Wenn im Götterbaukasten ein paar Steinchen fehlen.
Die Schriften sind sich uneins. War Dumuzi, der legendäre Halbgott und bärtige Schwertschwinger, jetzt ein Verfechter des geschriebenen Worts oder doch eher ein Spaßvogel, der seinen Mitmenschen ein Lächeln ins Gesicht zauberte? Ließ die Bluthexe Kubele eher ihre Fäuste sprechen oder war sie als besonnene Fürsprecherin für Recht und Ordnung bekannt? Und was ist mit dem Druiden Enkidu – stimmt es, dass er seinen größten Gegner verführte und dadurch in die Reihen der Götter am Firmament aufstieg? Die Antwort: All das ist richtig – oder eben auch gar nichts davon. Denn im Action-RPG Moon Hunters liegt es am Spieler, sein eigenes Pantheon an gottgleichen, nur noch durch alte Volkswaisen bekannten Helden zu erschaffen. Meine Aktionen als Grundlage des Selbstbilds einer gesamten Zivilisation? Eine verlockende Vorstellung, die Schlauchlevelhasser und Linearitätsverächter hellhörig machen dürfte, aber die letztendlich mit einigen Stolpersteinen zu kämpfen hat.
Dabei beginnt der neue Titel von Kitfox Games eigentlich zunächst sehr vielversprechend. Ich beginne meinen ersten Spieldurchlauf als einer von vier Charakteren, der je einer mehr oder minder typischen RPG-Rolle entspricht – vom Magier über den Nahkämpfer bis hin zu einer unterstützenden Klasse – und wähle einen von zwei Stämmen als meinen eigenen aus. Vor dem großen Mondfest, das mein Stamm standesgemäß regelmäßig feiert und das zu Spielbeginn kurz bevorsteht, muss ich mich zunächst in einem kleinen Startgebiet mit den Spielmechaniken vertraut machen. Die linke Maustaste löst die Standardattacke aus, mit der rechten aktiviere ich einen Spezialangriff. Die Leertaste ermöglicht mir das Ausweichen, und mit der handelsüblichen WASD-Steuerung bugsiere ich meine Spielfigur durch die knallbunte Spielwelt.
Darin treffe ich nicht nur auf zahlreiche mehr oder minder schwere Gegner, sondern stolpere auch über Zufallsbegegnungen, die indirekt die Geschichte und direkt die Entwicklung meines Charakters beeinflussen. Entscheide ich mich beispielsweise dafür, merkwürdig aussehende Früchte, die sich als Steine entpuppen, zu essen, erhöht sich mein Wert für Dummheit. Werfe ich sie einen Hang hinunter und löse damit eine Lawine aus, erhalte ich zusätzlich den Ruf als vergeltungssüchtiger Spieler. Je nachdem, wie ich mich diesbezüglich entscheide, stehen mir in den zufällig generierten Spielabschnitten andere Möglichkeiten zur Verfügung, da für manche Interaktionen ein bestimmter Ruf notwendig ist. Am Ende des Startgebiets steht eine Übernachtung im provisorischen Lager an, während derer ich meine Attribute durch verschiedene Aktionen wie Jagen oder Kochen verbessern und damit beispielweise mehr Schaden anrichten oder größere Lebensenergiereserven freischalten kann.
