils durchreisten Region und höher die Chance, dass sich nach der siegreichen Schlacht eine der bezwungenen Kreaturen der eigenen Gruppe anschließen möchte. Durch die Vielzahl unterschiedlicher Fähigkeiten, die nach erfolgreichem Aufleveln im Rahmen simpler Skill Trees ausgebaut werden können, und die Möglichkeit, eine kleine Auswahl von Monstern auf Abruf bereit zu halten, stellt sich das beinahe pokèmoneske Bestreben ein, möglichst viele von ihnen zu fangen und nachfolgend unterschiedliche Teamkonstellationen auszutesten.
Da künstliche Intelligenz nur unter denkbar ungünstigen Bedingungen ein adäquater Ersatz für die menschliche sein mag, hielt ich bald hoffnungsfroh Ausschau nach der anderen Option. Doch das M in diesem MORPG, es versteckt sich beharrlich, ist scheuer als jedes Missingno. In weiser Voraussicht von Anfang an lediglich als Multiplayer-Titel und nicht als ernsthafte Konkurrenz zu der von regelrechten Menschenfluten durchspülten AAA-Konkurrenz gezeichnet, unterbietet NEStalgia selbst diese bewusst niedrig angesetzten Versprechen konsequent. Was von den einen als familiäre Atmosphäre wahrgenommen wird, präsentiert sich den anderen als leergefegte Server. Davon gibt es zwar einige zur Auswahl, nur folgt gerade daraus eine extrem ungünstige Verteilung der Spielwilligen und deren durchschnittliche Präsenz im einstelligen Bereich.
Immerhin geriete hierdurch die Suche nach potenziellen Verbündeten denkbar einfach, fiele man sich doch augenblicklich dankbar in die Arme, sobald man einander erblickte, wenn, ja wenn nicht eine vernichtende Regel für Gruppenzusammenkünfte die frohe Vereinigung oftmals unmöglich machen würde: Trennen die Kampfeswilligen nämlich mehr als sieben Level, können sie noch so vehement versuchen, in trauter Harmonie feindliches Leben aus der Oberwelt zu befördern – Erfahrungspunkte oder Schätze werden sie dafür keine zum Dank erhalten.
Finden sich, wenn das Schicksal es so will, doch einmal zwei oder gar drei miteinander kompatible Helden zusammen, übernimmt einer von ihnen die Navigation, während die anderen lediglich in den Kämpfen aktiv werden. Zeichnet sich die Führungsetage durch ein geringes Durchsetzungsvermögen respektive die Gruppe durch Uneinigkeit hinsichtlich der Richtungswahl aus, mag daraus sicherlich auch manch slapstickhafte Situation im Spiel und verworrene Diskussion im stets präsenten Chat erwachsen. Erstaunlicherweise funktioniert dieses System nach einer kurzen Eingewöhnungsphase aber relativ gut und fällt nicht negativ ins Gewicht, stapft man doch für gewöhnlich ohnehin nur stundenlang durch Wald und Wiesen, um im Akkord zugunsten des Erfahrungsgewinns die Waffen zu schwingen.
Schade nur, dass all das herzlich wenig nützt, ist man erst wieder auf sich allein gestellt. NEStalgia wurde, das zeigt sich recht schnell und schmerzlich, ganz explizit als Gruppenerfahrung konzipiert und scheitert an diesem Anspruch. Dass die Population bewusst reguliert und jeder besser besuchte Server bald passwortgeschützt wird, ergibt zumindest im Hinblick darauf, dass weite Teile des Spiels allein gar nicht oder nur mit großer Mühe (üb)erlebt werden können, wenig Sinn. Auch die an sich interessante Ergänzung des kleinen 8 Bit-Universums um ein Auktionshaus und eine PvP-Arena, in der Spieler_innen allein oder in Teams gegeneinander antreten können, bleibt graue Theorie ohne Menschen, die diese Bereiche des Spiels mit Leben füllen. Während man sich also auf mancher lärmenden Fantasy-Kirmes mehr Ruhe wünscht, um sich als ein auserwählter Retter unter zehntausenden nicht permanent verarscht zu fühlen, klammert man sich hier an jede Zufallsbegegnung – ganz gleich, mit wem.
Nach zwanzig einsamen Stunden in einer paradoxerweise ebenso bunten wie kargen Welt, die ich vor allem damit verbracht habe, Kopf und Ansprüche abzustellen, um mich in einem Fort mit Monstern zu duellieren, bin ich ein wenig ratlos. In seinen besten Momenten ist NEStalgia eine gelungene Fusion von klassischen und modernen Rollenspielelementen und damit mutmaßlich der Traum vieler Retrospieler_innen, während der zahlreichen Durststrecken hingegen nicht viel mehr als gelebte Stagnation, untermalt von einem hochgradig repetitiven Chiptune-Geschepper, das bereits nach fünf Minuten zur Kompostierung von Trommelfell und Gehirnzellen führt.
Nur: Kann man denn einem MORPG eigentlich vorwerfen, den Spielspaß von der Präsenz anderer Spieler_innen abhängig zu machen? Vielleicht, aber eigentlich wäre es schöner, dem Konzept zum Erfolg zu verhelfen, anstatt sich in bequemem Querulantentum zu ergehen. Wenn euch also die dem Spiel aus allen Poren dringende NEStalgie nicht abschreckt, investiert vielleicht doch einmalig 14,99€. Und haltet Ausschau nach einer Waldläuferin, die stets nach loyalen Gefährten sucht für eine gemeinsame Reise in eine Vergangenheit, die nicht ihre eigene ist.
2 Kommentare zu “Quest Tristesse: NEStalgia”
Kommentare sind geschlossen.
Ich stelle es mir für die Entwickler so unglaublich frustrierend vor, das MMO-Prinzip derart scheitern zu sehen.
Besonders tragisch ist ja, dass sich der konzeptionelle Fehler immer und immer wieder offenbaren wird. Kaum präsentiert sich ein Server gut gefüllt, wird er passwortgeschützt, und so bleibt möglichen Neuzugängen abermals nur eine selbst zu befüllende Leere, in der sich das eigentliche Potenzial des Spiels allenfalls langsam entfaltet.
Interessanterweise fallen die Rezensionen dennoch zu weiten Teilen sehr positiv aus, gerade auch auf Steam. Ob Silk Games selbst das Projekt als gescheitert ansieht, könnte ich daher gar nicht mit Sicherheit sagen.