Retrospiel – Neue Spiele für alte Konsolen

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Christoph Noll und Inda Keutgen eröffnen im September dieses Jahres unter dem Namen retrospiel den ersten Retrovideospieleladen Kölns, frei nach dem Motto “Neue Spiele für alte Konsolen“. Neben zahlreichen Klassikern liegen besonders Neuerscheinungen aus der Homebrew- und Indieszene im Fokus des Sortiments.

Nachdem ich wiederholte Male mit großen Augen vor dem Schaufenster des noch geschlossenen Ladengeschäftes in der Gladbacher Straße stand, kontaktierte ich die beiden, um mit ihnen über die Eröffnung, ihre Ziele, die Crowdfunding-Kampagne und die Entstehungsgeschichte des Retrospieleladens zu reden.

Alles begann mit einem Videospiel

Last Hope erschien erstmals 2006 für das NeoGeo und ist das Erstlingswerk der beiden Brüder Timm und René Hellwig, die wenige Jahre zuvor das unabhängige Spielestudio NG:DEV.TEAM in Hannover gründeten. Das side-scrolling Shoot ’em Up bestach neben einem hohen Schwierigkeitsgrad und der klaren Hommage an R-Type und Pulstar besonders durch eine aufwändige 16Bit-Optik, die die SNK-Hardware komplett auslastete.

Diese visuelle Pracht sorgte sieben Monate später bei einem jungen Mann aus Köln für große Augen – und eine Initialzündung. “Last Hope hat mich sofort umgehauen.“, so Christoph. “Nicht nur das Spiel an sich, sondern auch die Tatsache, dass unabhängige Entwickler so viel Energie und Liebe in eine aussterbende Plattform investierten. Das wollte ich auch machen, oder zumindest unterstützen.

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Zu diesem Zeitpunkt hatten die Brüder Hellwig Last Hope auf die Dreamcast portiert, eine Konsole, die Christoph sehr ans Herz gewachsen war. Der damals 28-jährige Politikwissenschaften-Student war als Moderator, Admin und Newsposter unter anderem auf DCEmulation.org unterwegs, veröffentlichte mit der Hilfe anderer Dreamcast-Fans Software-Compilations und Freeware-Sammlungen über DCEvolution.net, auf denen Chiptunes, Grafikdemos, Hacks, Tools, Werbespots und vieles mehr enthalten waren.

Hört sich wahrscheinlich geiler an als es in Wirklichkeit war, aber für mich war es schon echt cool. So rutschte ich immer mehr in die Homebrew und Programmierszene. Im Prinzip hatten andere schon die Pionierarbeit geleistet, ich bin dann einfach auf den fahrenden Zug aufgesprungen.“, erinnert sich Christoph.

Die Ladengründung

Nach seinem Studium 2011 fasste Christoph den Entschluss, seine Sammlung an Videospielen und -konsolen aufzulösen. “Videospiele begleiten mich schon seit den frühen 90er Jahren. Besonders SEGA hat es mir angetan, wie du vielleicht schon gemerkt hast.“, erzählt er grinsend. “Ich habe dann alles fotografiert, katalogisiert und bei Ebay eingestellt. So kam ich überhaupt auf die Idee, das Ganze professioneller zu betreiben und einen Online-Shop zu eröffnen. Last Hope war dabei das erste Spiel, von dem ich mehrere Exemplare für den Wiederverkauf nachbestellt habe.

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Dabei wirkt Christoph keinesfalls wie ein geschäftswütiger Verkäufer, der nur Augen für seine Bilanzen hat. Er ist Liebhaber, das spiegelt sich schon in seinem enormen Fachwissen und der Art, wie er über Videospiele und die Homebrew-Szene redet, wider. Wusstet ihr zum Beispiel, dass der spirituelle Nachfolger des Dreamcast-Grafikchip in vielen Android und Apple-Devices steckt, der Sega Saturn 8 CPUs hat und der Mega Drive-Soundchip auf dem Yamaha DX7 basiert, und damit ein vollwertiger Synthie in Segas Konsole steckt? Eben.

