Interview: Andreas Illiger (Tiny Wings)

Vermutlich wissen viele gar nicht, dass hinter dem iOS-Verkaufsschlager Tiny Wings ein deutscher Entwickler steckt. Aber selbst, wenn man gezielt nach Informationen über Andreas Illiger sucht, stößt man nur auf spärliche Fetzen. Das reichte mir nicht, also kontaktierte ich den 29jährigen Kieler auf meine gewohnt charmante Art und bat um ein Interview. Nach Wochen des Schweigens und innerlichen Schimpftiraden meinerseits erreichte mich eine überaus sympathische Antwort, …

” (…) Da Superlevel eine meiner täglichen Anlaufstellen im virtuellen Chaos und die beste Informationsquelle für digitale Freuden abseits des Hauptstromes ist, bin ich für ein ungezwungenes Interview gerne bereit. (…)”

…die Lust auf mehr machte. So erfuhr ich u.a. im Vorfelde des eigentlichen Interviews, dass Andreas an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel Kommunikationsdesign studierte, er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt (z.B. als Klavierspieler in einem Café), damals Robinson’s Requiem spielte, Sword & Sworcery verehrt, zur Musik von Boards of Canada im Geiste die Hüften kreist, beim Windsurfen die Nase ins Wasser steckt und an Höhenangst leidet. Eine “Normalität”, die ich begrüße.


Superlevel: Ahoi, Andreas. Mit welcher Frage müsste man dich konfrontieren, damit du ein Interview vorzeitig abbrichst?

Andreas: Tja… Game Over! Tschüss. Ansonsten ist alles erlaubt.

Trotz der beachtlichen Popularität deines Spiels “Tiny Wings” finde ich im Netz kaum nennenswerte Informationen über dich, geschweige denn ein Foto. Interessierte sich bis dato niemand für deine Person oder scheust du schlichtweg die Öffentlichkeit?

Von dem Schock, den der Erfolg für mich bedeutet hat, musste ich mich erstmal eine Weile erholen. Und dann bin ich auch nicht so sehr der Typ für Öffentlichkeit. Mittlerweile lockert sich mein Gemüt und ich beginne, etwas von meiner Person preis zu geben (Wen interessiert das denn? Ich denke, das Werk ist wichtiger als der Macher.). Warum mache ich sonst dieses Interview?

Ein Foto von mir findet man bei Googles Bildersuche übrigens auf der ersten Seite.

Wann und wo hattest du die Idee zum Spiel, über welchen Zeitraum erstreckte sich die Entwicklung und waren außer dir noch andere Personen involviert?

Mit den Ideen ist das so eine Sache. Die passieren bei mir nicht einfach so, sondern wollen erarbeitet werden. Soll heissen: Durch intensives Eintauchen in die Welt der Fantasie, nachts im Bett oder tags im Wald und dazwischen auf meinem Meditationskissen, mental Prototypen spielend, unzählige Features ausprobierend, reiften innerhalb von etwa 2 Monaten all die Ideen zu Tiny Wings. Es gab kein Schlüsselerlebniss oder großen Geistesblitz — alles harte, trockene Arbeit.

Entwiklungszeit: etwa 7 Monate. Involvierte: keine.

Prozedural generierte Levels sind momentan in der Szene (zumindest seit Minecraft) zunehmend “in”. Waren die Inseln in “Tiny Wings” eine bewusste Designentscheidung?

Gibt es unbewusste Designentscheidungen? Prozedural generierter Content ist eine Leidenschaft von mir und hat mich während meines gesamten Studiums begleitet. Die Motivation, die Grafik von Tiny Wings prozedural zu gestalten, kam aber nun nicht daher, dass das gerade “in” sei (ist mir gar nicht bewusst, dass das so ist).

Da das Spiel ja eigentlich immer gleich verläuft, wollte ich einfach etwas Abwechslung erzeugen und den Erkundungstrieb der Spieler reizen. Viele Spieler berichten mir, dass sie Tiny Wings mindestens einmal pro Tag spielen, nur um zu schauen, wie die Inseln denn heute aussehen. In der Anfangsphase gab es sogar Forenposts von Leuten, die sich nachts extra einen Wecker gestellt haben, um zu checken, dass die Welt sich alle 24 Stunden ändert. Crazy.

Apropos Szene: Die deutsche “Indie”-Szene glänzt nicht gerade durch Mut, Kreativität und Innovation. Worauf führst du dieses Manko zurück und betrachtest du dich selbst überhaupt als Teil besagter Szene?

