Spec Ops: The Trojan Horse
Wer hätte das gedacht — die bisher beste Story in einem Videospiel dieses Jahr wird mir ausgerechnet von einem Militär-Deckungs-Shooter erzählt. Einem “Killerspiel”! Und mit einer amerikanischen Elite-Einheit in der Hauptrolle. Ihr denkt jetzt bestimmt: “Klar! Und als nächstes will uns Manu weismachen, dass das Spiel auch noch aus Deutschland kommt.” Richtig! Spec Ops: The Line ist von der Yager Development GmbH entwickelt worden. Und wenn man der PR-Abteilung von 2K Games Glauben schenken möchte, haben die sich die Berliner vorgenommen, das wohl derzeit erfolgreichste Genre der Spieleindustrie auf eine neue Stufe zu heben.
Dabei fängt das Spiel so typisch an, wie die meisten Patriotismus-Ballereien: Captain Walker und seine Truppe landen im Kriegsgebiet und werfen sich ein paar coole und flapsige Sprüche zu, während um sie herum nur Tod und Verwüstung herrschen. Doch die Stimmung kippt ziemlich schnell und es fällt auf, dass dieses Spec Ops anders ist, als seine vermeintliche Genre-Verwandtschaft. Keine Gears-of-War-Brüderschwüre, kein Hurra-Patriotismus, der mit Hans Zimmer-Fanfaren unterlegt ist. Ganz im Gegenteil: Yager erzählt mit viel Feingefühl den langsamen Niedergang des Protagonisten Walker. Inspirieren ließen sich die Macher von Coppolas “Apocalypse Now”. Nicht nur Kennern des Films wird schnell klar, dass diese Reise nicht nur immer tiefer in das von den Sandstürmen zerstörte Dubai, sondern auch in die Ruinen Walkers eigener Psyche führen wird. Wie besessen ignoriert dieser die direkten Befehle seiner Vorgesetzten. Mit der Zeit hat er deswegen schwere Mühe, seine beiden Begleiter bei Laune zu halten und nicht die Kontrolle über die gesamte Situation zu verlieren.
Dieses Spiel hat in den letzten Wochen viele Fragen aufgeworfen. Kann es so etwas wie ein Anti-Kriegsspiel geben? Funktioniert das überhaupt, dass man sich in einem Spiel einerseits mit den Schrecken des Krieges auseinandersetzt, im nächsten Moment aber Kopfschüsse im Akkord verteilt? Kann, nein, darf so ein Spiel denn Spaß machen, auch wenn es ernste Töne anstimmt? Verkauft sich das?
Nun, der grazile Balance-Akt, mich als Spieler eines Shooters mit einer spaßbringenden Mechanik und packender Action bei Laune zu halten, während mir in den Zwischensequenzen harte Kost in Form von Tod, Verderben und Schuld präsentiert werden, gelingt Yager leider ebenso wenig, wie Walker seine Truppe zusammenzuhalten. Zu erschreckend gleichgültig und zu leichtfällig soll ich die Menschenleben der gegnerischen, gesichtlosen Soldaten wie in jedem anderen Shooter im Sekundentakt auslöschen. Selbst die Tatsache, dass es sich ebenfalls um Amerikaner handelt, hält Walker nicht davon ab, diese reihenweise zu töten, weil sie ungünstig im Weg stehen.
Eine gewagte, meiner Meinung nach viel zu gutmütige Interpretation dieser Mechanik, liefert Andreas von Polygamia.de, der darin einen von den Entwicklern platzierten “Wolf im Schafspelz” erkannt haben will: “Das Spiel mit der Erwartungshaltung und den Konventionen des Genres funktioniert auch im oberflächlichen Spielgeschehen. Anstatt nämlich das bekannte Shoot-and-Cover-Prinzip durch ‘andere’ Ideen aufzufrischen, bekommt der 08/15-Spieler genau das geboten, was er schon in gefühlt 1000 anderen Third-Person-Shootern erlebt hat.”
In der darauf entstandenen Diskussion gibt er zwar zu, dass er sich “durchaus an der Grenze zur Überinterpretation bewege”, aber, so Andreas weiter: “Moderne Shooter zwingen Spieler zu einem wahren Blutrausch. Erst schießen, dann reden; ‘dumme’ Gegner, Zerstörungsorgien ohne Sinn und Verstand. Genau das macht auch Yager, um den Spieler danach in die brutale (virtuelle) Wirklichkeit zurückzuholen.”
Konstantin Frick, Programmierer bei Yager, hat bei Kollege Monoxyd im “Angespielt”-Interview das Spiel als “trojanisches Pferd” bezeichnet. Mit der patriotischen Aufmachung zu Beginn und der eher klassischen Shooter-Mechanik will man ganz klar die Spieler ködern, die auch sonst zu Militärshootern greifen. Insofern würde ich Andreas’ Verschwörungstheorie einfach gegen das viel naheliegender “es muss sich halt auch verkaufen”-Argument tauschen.
Dass Yager durchaus subversive Absichten mit dem Spiel transportieren wollte, ist dafür an anderer Stelle klar zu spüren: Es sind die Situationen im Spiel, die sehr direkt Elemente der “Honor Call of Battlefield“-Spiele als das berühmte Holzpferd nutzen, um den Spieler im Anschluss durch die Konsequenzen seines Tuns zu führen. Man kommt direkt in Kontakt mit dem schier unvorstellbaren Zerstörungsgrad, der fast schon als Selbstverständlichkeit geltenden Massentötung. Das Abwerfen von Bomben auf kleine weiße Punkte aus der sicheren Entfernung wird man nach dieser Erfahrung in jedem anderen Kriegsspiel mit anderen Augen sehen. Ich bin mir sicher, das besagte Szenen jedem Spieler noch lange in Erinnerung bleiben werden.
