Pre-Alphalevel: The Curious Expedition
“Wer aber soll die neue Welt erspähn,
Und wer genügt, den finstern, bodenlosen
Abgrund gewandten Schritts zu untersuchen,
Und wer soll durch die fühlbar dichte Nacht
den ungebahnten Weg ergründen…”
― John Milton, Das verlorene Paradies
Weiße Kartenstellen, unentdecktes Land. Wer hat sich als Kind nicht vorgestellt, dass sie noch existieren und dort unbeschreibliche Abenteuer warten? In den Büchern unserer Jugend lebten dort klischeehaft dargestellte Ureinwohner, spärlich bekleidete Amazonen und wilde Dinosaurier. Als wir älter wurden, fanden unsere Entdeckungsreisen eher in die Terra Incognita der deutschen Steuergesetzgebung statt. Aber in Berlin arbeitet momentan das Indie-Entwickler-Team von HIC SUNT LEONES an einem Roguelike, das uns in diese Kindheitswelt zurückführt: The Curious Expedition.
“Üblicherweise gibt es nichts Schöneres, als an einen Ort zurückzukehren an welchem man Entbehrungen ertragen musste”
― Tahir Shah, In Search of King Solomon’s Mines
The Curious Expedition ist ein Forschungsreisen-Rougelike, angesiedelt irgendwo zwischen dem Erkundungsdrang des Atari XE-Klassikers “Seven Cities of Gold”, den harten Entbehrungen des “Oregon Trail” und der Lagerfeuerverwaltung von “Gods Will Be Watching”. Man plant eine Entdeckungsreise, organisiert das mitgeführte Gepäck und bricht auf ins Abenteuer. Auf dem Weg erwehrt man sich wilder Tiere, schlichtet Unstimmigkeiten unter der Mannschaft und wandert immer tiefer ins Herz des Unerforschten.
Das zu bereisende Land wird genretypisch prozedural generiert: Aus Flüssen, Wüsten, aktiven Vulkanen und endlosen Meilen tückischen Dschungels. Werner Herzog beschrieb diese Welt bereits perfekt in “Die Last der Träume”:
“Dies ist ein unvollendetes Land. Es ist noch prähistorisch. Das einzige was hier noch fehlt sind Dinosaurier. Es ist als ob ein Fluch auf der ganzen Landschaft lastet. Und jeder der zu tief vordringt, erhält seinen Teil des Fluches. Und so sind wir mit dem was wir hier tun verflucht. Es ist ein Land das Gott, sollte er existieren, in Wut erschaffen hat. Es ist das einzige Land in dem die Schöpfung bis heute unvollständig geblieben ist. Unser Umgebung genau betrachtend, ergibt sich eine Art der Harmonie. Es ist die Harmonie des überwältigenden und kollektiven Mordens.”
In einem einzigen Punkt irrt sich Herzog. In The Curious Expedition gibt es sie tatsächlich, die Dinosaurier!
Um dem Spieler zumindest eine gewisse Überlebenschance zu gewährleisten, stellen einem die Entwickler einen frei wählbaren Experten zu Seite. Dieser rekrutiert sich aus den Forschungs-Koryphäen des 19ten Jahrhunderts. Neben offensichtlichen Expeditionsprofis wie Charles Darwin, der Allan Quatermain-Inspiration Frederick Selous und dem Afrikaforscher Richard Burton finden sich auch ungewöhnlichere Personen in der Wahl. Da wären etwa Rabbi Levi Herzfeld, Nikola Tesla oder Johan Huizinga, Autor des “Homo Ludens”, dem Grundwerk über den spielenden Menschen.
Dank Vorschlägen aus der Community haben die Entwickler außerdem dafür gesorgt, dass das Geschlechterverhältnis dieser Experten ausgeglichen ist. Will man lieber mit Marie Curie, Tibet-Forscherin Alexandra David-Néel oder Underground Railroad Organisatorin Harriet Tubman auf Reisen gehen, ist das auch kein Problem. Jeder dieser Experten und Expertinnen wird seine eigenen Vor- und Nachteile mit sich bringen, sowie Einfluss auf den Schwierigkeitsgrad des Spieles haben.
“Abenteuer! Die Leute redeten davon, als wäre es etwas Erstrebenswertes, doch in Wirklichkeit war es ein Synonym für schlechtes Essen, wenig Schlaf und sonderbare Personen, die ständig versuchten, einem spitze Dinge in den Leib zu stecken.”
― Terry Pratchett, Echt zauberhaft
An dieser Stelle sollten wir kurz auf ein Thema eingehen, welches in Zukunft bei diesem Projekt für einige Diskussion sorgen könnte. Wie Eingangs angedeutet, sind die Bücher und Welt, auf welche sich The Curious Expedition bezieht, aus heutiger Sicht mehr als nur etwas strittig — sowohl was die Darstellung der Ureinwohner angeht, als auch den Themenkomplex der Kolonialisierung.
Diese Themen sind allerdings alles andere als schwarz und weiß — selbst in ihren Vorlagen. Jules Verne, zum Beispiel, legte seine Figur des Kapitän Nemo recht komplex an; während Edgar Rice Burroughs (Tarzan) eher das Gegenteil davon machte. Die beiden Entwickler, Riad Djemili und Johannes Kristmann, waren jedoch an der Entwicklung des Apocalypse Now-inspiriten Shooters Spec Ops: The Line beteiligt, sind also durchaus erfahren im Umgang mit problematischen Inhalten. Anderseits wird The Curious Expedition wohl auch kein Anti-Kolonial-Spiel werden. Stattdessen streben die Macher an, jedem Spieler seine Vorgehensweise selbst zu überlassen, für die er aber auch die Konsequenzen zu tragen hat. Es sollen keine moralischen Belehrungen erfolgen, die Umgebung wird aber zunehmend feindlich auf aggressives Verhalten reagieren und irgendwann komplett aus den Fugen geraten. Wer plündernd und brandschatzend durch die Gegend marodiert, kann sich schon mal auf Montezumas Rache und Pfeile im Knie gefasst machen.
Bei der Darstellung der Ureinwohner versuchen sich die Entwickler möglichst eng an realen, ethologischen Studien zu orientieren und von Klischees wie “Du großer weißer Mann mit Donnerbüchse!” abzusehen. Strittig bleibt das sicherlich weiterhin, aber gerade bei sorgsamen Umgang mit diesen Themen sind Diskussionen ja durchaus zu begrüßen und einer der Aspekte, die dieses Spiel interessant machen dürften.
Bleibt zu klären, wann die Expedition startet. Ja… momentan wird das Spiel in der Freizeit, neben der Arbeit für Yager Development, entwickelt. Hic Svnt Leones versucht allerdings, eine Projektförderung zu organisieren, um sich Vollzeit der Entwicklung von Curious Expedition widmen zu können.
(An dieser Stelle bricht das Manuskript ab, da der Autor an Diarrhö verstarb.)
Gastautor Magnus macht sich nicht viel aus Twitter oder Facebook, man kann ihn jedoch mittwochmorgens im Stadtbad Schöneberg antreffen.