Das Ladengeschäft in der Kölner Innenstadt bezeichnet Christoph daher auch eher als Galerie und Treffpunkt. “Der Laden war eigentlich gar nicht geplant. Ich wohne zufällig im gleichen Haus und auf einmal wurde das Ladengeschäft im Erdgeschoss frei. Und wenn ich das Ganze jetzt eh schon richtig aufziehe, dann wäre es doch auch toll eine Repräsentationsfläche zu haben. Da ich mich sehr kurzfristig entscheiden musste, habe ich dann einfach zugeschlagen.

Von kurzfristigen Entscheidung fehlt in den Räumlichkeiten jedoch jede Spur. Schon bei meinem ersten Besuch fiel mir ein besonders Ästhetikverständnis auf, dass Christophs Laden deutlich von der Konkurrenz abhebt. Seine Liebe zum Detail geht soweit, dass defekte Hüllen von alten Spielen ausgetauscht, CDs aufpoliert und Konsolen restauriert werden. „Hier muss alles edel und schick sein, hier wird kein Plunder verkauft.“, betont Christoph.

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Diese Einstellung teilt auch Inda, Christophs Geschäftspartner in spe. “Ich will hier nicht die 17. Ausgabe von FIFA und Call of Duty anbieten müssen. Wenn es unseren Zukunftsplänen für den Laden zuträglich ist, werden wir dafür natürlich irgendwie eine Nische finden, aber das hier ist eine Leidenschaft und so soll es auch aussehen.

Inda und Christoph haben sich erst wenige Monate vor meinem Besuch kennengelernt und schon nach einigen Stunden gemerkt, dass die Chemie stimmt. “Ich bin durch Zufall auf den Laden aufmerksam geworden, ich glaube Schuld daran war der große Mario-Aufsteller im Schaufenster. Dann habe ich mir regelmäßig die Nase am Schaufenster platt gedrückt. Der Laden hatte ja noch geschlossen, aber ich hatte Glück. Als ich dann endlich im Geschäft stand war dass für mich wie Disneyland, nur besser.

Inda machte seine ersten Videospiel-Schritte auf einem C64, den er von seinen Eltern geschenkt bekam. Es folgte ein NES und wenige Jahre später der direkte Nachfolger, ein SNES. Über die Nintendo-Hardware kam er in Berührung mit seinem heutigem Lieblingsgenre, dem Rollenspiel. Ende der 90er Jahre begann auch er eine Sammlung aufzubauen, mit klarem Fokus auf RPGs. „Das Gefühl wie aus Link to the Past oder Secret of Mana, dem hechte ich ständig hinterher.

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Inda erschien es daher nur logisch, Christoph für den weiteren Aufbau des Ladengeschäftes seine Hilfe anzubieten. “Und irgendwann hat Christoph mich dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte mit einzusteigen. Darüber musste ich nicht lange nachdenken.“, gibt er grinsend zu verstehen.

Das Sortiment

Zwar wird sich bis zur Eröffnung noch Einiges tun, doch von der zukünftigen Auswahl im Laden haben die beiden schon eine klare Vorstellung. “Es wäre einfacher zu fragen, was wir NICHT im Geschäft haben wollen. Wir wollen Quasi ein Quelle-Versand für Retrospiele sein“, lacht Christoph. “Was du aktuell hier siehst, sind größtenteils noch Reste meiner Sammlung. Das wird sich in den nächsten Wochen noch ändern.

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Aktuell befinden sich in den Räumlichkeiten des Retrospiele-Ladens etwa 1.200 Artikel. Neben Merchandise, Guides, Magazinen und DVDs wird es auch ein reichhaltiges Angebot an hoch- und neuwertigem Zubehör für alte Konsolen geben. Das umfasst einfache Dinge wie Kabel und Controller, aber auch Umbauten, Cases sowie Platinen für Umbauten und RGB-Erweiterungen. “Wir werden mit Sicherheit fertig-gemoddete Konsolen anbieten. Ob wir jedoch auch Servicearbeiten in unser Angebot aufnehmen kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, aber wir haben es vor.“, verrät Inda.