Nach der wie auch immer verlebten Nacht endlich im heimischen Dorf angekommen, beginnt das Mondfest zunächst vielversprechend. Dieses endet aber abrupt, als klar wird, dass der Mond nicht aufgehen wird. Fortan wird es meine Aufgabe sein herauszufinden, was mit dem Mond geschehen ist. Die Suche nach der Lösung wird dadurch erschwert, dass mir der neu entstandene, den alten Stämmen feindlich gesonnene Sonnenkult ein Ultimatum setzt: Innerhalb von vier Tagen muss ich hinter das Geheimnis des Verschwindens des Mondes kommen, dann will mich der Kult unter Führung seines Oberhaupts, König Mardokh, zur Strecke bringen. Eine schier unlösbare Aufgabe, denn pro Tag darf ich nur einen der Schritt für Schritt freischaltbaren Abschnitte auf der prozedural erstellten Weltkarte erkunden. Das garantiert, dass das Spiel mit nur einem Durchlauf nicht zufriedenstellend zu bewältigen ist. Denn selbst wenn ich am Ende der Frist Mardokh besiege, geht der Mond nicht wieder von alleine auf. Gut also, dass gewisse Fortschritte, wie beispielsweise das Entdecken einer neuen Klasse oder eines neuen Startpunkts zum Abschluss von jeder in etwa einstündigen Spielsitzung gespeichert und auf das nächste Abenteuer übertragen werden.
Im Kontext des Spielverständnisses ergibt diese Vorgehensweise auch Sinn. Umfassende Mythen speisen sich schließlich auch nicht aus einer, sondern aus mehreren, teilweise nur mündlich tradierten und damit sich auch oft widersprechenden Quellen. Problematisch wird es an dieser Stelle nur, da das Spiel einige weniger offensichtliche Fortschritte nicht speichert oder zumindest den vielleicht für den nächsten Schritt wichtigen Spielabschnitt nicht unter Garantie im darauffolgenden Spieldurchlauf erkundbar macht. So kann es durchaus sein, dass man rein aufgrund des Zufallsprinzips wirklich mehrere, teilweise durchaus ermüdende Durchgänge absolvieren muss. Das ist besonders ärgerlich, wenn einem die Lösung eines bestimmten Rätsels schon klar ist, der nötige Wesenszug oder die entsprechende Zufallsbegegnung im aktuellen Durchlauf aber schlicht und ergreifend fehlt. Aufgelockert werden die mit der Zeit arg repetitiven Sitzungen, die immer und immer wieder im selben Bosskampf münden, durch die Liebe zum Detail seitens der Entwickler. Der Rückbezug auf besonders mesopotamische Mythen spiegelt sich beispielsweise in Namen der Hauptcharaktere wider. So teilt sich Enkidu seinen Namen mit dem Freund Gilgameshs aus dem gleichnamigen babylonischen Epos und Dumuzi ist ein Hirtengott aus der sumerischen Mythologie. Aber auch die Gestaltung der Welt und vieler Nichtspielercharaktere beweist, dass sich die Entwickler ausführlich mit dem Basismaterial auseinandergesetzt haben. Zudem beackern die Macher damit ein bislang recht unbestelltes Feld, was den Titel angenehm von der Konkurrenz absetzt.
Die Pixelgrafik zeigt sich gerade hinsichtlich der Umgebungen, von Wüstenlandschaften über Wälder bis hin zu Hochgebirgen, abwechslungsreich, die Charaktere sind großartig animiert, und auch die musikalische Untermalung ist stimmig. Auch die Idee, das Spiel mit bis zu drei Mitstreitern absolvieren zu können, ist grundsätzlich eine gute. Allerdings wird es bei lokalem Koop mit vier Spielfiguren schon recht eng vor dem Bildschirm und der Online-Mehrspieler ist nur mit einigen Kniffen und Herumdoktern an den Netzwerkeinstellungen zu realisieren. Das stellt gerade für die jüngeren Spieler, die Moon Hunters mit seiner Gestaltung und seinem familienfreundlichen Auftreten durchaus auch ansprechen dürfte, eine unangenehm hohe Barriere dar. Mit Glück sieht man wie ich das potenziell beste von vielen möglichen Enden nach fünf oder sechs Durchläufen, mit Pech bastelt man etwas länger an seinem ganz persönlichen Mythos – aber die Epen, von denen wir unseren Kindeskindern noch erzählen werden, wurden schließlich auch nicht an einem Tag geschrieben.