Hotline Miami
Der schwedische Spielemacher Cactus hat sein erstes, kommerzielles Spiel veröffentlicht und es könnte zu dem Spiel werden, das seinen Ruf als genialer Outsider-Entwickler zementiert. Hotline Miami ist eine Art Ur-GTA, dessen pixelige Vogelperspektive einen irrsinnig brutalen Feldzug gegen die Drogenmafia im Miami der 80er zeigt. Hotline Miami ist das verstörende Manifest eines Entwicklers, der beinahe in Vergessenheit geraten wäre.
Vor der Veröffentlichung war Cactus am Rande des Bankrotts. Ein Mäzen aus Kanada, der seine sonderbaren Spieleprojekte über die Jahre finanziell unterstützt hat, strich ihm das Geld. Die Entwicklung seines mit einem IGF-Award ausgezeichneten, abstrakten Puzzlespiels Tuning dagegen kam nicht voran. Auf mehr kommerzielle Projekte hatte Cactus keine Lust. Der Versuch, kompromisslos verstörende Spiele zu machen über masturbierende Jäger und nackte Männer, die glauben sie seien Rennautos, schien gescheitert. Hotline Miami ist nun die Rettung für Cactus. Es ist das Spiel, das für Wedin und ihn weitere Projekte ermöglichen wird. Bloß ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Hotline Miami scheint wenig gemein zu haben mit den abstrakten, herausfordernden Experimenten, für die Cactus berühmt geworden ist. Fast könnte man Hotline Miami als bitteren, zynischen Witz vom schwedischen Entwicklerduo lesen: Jahrelang hat Cactus an verrückten Spiele-Experimenten gearbeitet, er hat Kritikerlob eingefahren, nur seine Miete, die konnte er nicht bezahlen. Kaum akzeptiert er, dass Spieler Blut und Mord und Exekutionen für Bonuspunkte wollen, kommt auch das Geld.
Hotline Miami ist der mörderischste Mördersimulator aller Zeiten. Es ist das Super Meat Boy der Mordsimulatoren: Ein ultrabrutales, schnelles, unglaublich intensives Erlebnis von tödlichen Nahkämpfen in kürzester Zeit. In jedem Level steht der Anti-Held des Spiels, ein gewissenloser Killer mit Tiermaske, unbewaffnet vor dem Eingang zu einem Versteck von schwer bewaffneten Mafiosi in weißen Anzügen. Außer dem Protagonisten darf niemand das Gebäude lebend verlassen. Reihenweise Mafiosi umbringen klingt nicht nach einem besonders spannenden Spiel, es ist aber die Art, wie Hotline Miami die Morde inszeniert, die beeindruckt. Nur ein, zwei Treffer und der Tiermaskenmörder liegt tot am Boden. Jeder Kampf, jeder unmenschliche Gewaltakt im Spiel muss daher vom ersten Messerwurf bis hin zum letzten Tritt in die Rippen durchdacht werden. Man beobachtet jeden Raum raubtierhaft und muss auf den perfekten Moment warten, um zuzuschlagen. Dann bricht alles in blutige Gewalt aus.
Anders gesagt: Hotline Miami ist Billard mit virtuellen Opfern. Du sagst an, wie die Gegner im nächsten Raum sterben sollen und machst deine Vorhersage wahr: Dann schmettert der Held einem Mafiakiller die Tür ins Gesicht, wirft die Metallstange dem nächsten in den Nacken und ersticht den dritten Mann im Raum mit dem Messer, das der erste Gegner hat fallen lassen. Dann entweicht die Anspannung der letzten fünf Minuten schlagartig und man merkt, wie intensiv und heftig der Kampf war. Dabei lässt Hotline Miami nie nach. Der Synthesizer-Soundtrack treibt immer weiter zum nächsten Mord und der Neustart jedes Levels folgt schnell auf jedes Versagen. Hotline Miami hält nie still, es wackelt, es wimmert, es blutet und schreit nach mehr Mord, mehr Gewalt, mehr Punkten. Es ist ein Mahlstrom der Gewalt und es ist großartig in seiner Unbarmherzigkeit.
Aber etwas anderes ist der Fall. Cactus und Wedin haben es geschafft, ein Spiel zu entwerfen, das gleichzeitig Gewalt als Spielmechanik feiert und sie als abstoßend darstellt. Eine Stunde mit Hotline Miami gleicht einer Fahrstuhlfahrt mit Ryan Gosling. Man tritt vom Spiel weg und fühlt sich krank und überwältigt. Wie auch in anderen Spielen von Cactus schweift das Bild im Spiel langsam hin und her, es kommt nie zur Ruhe und desorientiert Spieler nach und nach. Die schnellen Schnitte zwischen Tod und Neustart erzeugen einen ganz eigenen Rhythmus, der am besten mit sich wiederholenden Tritten in die Magengrube beschrieben werden kann, und die pulsierende Musik mit Tracks u.a. von M.O.O.N. und Jasper Byrne trägt weiter zum Schwindelgefühl bei. Je länger das Spiel andauert (und wirklich lange dauert es nicht), desto klarer wird, dass das ständige Morden Spuren am Protagonisten hinterlässt. Es kommt vermehrt zu Filmrissen und lynchesken Traumsequenzen, die nur durch gnadenlose Gewalt aufgebrochen werden.
Hotline Miami ist kein schönes Spiel. Es ist gleichsam abstoßend und faszinierend — und das ist vielleicht die größte Leistung, die Cactus und Wedin hier erbracht haben. In der Form eines kommerziellen Mordsimulators sind sie sich ihrer kompromisslosen Punk-Entwickler-Wurzeln treugeblieben.