Oh, und es wird natürlich auch Videospiele geben, jede Menge Videospiele. “Dabei wollen wir unser Augenmerk besonders auf die Perlen und ‘Must Haves’ richten. Da wird bestimmt auch unser Geschmack eine entscheidende Rolle spielen“, erklärt Inda. Christoph ergänzt: „Ich stehe zum Beispiel sehr auf japanische Spiele. Daher ist es für mich ganz selbstverständlich, dass auch Importe im Laden und Onlineshop landen werden.

Doch damit nicht genug. “Neben den ganzen bekannten Konsolen von früher bis heute wollen wir vor allem für Homebrew- und Indie-Spiele einen Platz reservieren. Neue Spiele für alte Konsolen werden einen Schwerpunkt bilden, besonders fürs Dreamcast, NES und Mega Drive erscheinen immer noch sehr schöne Produktionen.

Schon jetzt stehen Spiele vom NG:DEV.TEAM, RedSpotGames, WaterMelon und anderen Publishern oder Entwicklern in den Regalen. Doch in der Zukunft sollen sich da auch Eigenproduktionen hinzugesellen. “Mein Traum wäre es, eigene Veröffentlichungen an den Start zu bringen. Also Lizenzen einzukaufen und kleine Entwickler anzusprechen, ob wir ihr Zeug veröffentlichen und produzieren dürfen, mit aufwändiger Verpackung, Cartridge, Manual und allem drum und dran.” Dabei könnte dieser Traum schon bald Realität werden. “Wir arbeiten gerade an einem ersten Projekt für das Mega Drive, darüber darf ich aber noch nicht im Detail sprechen. Es wäre natürlich toll, die Umsetzung noch bis Weihnachten zu realisieren.“, verrät mir Christoph.

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Und was ist eigentlich mit dem Onlineshop? “Online ist im Prinzip unser Hauptgeschäft. Aktuell arbeiten wir noch mit eBay und haben vor allem Neugeräte und Dreamcast-Spiele im Angebot. Wir werden aber bald schon unser eigenes Shopsystem launchen und die Auswahl wird sich stetig vergrößern.“, erklärt Christoph die nächsten Schritte.

Beim Ladengeschäft liegt der Fokus mehr auf Stöbern und Erleben. Du wirst viele Raritäten, Perlen und Exoten entdecken und dir die Finger wundspielen können, wenn du möchtest.” Denn neben klassischer Hardware stehen im Ladengeschäft auch Neuentwicklungen wie das RetroN 5 sowie zwei Arcade Cabinets, die zum Antesten einladen.

Crowdfunding, die gamescom und die Eröffnung

Um die Eröffnung noch weiter zu beschleunigen, hat Christoph das Ladengeschäft als Projekt bei Startnext angemeldet und befindet sich mitten in der Finanzierungsphase. “Wir planen die Eröffnung zum 01.09. dieses Jahres, bis dahin gibt es aber noch viele Baustellen. Das Geld der Crowdfunding-Kampagne soll vor allem in die Unkosten für die Gründung sowie den Ausbau des Lagers und Internetshops fließen.” Für die Unterstützer haben sich Christoph und Inda zahlreiche Dankeschöns überlegt, die einen kleinen Querschnitt des Angebotes zeigen. “Wir freuen uns über jede Form der Unterstützung. Für uns ist das eine richtige Herzensangelegenheit und wir setzen alles auf eine Karte, damit wir unseren Traum umsetzen und den Besuchern etwas bieten können, was es so hier in der Umgebung noch nicht gibt.

Neben der Crowdfunding-Kampagne werden Christoph und Inda auch auf der gamescom mit einem eigenen Stand vertreten sein, um weitere Werbung für den Retrospieleladen zu machen, ein paar Spiele vorzustellen und mit euch über Neues und Vergangenes zu diskutieren. Wenn ihr Lust habt schaut vorbei, ich werde da sein!

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(v.l.n.r. Inda Keutgen, Christoph Noll)


Post mortem: die Dreamcast

Wer mit Christoph spricht und sich mit ihm über die Philosophie des Ladens unterhält, kommt nicht umher, sich mit Segas Dreamcast auseinanderzusetzen. Zu groß ist der Einfluss der letzten Konsole des japanischen Konzernes auf den Laden und seinen Besitzer.

