Eine epochenumspannende Geschichte über Betrug, Größenwahn
und eine Schnecke mit blinkenden Rückleuchten.
Der Wunsch des Menschen, Ereignisse ungeschehen machen zu können, ist so alt wie die Menschheit selbst. So alt wie der Furz beim Fernsehabend, vergessene Hosen und die deplatzierte Pasta in den Gesichtern geneigter Candlelightdinnerteilnehmer. Was wäre, wenn die Möglichkeit bestünde, einfach die Zeit zu durchreisen und so Einfluss zu nehmen auf bereits Geschehenes, ist eine häufig gestellte Frage, die nun Chronology aus der Sicht eines gescheiterten Erfinders beantwortet.
Eben jener nämlich erwacht inmitten eines riesigen Kraters in einer ausgesprochen unwirtlichen Umgebung, die ihm fremd zu sein scheint. Erst nach und nach kehren Erinnerungsfragmente an seinen Werdegang und damit jene Geschehnisse zurück, die der Verwandlung der einst dicht besiedelten und bunten Region in eine düstere, ruinengespickte Waldlandschaft vorangingen. Angestoßen wird dieser Prozess durch den Fund einer Uhr, die sich als verloren geglaubte Erfindung des Protagonisten und Zeitmaschine entpuppt. Fortan zwischen der gegenwärtigen Zeitebene und der prosperierenden Vergangenheit ständig hin- und herwechselnd, ebnet sich der Greis seinen Weg.
Was ihm in der Gegenwart selbigen versperrt, mag in der Vergangenheit noch gar nicht existiert haben und was etwa zunächst noch ein kleiner Spross ist, wächst späterhin zu einem riesigen Baum heran. Durch die ständigen Zeitreisen, die einen fast nahtlosen Wechsel zwischen den beiden Epochen erlauben, können die zunehmend komplexeren Hindernisse geschickt überwunden werden. Chronology begnügt sich jedoch nicht mit dieser einen spielmechanischen Besonderheit, sondern entwickelt sie weiter und führt mit einer großmäuligen Schnecke sogar noch eine zusätzliche Figur ein, die die Zeit auf ihre ganz eigene Weise manipuliert. So ist es möglich, jeweils einen der beiden Charaktere zu steuern: Während der Erfinder schnell läuft, hoch springt und geschickt defekte Geräte repariert, kriecht die Schnecke zwar recht behäbig, aber dafür auch steile Wände entlang und dient mit ihrem Panzer zusätzlich als Plattform. Zudem verfügt sie über die Fähigkeit, die Zeit und damit auch sich bewegende Objekte anzuhalten – eine Eigenschaft, die im späteren Spielverlauf essentiell wird.
Der sich zunächst noch etwas ungelenk gestaltende Austausch gerät auch dank der nur langsamen Steigerung des Schwierigkeitsgrades bald zur Selbstverständlichkeit, zum fliegenden Wechsel zwischen Erfinder und Schnecke, Vergangenheit und Zukunft. Ergänzt werden die damit verknüpften Geschicklichkeitsübungen durch Rätsel, die gleichsam auf dem Zeitenwechsel aufbauen und ein allzu schnelles Durchqueren der insgesamt acht Kapitel effektiv verhindern. Strukturell dem interdimensionalen Hürdenlauf oft sehr ähnlich und in den meisten Fällen nicht übermäßig anspruchsvoll, glänzen sie doch immer wieder durch Ideenreichtum und Humor – so zum Beispiel, wenn eine mutierte Pflanze von ihrem Zahnschmerz erlöst werden muss, um einer redseligen Kartenverkäuferin die Telefonleitung durchtrennen zu können.
Generell zeichnet sich das Spiel durch erstaunlich viel Witz und Leichtigkeit aus, was in Anbetracht der dahinter stehenden Geschichte eines Vertrauens- und Machtmissbrauchs und des Untergangs einer gesamten Zivilisation gelegentlich seltsam anmutet. Nun fügt sich diese Leichtherzigkeit allerdings stimmig in das Gesamtkonzept des Spiels ein, denn Chronology spielt sich wie ein interaktives Kinderbuch. Die namenlosen, einander ständig neckenden Hauptfiguren, die wunderbar illustrierte und detailverliebt animierte Welt, die in vielen Farben erstrahlt – nahezu alles hier erscheint freundlich und harmlos.
Leider schlägt sich das gleichermaßen auf die erzählerische Tiefe nieder. Während in gestalterischer und mit dem wunderbaren Soundtrack auch musikalischer Hinsicht immer wieder neue Feinheiten zu entdecken sind, die dem Spiel Leben einhauchen, mangelt es der Geschichte und den Figuren daran eklatant. Die individuelle Motivation der Handelnden wird kaum geklärt, und gerade der Antagonist wirkt dadurch ausgesprochen blass; die dramaturgische Inszenierung mündet schließlich in einem enttäuschenden Showdown, der zudem deutlich zu früh einsetzt.
Nichts spräche prinzipiell dagegen, dass Chronology nach nur zwei Stunden endet, nur tut es das zu abrupt. So schön es auch ist, dass das Spiel deshalb durch Kurzweil und immer neue Ideen glänzt, hätten ihm einige zusätzliche Spielpassagen und ein konsequenterer Spannungsaufbau zum Finale sicher nicht geschadet. Durch deren Fehlen fühlt es sich nun unvollständig an – wie eine Demo-, die überstürzt zu einer Vollversion ausgebaut wurde.
Dennoch kann man den dänischen Entwicklern Osao kaum Lieblosigkeit unterstellen. Ganz im Gegenteil, erscheint Chonology als jenes Herzensprojekt, zu dem es notgedrungen wurde, nachdem das ursprünglich für den Titel verantwortliche Studio Insolvenz anmelden musste und einige ehemalige Teammitglieder beschlossen, sich seiner trotzdem anzunehmen. Ungeachtet der genannten Wermutstropfen gibt es also keinen Grund, die Geschichte eines kleinen Mannes und seiner Schnecke, die sich aufmachen, die Welt zu retten, aus dem Lauf der Zeit zu tilgen.
Kommentare sind geschlossen.