Path of Exile
Wer sein Entwicklerstudio Grinding Gear Games nennt, der hat vermutlich eine sehr konkrete Vorstellung davon, in welche Richtung die eigenen Spiele gehen sollen. Path of Exile ist der erste emporkommende Sprössling dieses Hauses und macht ohne Umschweife deutlich, wie ernst es die Neuseeländer mit ihrem Namen meinen. Denn sobald man sich für eine der zunächst sechs Startklassen entschieden hat, beginnt auch schon die Schufterei. Angespült an die Küste einer Sträflingsinsel gilt es, sich gegen boshaftes Getier zur Wehr zu setzen und das ist unmittelbar anstrengend. Wo sich andere Genrevertreter erst einmal ein wenig Zeit für die Einführung in die Welt und das Entwickeln eines Gefühls für die Spielgeschwindigkeit nehmen, fühle ich mich bei Path of Exile sofort mittendrin und andererseits doch nur irgendwie dabei. Alles sieht hier ein wenig düster und verloren aus und ich kann den Eindruck nicht so ganz abschütteln, hier etwas zu spielen, was ich vor zehn bis zwölf Jahren richtig großartig gefunden hätte, seitdem aber zu oft von anderen Spielen an die Hand genommen wurde, als dass ich diese Art der Überwältigung heute noch wirklich genießen könnte.
Es ist ein Spiel, das bewusst antiquiert wirkt, weil es an eine Zeit erinnern soll, in der einem nicht die Lösung aller Problemstellungen direkt mit in die Wiege des erstellten Charakters gelegt wurde. Es versteht sich als eine Art Anti-Diablo, welches 2012 viele Fans des Action-RPG-Genres durch seine Neuausrichtung hin zu farbenfroher Optik und größerer Offenheit und Simplizität enttäuscht hat. Hier besteht nur derjenige, der sich durch Akribie und sorgfältige Vorausplanung als würdig erweist. Die Planungsarbeit beginnt beim ersten Blick auf den Fertigkeitsbaum, der eher einem komplett ungezähmten und unerforschten Urwald an passiven Spezialisierungsmöglichkeiten gleicht. Während ich mich bei der Betrachtung dieses unbezwingbaren Berges an Individualisierungsopionen völlig erschlagen fühle, erschlägt mich tatsächlich eine Horde Ziegenmenschen, die wohl zwischenzeitlich aufgetaucht sind. Diese Sträflingsinsel macht keine Gefangenen.
Nachdem ich mich wieder aufgerafft habe, beschließe ich, dem Spiel mit etwas mehr Aufmerksamkeit zu begegnen. Das geht auch gar nicht anders, denn will ich jemals eine coole aktive Fertigkeit benutzen, muss ich meine Augen offen halten. Diese liegen gelegentlich in Form von kleinen, magischen Kugeln auf dem Boden herum, wenn man ein paar der zahlreichen feindliche Kreaturen erlegt hat, deren kreative Spannweite sich von Skeletten über Zombies bis hin zu Geistern und Spinnen erstreckt. Die Kugeln kann man dann im besten Falle in einem seiner Ausrüstungsgegenstände platzieren, vorausgesetzt, dieser hat auch einen zur Kugel farblich entsprechenden Slot frei. Durch die Vielzahl an unterschiedlichen Ausrüstungsmöglichkeiten sind aberwitzige Fertigkeitskombinationen möglich, deren Zweckmäßigkeit man anschließend auf die harte Tour überprüfen muss. Ein dreigeteilter Feuerball mit einschlagenden Blitzen mag nämlich in der Theorie total mächtig klingen, kann sich jedoch auch schnell als ziemlich ineffizient herausstellen. Schließlich muss man sich parallel dazu auch noch mit der Machete durch den passiven Fertigkeitendschungel schlagen, da ohne passende Attribute noch der stärkste Zauberspruch wirkungslos verpufft.
Das alles fühlt sich wenig intuitiv und natürlich an und ein wirklicher Überblick erschließt sich mir nur durch das Lesen von Sekundärliteratur. Path of Exile erinnert mich deshalb auch ein wenig an Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“, was ich als recht unbekömmlich zu lesen empfand, aber dessen Tiefgang mir durch Literaturerläuterungen dann doch ein wenig Respekt abverlangte. Es ist somit auch in gewisser Weise ein elitäres Spiel, weil es zwar durch sein Free-to-play-Modell den Anschein erweckt, wirklich jedem offen zu stehen, jedoch durch seine ungeheure Vielschichtigkeit nur einem erlauchten Kreise seinen wahren Glanz präsentiert. Für derlei außerspielischen Mehraufwand kann und will ich mich leider nicht mehr begeistern, und so fühlt sich jede verbrachte Spielstunde für mich an wie ein nicht enden wollender Tag im Büro. Ohne die tieferen Zusammenhänge erschlossen zu haben, wirkt das Spiel zumindest genauso repetitiv und ermüdend, klickklickklick, vielleicht mache ich morgen lieber krank. Während andere Spiele sich fast wie ein erholsamer Kurzurlaub auf meine Psyche auswirken können, war ich nach ein paar Tagen Path of Exile ungewohnt ausgebrannt und lustlos.
Wider besseren Wissens, dass sich die prächtigen Flügel eines solchen Spiels erst mit weit fortgeschrittenem Spielverlauf entfalten, gebe ich mich der Komplexität geschlagen und verzichte auf ein nach hinten heraus vielleicht sogar großartiges und erfüllendes Spiel. In Anbetracht dessen wirkt auch die Entscheidung, dieses Spiel kostenlos anzubieten und nur über den Verkauf von rein kosmetischen Zusatzinhalten zu refinanzieren überaus mutig, da die fehlende Zugänglichkeit und das in allen Bereichen sperrige Design womöglich Spieler wie mich vertreibt, bevor sie überhaupt den Eingang zum Ingameshop entdeckt haben.
Mir bleibt somit nur die Erkenntnis, dass für mich mittlerweile eher die deutsche Bedeutung des Wortes Grind in Zusammenhang mit diesem speziellen Spielprinzip an Relevanz gewonnen hat. Path of Exile hat es jedenfalls nicht geschafft, die nach Diablo II langsam zugewachsene Wunde aufzukratzen, durch die ich mich einst mit dem Spaß an der stundenlangen Jagd nach neuer Ausrüstung infiziert habe.