Dies liegt besonders an der ungebrochenen Unterstützung, die der graue, kleine Plastikkasten bis heute aus den Lagern der Homebrew- und Indieszene erfährt – und das trotz einer sehr geringen Halbwertszeit von grade einmal etwas mehr als zwei Jahren.

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Dabei schien Sega nach dem Misserfolg des Sega Saturns alles richtig zu machen. Eine groß angelegte, virale Werbekampagne sorgte schon vor der offiziellen Ankündigung für reichlich Aufmerksamkeit bei Presse und Spielern. Eine hochoptimierte Hardware-Architektur, die im krassen Gegensatz zum Vorgänger stand, fand positiven Anklang bei den Entwicklern. Dies wurde mit einem starkem Launch-Lineup gekrönt und führte zu sensationellen Verkaufszahlen und -rekorden. Allein in den USA wurden innerhalb der ersten 24 Stunden fast 100 Millionen US-Dollar Umsatz gemacht und in wenigen Wochen eine Million Konsolen verkauft.

Als die Dreamcast am 27. November 1998 die sechste Generation der Videospielekonsolen einläutete, waren die Erwartungen hoch, sprach man doch hinter vorgehaltener Hand von der letzten Chance des japanischen Spiele-Giganten im Konsolenmarkt, ein ernstes Wörtchen mitzureden. Den Zweiflern setzte Sega nicht nur ein leistungsstarkes sondern in vielen Bereichen auch revolutionäres Produkt entgegen. So führte die Dreamcast zahlreiche Features ein, die sich zu einem Standard in zukünftigen Konsolen entwickeln sollten.

Sie war die erste Konsole, die dank mitgeliefertem Modem internetfähig war und somit den Grundstein für das PS2 Network und Xbox Live legte. Noch bis heute wird die Onlinefähigkeit einer handvoll Spiele unterstützt, darunter zum Beispiel Quake III Arena. Zu den weiteren Merkmalen zählt die HD-kompatible AV-Ausgabe mit bis zu 480p über VGA, die höchste ihrer Zeit im Konsolenmarkt, sowie die VMU, eine aufgebohrte Speicherkarte mit zahlreichen Zusatzfunktionen.

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Nicht nur die Konsole sorgte für Neuerungen in der Branche. So führte das Spiel Alien Front Line den Live-In-Game-Voice-Chat ein, Jet Set Radio macht Cel Shading Salonfähig, Phantasy Star Online wird als erstes MMORPG für Konsolen angesehen und Shenmue war nicht nur das teuerste Spiel seiner Zeit, sondern revolutionierte das 3D-Open-World-Genre, führte nebenbei noch die moderne Form der Quicktime-Events ein und wird als eines der einflussreichsten und besten Videospiele angesehen.

Doch der Erfolg der Dreamcast war leider nur von kurzer Dauer. Neben den schwachen Verkaufszahlen in Japan und dem fehlenden Support von EA setzte vor allem der Verkaufsstart der Playstation 2 Segas Konsole schwer zu. Schon im Mai 2000, nur zwei Monate nach der Markteinführung, hatte Sonys Produkt mehr Abnehmer in Japan gefunden als die Dreamcast in den letzten zwei Jahren. Der große Erfolg der PS2 lässt sich zum Teil auch auf ihr DVD-Laufwerk zurückführen, ein klarer Vorteil gegenüber den Mitbewerbern. Zusätzlich machte die Produktpiraterie, die durch eine im Internet verteilte Boot-CD katalysiert wurde, Sega schwer zu schaffen.

Nach den hohen Verlusten kündigte Sega im Januar 2001 schließlich den Produktionsstop der Dreamcast für März des selben Jahres an. Ein Jahr später erschienen die letzten offiziellen Spiele in Europa, in Japan hielt der Support bis zum 8. März 2007 mit der Veröffentlichung von Karous an. In den Jahren 2002 bis 2007 wurden vor allem Portierung des NAOMI, der Spielhallenversion der Dreamcast, veröffentlicht.

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