Im krassen Widerspruch dazu stehen aber leider die unzähligen, völlig übertriebenden “Vernichte x Gegnerwellen”-Phasen des Spiels. Um ebenfalls als trojanisches Pferd durchzugehen, sind mir diese Stellen viel zu langatmig und zu oft vertreten. In meinem Frühstücks-Podcast über Spec Ops:The Line waren mein Gast Rudolf Inderst und ich uns einig, dass weniger hier deutlich mehr gewesen wäre. Wir gehen sogar so weit zu fragen, warum man in Spielen immer nur Zwischensequenzen überspringen kann. Was Spec Ops: The Line fehlt, ist eine Option, diese langatmigen Schusswechsel-Abschnitte zu überspringen. Ich habe mich während der ca. zehnstündigen Singleplayer-Kampagne oft dabei ertappt, dass mich die eigentliche Spiel-Mechanik regelrecht langweilt und ich nur weiterspiele, weil ich auf die nächste Story-Sequenz warte. Während wir den Mut Yagers bewundern und Spec Ops als ersten (kommerziellen) Türöffner für weitere Spiele sehen, die sich ernsthaft mit den Konsequenzen und Schrecken eines Krieges beschäftigen, zweifelt Benedikt von pixelzwist.de in seinem sehr ausführlichen und lesenswerten Kommentar zum Podcast daran:
“So sehr ich Yager auch schätze, und so toll viele Momente in diesem Spiel sind, als Türöffner sehe ich es ganz und gar nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Zeigt es doch eindrücklich wie wenig gewagtes, und sich wichtig nehmendes Erzählen, mit dem gewählten, konservativen Spieldesign zusammengehen.” Und weiter: “Diese Diskrepanz aus versuchtem erzählerischem Anspruch, und solidem aber generischem Gameplay ist für mich eher ein letztes Aufbäumen, Spiele mit aller Macht cineatisieren, aber ohne deren Basis innovieren zu wollen.”
Zumindest etwas Innovation erkennt dagegen Volker Bonacker beim Titel-Magazin, der schreibt: “Die Entwickler lassen den Spieler mehrfach spüren, dass sein Tun nicht ohne Folgen bleibt. Dazu bedienen sie sich einer Methode, die zwar nicht neu ist, deren Implementierung in den Shooter jedoch eine Innovation darstellt: Sie lassen den Menschen am Gamepad die Entscheidungen treffen, statt ihn zu zwingen, ihre Version der Story nachzuerleben.”
So schwer diese Entscheidungen auch im Moment der Situation wiegen, so wenig zeigen sie Auswirkungen auf die Geschichte und das Geschehen. Doch auch Volker übt sich in Gutmütigkeit und lässt, ähnlich wie Andreas, das Gedankenspiel zu, dass dies durchaus gewollt sein könnte: “Ein Punkt, den man dem Spiel aber auch als Stärke auslegen kann, zeigt er doch, welche Sinnlosigkeit dem Handeln der Soldaten innewohnt, ganz gleich, wofür oder wogegen sie sich entscheiden.” Im Zweifel für den Angeklagten? Auch hier würde ich sagen: Nein, da wäre deutlich mehr drin gewesen. (Ohne zu viel zu verraten: Das Ende schafft hier ein wenig Abhilfe und setzt diese Entscheidungen und ihre Auswirkungen schließlich in einen passenden Kontext.)
Abschließend nun also die Frage, ob Yagers Vorhaben, das Genre auf eine neue Stufe zu heben, dennoch gelungen ist. Ich kann diese Frage mit einem klaren “JA” beantworten. Spec Ops: The Line macht trotz seiner spielerischen Mittelmäßigkeit vieles, vor allem in der Inszenierung, der Geschichte und der gesamten Atmosphäre, verdammt gut. Volker verpasste seinem Artikel den sehr treffenden Titel “Der Unwohlfühl-Shooter” und auch Andreas und “loess” vom Blog 99Leben betonen in ihren Artikeln, dass Spiele nicht immer nur “Spaß” machen müssen, um gut zu sein.
Dass es Yager gelungen ist, mich emotional zu berühren und stellenweise richtig schlecht fühlen zu lassen, ist großartig und in der Form fast einzigartig. Ein Wermutstropfen bleibt, dass dies nicht im Spiel passiert, sondern hauptsächlich in den Sequenzen dazwischen — wie es auch Daniel auf weltraumer.de bedauert. Da haben Entwickler und Designer noch einigen Spielraum zur Entfaltung. In den “Entscheidungs-Sequenzen” von Spec Ops kann man es aber bereits spüren, wie es funktionieren könnte und in welche Richtung es geht. Hier bin ich als Spieler gefordert und bekomme die Konsequenzen meiner Handlungen viel stärker zu spüren, als wenn ich nur einen Film schaue. Die von Benedikt verteufelte Cineasierung der Spiele sehe ich als eine große Chance, da sich die beiden Medien an genau diesem Punkt gegenseitig bestärken können. Das Ende des Spiels wäre nicht so stark und bewegend, wenn ich die gesamte Zeit davor nur zugeschaut hätte. Es macht einen großen Unterschied, ob ich als Spieler für Captain Walker den Abzug der Waffe ziehe und so zu einem Mitverantwortlichen seiner Taten werde oder es nur beobachte. Das sind die Momente in Spec Ops, in denen das Spiel die titelgebende Linie überschreitet, die nötig ist, um vorwärts zu kommen.