Retrovirus

Eine meiner frühesten Erinnerungen an Spiele ist es, gemeinsam mit meinem Vater die Demo-Version des Roboter-Raumschiff-Shooters Descent zu erleben. Gemeinsam haben wir unser Schiff durch dunkle Raumstationen bugsiert, gegen Roboter gekämpft und sind immer wieder am ersten Endboss gescheitert.

Retrovirus hat mir die Erinnerung daran zurückgegeben — nur in besser, weil ich meine Hand-Augen-Maus-Koordination nach 18 Jahren wirklich verbessern konnte und sich auch nicht mehr mein Magen umdreht, wenn ich meinen Flugroboter mal wieder kopfüber schweben lasse.

httpvh://youtu.be/yOIAhQhBswo

Als Anti-Viren-Roboter soll im Inneren eines Bürorechners eine Vireninvasion aufgehalten werden. Dazu reist der Roboter durch zugemüllte Mail-Server, zerschießt Viren-Cluster und sammelt — wie könnte es anders sein — Schlüssel, um bunte Türen aufzuschließen.

Retrovirus muss zu aller erst verstanden werden als weitere Instanz der Nekromantie am Leichnam des Six-Axis-Shooters, einem Genre, in dem eine Figur völlig frei im dreidimensionalen Raum bewegt werden kann. Was es aber besonders macht, ist die Verknüpfung der alten Descent-Spielmechanik mit dem Gefühl eine Tron-Welt zu entdecken.

Wenn es darum geht, eine verschlüsselte Mail aus einem von Viren befallenen Mail-Ordner zu retten, dann schwebt Retrovirus kopfüber dem schmalen Grat zwischen fremdartig und vertraut.

Hinzu kommen leere Multiplayer-Server, versteckte Emails des Admins und freischaltbare Upgrades, wie die Vampirfunktion, die Gegnern Lebenspunkte absaugt, wenn man sie erst einmal mit dem Virenscanner erfasst hat. Und als ich dann nach fast zwei Stunden glücklicher Spielzeit voller Virenkämpfe, bunter Schlüssel und Kindheitserinnerungen vom Rechner aufstehen wollte und das Spiel einfach so beendete, habe ich endlich auch verstanden, warum das Retro im Spielenamen vorkommt: Eine automatische Speicherfunktion gibt es nämlich nicht. Und schwindelig war mir auch. Und meinem Vater kann ich die Schuld dafür jetzt auch nicht mehr zuschieben.

Auf eine ungemein charmante Art hat mich Retrovirus daran erinnert, was verloren gegangen ist vom Sprung von Shootern aus freien, verwirrenden Welten in enge Korridore — und wie sehr ich mich daran gewöhnt habe. Gebt dem Teil eine Chance!