Hm, nunja, im Zeitalter des Internets ist mir Nationalität in der Digitalität ziemlich wurscht. Hier nun über die Mentalität der Deutschen zu spekulieren, habe ich keine Lust. Ich selber fühle mich auch eher als Mensch denn als Deutscher (womit ich nicht sagen will, dass Deutsche keine Menschen sind). Aber wenn ich nun doch ein Spekulatius anbringen darf: Ich denke, das liegt an unserer Klimazone. Da gibt es doch auch eine menge Studien drüber. Das Wetter ist schuld.

Als Teil einer Szene fühl ich mich (noch) nicht. Bisher hatte ich ja so gut wie keine Bekanntschaften zu anderen Entwicklern, vor allem kaum welche zu non-virtuellen. Sobald sich das ändert (und das tut es gerade) und ich Bekanntschaften mit realen Gestalten schließe, werde ich mich vielleicht auch einer Szene zugehörig fühlen. Irgendwie wollen wir alle das ja auch gerne.

Ich fühle mich, besonders beim Soundtrack, an alte Nintendo-Juwelen wie beispielsweise Yoshi’s Island etc. erinnert. Zufall, Huldigung oder strategische Raffinesse?
[audio:https://www.superlevel.rip/wp-content/uploads/tiny_wings_theme.mp3|titles=Tiny Wings Theme]

Tja, ich durfte ohne Konsolen und Computer aufwachsen. Die Nintendo-Ära habe ich so erst recht spät erlebt und schätzen gelernt. Eine bewusste Huldigung ist Tiny Wings nicht. Ich denke, ich bin da eher von Animationsfilmen und Illustrationen geprägt (durch mein Studium).

Dein Spiel könnte als Dauergast in den Verkaufscharts bezeichnet werden. Kannst du mir sagen, wie viele Exemplare über die digitale Ladentheke wanderten und für wie viele Kinder in Drittweltländern du jetzt theoretisch die Patenschaft (30 EUR * 12 Monate * 10 Jahre) übernehmen könntest, ohne selbst am Hungertuch zu nagen?

Ich rede nicht gerne über Zahlen, ich wende sie lieber an.

Hast du mal 79 Cent?

Nur, wenn du dir davon Essen und keinen Alkohol kaufst. Obwohl, eigentlich auch egal — Hauptsache, du lebst dein Leben, wie du es leben magst.

Was kommt nach “Tiny Wings”? Arbeitest du womöglich schon am nächsten Spiel oder hält dich das aktuelle Projekt pausenlos auf Trab?

Naja, das Übliche: Erfolg hält einen auf Trab wo man es gar nicht möchte (ich möchte eigentlich bloß kreativ tätig sein, komme da aber wegen dem ganzen Businesskram kaum mehr dazu), Content-Updates zu Tiny Wings sind in Arbeit, kommen aber leider etwas schleppend voran (wegen Businesskram), eine iPad-Version mit neuen Features (geheim) ist geplant — und dann will ich natürlich neue Spiele machen. Im Hinterkopf wartet ja noch einiges darauf, endlich digitalisiert zu werden.

Welchen Rat kannst du anderen Entwicklern geben, die sich im AppStore behaupten wollen?

Hm, schwierig. Tiny Wings hat ja nun komplett ohne Marketing funktioniert, was mittlerweile eher ungewöhnlich ist. Also für den ganzen Marketingquatsch kann ich keine Erfahrungstipps geben. Zum Produkt: Alles ist wichtig. Jedes Detail auf jeder Ebene (Spielmechanik, Grafik, Musik, Sound, Physik, Features, Feeling, Farben, Freude…) zählt. Ich hinterfrage mich ständig, ob ich ein gewisses Detail nicht noch besser machen könnte oder ob es wirklich notwendig ist (kommt aus dem Designstudium). Auf die Details kommt es an.

Und dann ist es natürlich gut, das Spiel auf die anvisierte Plattform zu münzen. Reduktion auf das Wesentliche ist für mich beim iPhone so ein Schlagwort (Reduktion kommt auch aus meinem Designstudium, also vielleicht hilft es, Kommunikationsdesign zu studieren). Einen starken Spielcharakter zu haben, mit dem sich der Spieler indentifizieren kann, ist seit Super Mario ja schon bekannt und immer noch super aktuell.

Was mir persönlich wichtig ist, ist die Atmosphäre eines Spieles. Wenn ein Spiel Atmosphäre hat (wird viel über die Soundebene definiert), finde ich es schon mal interresant. Das AppStore Icon ist enorm wichtig, da erste Kontaktaufnahme mit dem potentiellen Käufer. Aber das sollte einem iPhone-Entwickler bereits bekannt sein.

Tja, ansonsten kann ich nur raten: Schlaft genügend, esst genügend, habt Struktur und ruft ab und zu eure Mutter an — die hat gute Tipps auf Lager und dann wird das schon.

Im Zuge einer geistigen Umnachtung überträgst du Uwe Boll die Filmrechte zu “Tiny Wings”. Eine Klausel räumt dir immerhin das Mitspracherecht bei der Wahl der Darsteller ein. Welche drei Schaupspieler(innen) schweben dir in welcher Rolle vor?

Ich guck selten Television, bin ohne Fernsehen groß geworden, kenne kaum Filme und kann mir Namen nicht merken. Von den Schauspielern die ich kenne, würde ich nehmen: Pac-Man in der Rolle als Münze zum Aufsammeln, Peach als Prinzessin der Nacht und Popeye als winziger Flügel.

“Tiny Wings” ist nicht dein erstes kommerzielles Projekt. Bereits 2009 hast du mit Microsia dein gestalterisches Talent unter Beweis gestellt. (…) Mist, jetzt habe ich den Faden verloren. Was wollte ich doch gleich fragen?

Du wolltest fragen, ob es für mich in Ordnung wäre, das Interview allein weiter zu führen, da dir keine Fragen mehr einfallen und “Microsia” verjährt ist. … Nagut, ok. Dann wollen wir mal sehen. Also…

Magst du Apple? Wenn ja, wie am liebsten?

Am liebsten mag ich Apple, wenn die sich neue Sachen ausdenken. So tolle Sachen. So Sachen, die in mir die Freude am Programmieren wiedererwecken — wie das iPhone. Nichts kann die Magie der ersten Schritte auf dem Pfade meiner Programmierlaufbahn ersetzen, als damals unter DOS in QuickBasic meine ersten Spiele das Licht der Röhre erblickten. Aber ich muss sagen, dass mir in den vielen letzten Jahren keine Hardware und Programmierumgebung so viel Laune bereitet hat wie die des iOS. Und ich habe eigentlich keine Lust mehr auf Programmieren gehabt. Also: Ja, ich mag Apple und: danke, Apple.

Welcher Synthesizer hat die Bläser des “Tiny Wings”-Soundtracks erzeugt?

Es war der gute alte Matrix-1000 von Oberheim aus den 80ern, denn da bin ich geboren.

Wenn du dir selber eine Frage zu Tiny Wings stellen dürftest, was würdest du fragen?

Moment mal, die Frage habe ich mir doch gerade gestellt? Oh… es ist sehr verwirrend, ein Interview mit sich selber zu führen. Äh, aber gut… Ich würde fragen: Hast du einen Vogel?

Hast du einen Vogel?

Nein. Okay, Fabu, ich glaube ich tauge nicht viel als Journalist. Also entweder du übernimmst wieder das Fragen intelligenterer Fragen oder wir beenden das Interview.

Du konzipierst, programmierst, illustrierst und komponierst zugleich, was dir eine gewisse Unabhängigkeit erlaubt. Könntest du dir trotzdem vorstellen, im Angestelltenverhältnis (beispielsweise bei Gameloft) als Rädchen im Getriebe zu fungieren?

Nee, ich war noch nie Angestelter und kann es mir überhaupt nicht vorstellen. All die Tücken, die die Selbständigkeit mit sich bringt, sind mir immer noch lieber als die Tücken die ein Angestellter hat (Wecker, geregelter Urlaub, Verpflichtungen und Mittagspausen). Was mir jedoch fehlt, was ein Angestellter bei Gameloft wohl hat, ist ein kreatives Umfeld. So alleine bei sich zu Hause vor sich hinwerkeln ist auf Dauer ein- und grausam. Deswegen werde ich mir bald ein Büro mieten, ganz viele von meinen kreativen Freunden da rein holen und dann gehts ab!

Abschließend würde ich gerne kurz auf deinen “Hinterkopf” zu sprechen kommen. Verrate uns doch bitte drei Stichworte zum (möglicherweise) nächsten Spiel von dir.

Tiefseeakrobatik, Synthesizerwürmchen, auf einer Wellenlänge. Aber wer weiß…

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Smiley.